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Ministerin zu Muslim-Staatsverträgen„Es nutzt nichts, Gräben aufzureißen“

Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) erklärt, warum die Regierung trotz Mehrheit die Staatsverträge mit den muslimischen Verbänden nicht unterzeichnet

Glückwunsch: Kultusministerin Heiligenstadt besucht den muslimischen Religionsunterricht einer Grundschule in Hannover Foto: Christoph Schmidt (dpa)

taz: Frau Heiligenstadt, wie soll es jetzt weitergehen mit den Muslim-Staatsverträgen?

Frauke Heiligenstadt: Über die Vertragsentwürfe, die wir im Einvernehmen mit den muslimischen Verbänden und den Landtagsfraktionen noch vor der Sommerpause geändert haben, wird weiterhin gesprochen.

Aber nicht verhandelt?

Wir haben einen sehr weit ausverhandelten Vertragsentwurf. Da besteht inhaltlich kein Veränderungsbedarf mehr. Darüber herrscht Einigkeit bei denen, die das Vorhaben der Landesregierung teilen: Zwischen dem Land und den Religionsgemeinschaften Vereinbarungen zu schließen, um das Zusammenleben durch klarer definierte Pflichten, Rechte und gemeinsame Ziele zu regeln.

50, Verwaltungswirtin, SPD-Mitglied seit 1982, ist als niedersächsische Kultusministerin federführend bei den Verhandlungen um den Staatsvertrag zwischen dem Land, den islamischen Dachverbänden Schura und Ditib sowie der alevitischen Gemeinde.

Man ist sich in allem einig über die Verträge, aber unterzeichnet werden sie nicht?

Die Verträge werden nicht unterzeichnet, weil wir uns als Landesregierung auch eine breite Unterstützung durch das Parlament wünschen. Mit der völligen Absage der CDU ist das schwierig …

Wieso, haben Sie doch: Die Regierungsmehrheit plus die FDP ist doch eine breite Mehrheit. Die FDP ist doch dafür.

Das ist richtig, und ich begrüße das. Aber das ist eine Vereinbarung, die Brücken bauen soll. Sie soll die Gemeinsamkeiten betonen und den Zusammenhalt stärken. Es nutzt nichts, eine solche Vereinbarung einfach durchzudrücken und damit erst recht Gräben aufzureißen.

Vertragsinhalte

Seit 2013 verhandelt das Land Niedersachsen mit den muslimischen Dachverbänden Schura und Ditib sowie der alevitischen Gemeinde.

Ein revidierter Entwurf, der unter anderem einen Katalog von 14 Nachforderungen der CDU integriert, wurde im Juni vorgestellt.

Der Text orientiert sich stark an den einschlägigen Staatsverträgen von Hamburg (2012) und Bremen (2013).

Er gesteht den islamischen Religionsgemeinschaften das Recht zu, Religionsunterricht zu erteilen. Im Gegenzug bekennen die sich zum staatlichen Schulwesen mit Schulpflicht.

Als Feiertage hebt der Vertrag das Id ul-Adha (Opferfest), das Id ul-Fitr (Ramadanfest) und den Aschura-Tag (an dem Streit untersagt ist) besonders hervor: An ihnen sollen muslimische Kinder vom Unterricht befreit sein.

Mit dem Vertrag verpflichten sich die Religionsgemeinschaften unter anderem, für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einzutreten.

Der Vertrag ermöglicht, Bestattungen nach islamischem Ritual durchzuführen.

Nutzt es denn, jemandem, der Brücken einreißen will, die Gelegenheit dazu zu verschaffen?

Alle, die diesen Vereinbarungen positiv gegenüber stehen, möchten die Zeit nutzen, auch um mit denen zu sprechen, die dem Vorhaben gegenüber kritisch eingestellt sind. Da gab es ja durchaus kritische Hinweise aus dem gesellschaftlichen Raum.

Das war im Frühjahr. Aber die sind ja abgearbeitet. Die großen gesellschaftlichen Kräfte, auch die Kirchen, sagen alle: Ja, wir wollen den Vertrag, jetzt. Und nur den Christdemokraten sind, nachdem alle ihre Forderungen eingearbeitet wurden, …

… das stimmt!

prompt sind denen neue eingefallen: Das ist doch keine sachliche Kritik. Das ist doch Zerstörungswille.

