Facebook löscht ikonisches Kriegsfoto: Die größte gemeinsame Spießigkeit
Facebook hat einen Post der norwegischen Zeitung „Aftenposten“ gesperrt, weil er ein nacktes Kind zeigt. Das Bild ist ein berühmtes Kriegsfoto.
Ein Foto, das als Momentaufnahme der Schrecken von Krieg weltberühmt wurde, ist offenbar zu nackt für Facebook. Es handelt sich um die Aufnahme eines Mädchens, das unbekleidet mitten auf einer Landstraße auf die Kamera zuläuft.
Das Foto, geschossen im Juni 1972 von dem AP-Fotografen Nick Út, dokumentiert eine Episode aus dem Vietnamkrieg. Das Mädchen flieht vor einem Angriff südvietnamesischer Flieger auf sein Dorf. An ihrem Körper sind schwere Verbrennungen zu sehen, verursacht durch die Brandwaffe Napalm, deren Einsatz inzwischen völkerrechtlich verboten ist.
Facebook interessiert die historische Ebene des Bildes offenbar nicht: Für das Netzwerk ist es ein Kinder-Nacktbild wie jedes andere – und wurde daher gelöscht. So zumindest heißt es bei der norwegischen Zeitung Aftenposten. Deren Chefredakteur, Espen Egil Hansen, hat am Donnerstagabend in einem Blogeintrag angeprangert, dass das Bild von der Facebookseite der Zeitung gelöscht worden sei.
Am Mittwoch habe man eine Nachricht mit Bitte um Löschung des Bildes erhalten, ohne eine Reaktion abzuwarten habe man aber „eigenständig eingegriffen“ und den Artikel, eine Auseinandersetzung mit ikonischen Kriegsbildern, sowie das Bild von der Facebookseite gelöscht, schreibt Hansen. Hansen richtet sich mit seinem Brief direkt an Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, nennt ihn „den mächtigsten Redakteur der Welt“ und wirft ihm vor, er missbrauche seine Macht, um Debatten zu unterbinden. Seitens Facebook gibt es dazu bisher keine Stellungnahme.
Die Löschpraxis des Sozialen Netzwerks, welches inzwischen immer mehr auch als Nachrichtenquelle für viele NutzerInnen fungiert, geriet zuletzt schon häufiger in die Kritik. Einerseits werfen KritikerInnen Facebook vor, bei persönlichen Drohungen und menschenverachtenden Inhalten nicht schnell genug oder gar nicht zu reagieren. Andererseits werden immer wieder Inhalte mit absurden Begründungen entfernt.
Ein Beispiel dafür ist der Fall des Übergrößen-Models Tess Holliday im Mai dieses Jahres. Ein Kampagnenfoto, auf dem Holliday in Dessous für eine bessere Einstellung gegenüber dicken Körpern warb, wurde von Facebook gesperrt, mit dem Hinweis, es widerspreche den Werberichtlinien des Netzwerks in Sachen „Gesundheit und Fitness“. Nachdem der Fall internationale Aufmerksamkeit erhalten hatte, nahm Facebook die Sperrung zurück und entschuldigte sich.
Prüde US-Vorortstandards
Nun hat Facebook also ein historisches Kriegsfoto für unangemessen befunden, eines, das wie kein anderes eine historische Episode des 20. Jahrhunderts dokumentiert und dafür sogar den Pulitzer-Preis erhalten hat. Das Problem ist allerdings nicht, wie der Aftenposten-Chefredakteur die Sache zuspitzt, dass hier ein allmächtiger Herr Zuckerberg an einem roten Löschknopf sitzt und entscheidet, welche Diskurse stattfinden, sondern, dass Facebook nach wenig ausdifferenzierten und offensichtlich prüden US-Vorortstandards seine Inhalte filtert.
Damit fällt so mancher volksverhetzende Post unter die freie Meinungsäußerung, während bei Nacktheit auf die Befindlichkeiten eines imaginierten konservativen Publikums Rücksicht genommen wird. Nicht ein Mann übt hier Macht aus – ein ganzes Netzwerk beschneidet weltweit Diskurse auf eine fragwürdige Schnittmenge – und das ist sogar wesentlich gefährlicher.
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