Diese Bewertung lass’ ich einfach mal im Raum stehen. Vielleicht fragen Sie diesbezüglich die CDU direkt, warum sie sich jetzt so verhält. Ich will nicht verhehlen, dass man dafür teilweise sicher auch Terminlagen der niedersächsischen Politik verantwortlich machen könnte. Das sind aber Spekulationen, an denen ich mich nicht beteilige.

Das heißt: Nach den Kommunalwahlen geht der Vertrag durch den Landtag?

Ich kann, nein, ich könnte ja nur über die Argumentation der CDU mutmaßen. Öffentlich führen sie die Situation in der Türkei und die vermeintlich zu große Staatsnähe von Ditib ins Feld. Aber wie gesagt, da müssen Sie sich direkt an die CDU wenden.

Müsste ich, wenn ich sachliche Gründe vermutete. Mich interessiert aber, warum sich die Landesregierung von dieser CDU am Nasenring durch die Manege führen lässt?

Das ist jetzt Ihre Bewertung.

Ja.

Ich habe während dieses gesamten Prozesses, den ich ja von Anfang an begleitet habe, gelernt, immer geduldig zu sein bei diesem Thema. Ich muss möglichst viele Menschen mitnehmen. Es nutzt nichts, wenn ich ein Projekt umsetze, was auf dem Papier unterschrieben werden kann, aber dann gesellschaftlich nicht gelebt wird. Ich brauche die politische und genauso auch die gesellschaftliche Akzeptanz.

Aber jetzt haben Sie einen gut und profund verhandelten Vertrag, die muslimischen Verbände haben große Zugeständnisse gemacht – und er wird trotzdem nicht unterzeichnet: Riskieren Sie nicht, die designierten Partner dadurch zu kränken?

Die Landesregierung hat mit den VertreterInnen der muslimischen Verbände auch darüber gesprochen. Ich glaube, eine breite Unterstützung der Verträge in der Gesellschaft ist auch in ihrem Interesse. Ich betone „in der Gesellschaft“, nicht allein in der Politik. Wir nehmen uns jetzt Zeit, aufgrund der sehr aufgeladenen Situation in der Türkei einerseits, andererseits aber auch aufgrund der Verweigerungshaltung der CDU. Das heißt nicht, dass man irgendjemanden inhaltlich zurückdrängt. Das kann für alle, die an den Verträgen festhalten, auch ein stärkeres Zusammenrücken bedeuten.

Die integrative Wirkung wie in Bremen und Hamburg können die Verträge, gerade auch im Hinblick auf den Religionsunterricht, in Niedersachsen jetzt aber nicht entfalten.

Das ist nicht richtig. Gerade was den islamischen Religionsunterricht angeht, sind wir hier vorne mit dabei. Wir sind auch gut unterwegs bei der Entwicklung der Curricula. Wir haben zunehmend Kinder muslimischen Glaubens, die von islamischem Religionsunterricht an niedersächsischen Schulen profitieren, und wir haben den Lehrstuhl für islamische Theologie an der Uni Osnabrück. Die positiven Entwicklungen gehen an Niedersachsen nicht vorbei. Mir sind aber in der gesamten Diskussion die Inhalte des Vertrags zu kurz gekommen. So ist es wichtig, dass wir auch über dessen positive Effekte sprechen, wie das deutliche Bekenntnis der muslimischen Verbände zum staatlichen Schulwesen mit der Schulpflicht. Dazu gehört auch beispielsweise der Schwimmunterricht oder die Teilnahme an Tagesausflügen. Es gibt sehr viele positive Vertragsinhalte.

Und die wollen Sie von der Situation in der Türkei abhängig machen?

Nein, ich möchte das nicht monokausal von der Situation in der Türkei abhängig machen. Die drei Fraktionen im Niedersächsischen Landtag, die Vertreter der Landesregierung und die der muslimischen Verbände haben gesagt: Es ist momentan kein geeigneter Zeitpunkt, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Wir brauchen noch Zeit, um für diese Vertragsinhalte zu werben. Diese Zeit nehmen wir uns jetzt.

Wieviel Zeit ist das?

Ich kann da momentan keinen konkreten Termin nennen. Aber wir versuchen, einen geeigneten Zeitpunkt zu finden.

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