: „Ich will Vertrauen zurück- gewinnen“
RECHT Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erklärt, wie sie es mit Stasi 2.0 und dem Datenschutz hält
■ 58, ist seit Ende Oktober zum zweiten Mal Bundesjustizministerin. Das erste Mal hatte die FDP-Politikerin das Amt von 1992 bis 1996 inne. Sie trat damals zurück, nachdem ihre Partei in einem Mitgliederentscheid der Einführung des großen Lauschangriffs (Abhören von Wohnungen) zustimmte.
INTERVIEW CHRISTIAN RATH UND MATTHIAS LOHRE
taz: Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Sie waren in den 90er-Jahren schon einmal Justizministerin. Ist das Ausmaß der Überwachung heute größer als damals?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ja. Ich sehe da eine neue Qualität. Es gibt heute die heimliche Onlinedurchsuchung von Computern. Es gibt jetzt eine sechsmonatige anlasslose Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsverkehrsdaten. Das Bundeskriminalamt hat präventive Befugnisse bei der Terrorabwehr erhalten. An all das haben wir in den 90er-Jahren noch nicht einmal gedacht.
1996 traten Sie zurück, weil Sie die Einführung des großen Lauschangriffs nicht mittragen wollten. Jetzt gibt es noch mehr Überwachung. Haben sich Ihre Maßstäbe verändert?
Die Situation ist überhaupt nicht vergleichbar. 1996 hätte ich als Ministerin das Gesetz zum Abhören von Wohnungen vorbereiten müssen – das konnte ich mit meinen Überzeugungen nicht vereinbaren. Die FDP hat in den letzten elf Jahre nicht regiert, aber 2009 konnte ich in den Koalitionsverhandlungen einen Kurswechsel in der Innen- und Rechtspolitik einleiten. Zum ersten Mal seit elf Jahren sind konkrete Gesetzesentschärfungen verabredet. Dafür habe ich die letzten Jahre beharrlich gearbeitet. So haben Union und FDP vereinbart, den Kernbereich der Privatsphäre im BKA-Gesetz und darüber hinaus besser zu schützen.
Es wird in den nächsten vier Jahren also keine neuen oder verschärften Überwachungsgesetze geben?
Sie kennen den Koalitionsvertrag. Da kann man nachlesen, „dass die konsequente Anwendung geltenden Rechts, eine gute Ausstattung der Sicherheitsbehörden und die Beseitigung von Vollzugsdefiziten immer Vorrang vor der Erweiterung staatlicher Eingriffsbefugnisse“ haben werden.
Wir kennen aber auch die Wunschliste des Bundesinnenministeriums, die zum Beispiel vorsieht, dass der Verfassungsschutz künftig auch gegen die „organisierte Kriminalität“ eingesetzt werden soll. Davon finden Sie im Koalitionsvertrag nichts wieder.
Vielleicht gibt es eine Absprache, dass die Wunschliste erst nach einer Schamfrist von ein, zwei Jahren auf den Tisch kommt?
Nein, es gibt keine geheimen Nebenabreden zum Koalitionsvertrag. Wir haben in den Koalitionsverhandlungen intensiv über den Verfassungsschutz diskutiert. Das Ergebnis ist: Er wird keine Befugnisse im Vorfeld der allgemeinen Kriminalitätsbekämpfung erhalten. Das ist mit der FDP nicht zu machen.
Sind Sie froh, dass jetzt Thomas de Maizière Innenminister ist und nicht mehr Wolfgang Schäuble?
Ich freue mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit Herrn de Maizière. Die hätte es aber auch mit Wolfgang Schäuble gegeben.
Deutet die Entlassung von Staatssekretär Hanning, der Schäubles Mann für die innere Sicherheit war, auf einen Kurswechsel in der Union hin?
Es ist Sache des Innenministers, sich seinen Leitungsbereich zusammenzustellen. Weshalb sollte ich über Motive spekulieren?
Wissen Sie, wie viele Onlinedurchsuchungen das BKA gemacht hat, seit im Januar das neue Gesetz in Kraft trat?
Nach allem, was man lesen konnte, bislang wohl keine.
War da die Aufregung über eine „Stasi 2.0“ nicht etwas übertrieben?
Für die Frage, was verhältnismäßig ist, kommt es doch nicht darauf an, wie oft eine Befugnis genutzt wird. Entscheidend ist die Qualität, die Intensität des gesetzlich erlaubten Eingriffs. Und da ist das heimliche Ausspähen der Computerfestplatte sehr beunruhigend, weil der PC vielen Menschen als Schreibtisch, Gedächtnis oder Tagebuch dient und damit einen sehr persönlichen, privaten Charakter hat.
Wenn es in der Praxis gar keine Onlinedurchsuchungen gibt, könnte man diese auch wieder abschaffen, oder?
Das war eine wichtige FDP-Forderung in den Koalitionsverhandlungen. Anders als in vielen anderen Punkten konnten wir uns damit gegenüber der CDU/CSU leider nicht durchsetzen. Man muss in Koalitionen ja auch Kompromisse schließen. Gleichzeitig haben wir jedoch verhindert, dass künftig auch das Bundesamt für Verfassungsschutz Onlinedurchsuchungen durchführen darf. Und auch die Polizei wird bei der Strafverfolgung keine Onlinedurchsuchungen machen dürfen.
Gegen die Vorratsdatenspeicherung haben Sie 2008 gemeinsam mit Gerhart Baum und Burkhard Hirsch eine Verfassungsbeschwerde eingelegt.
Wir sind insgesamt 14 FDP-Politiker, die die ganze Breite der Partei vertreten.
Die Vorratsdatenspeicherung ist nun seit fast zwei Jahren in Kraft. Fühlen Sie sich beim Telefonieren und Mailen eingeschüchtert?
Ich kann sehr gut verstehen, dass es Menschen unangenehm ist, wenn ihr Kommunikationsverhalten am Telefon und im Internet ohne Anlass, rein vorsorglich gespeichert wird – auch wenn dabei keine Inhalte registriert werden. Eingeschüchtert fühle ich mich nicht. Aber als Bundesjustizministerin will ich meinen Beitrag dazu leisten, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen.
Werden Sie am 15. Dezember zur Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts kommen?
Voraussichtlich ja. Ich bin ja Beschwerdeführerin.
Das ist irritierend. Wo werden Sie denn sitzen: auf der Klägerseite oder auf der Seite der Bundesregierung?
Aus Respekt vor meinem jetzigen Amt werde ich nicht auf der Seite der Beschwerdeführer sitzen, aber ich werde anwesend sein.
Werden Sie das Wort ergreifen? Und wenn ja, für welche Seite?
Ich werde mich nicht zur Sache einlassen, will aber mit meiner Anwesenheit deutlich machen, dass ich zu meiner Rechtsposition stehe und die Bedeutung unterstreichen, die ich diesem Thema beimesse.
Wo liegt für Sie das zentrale Problem bei der Vorratsdatenspeicherung?
Das entscheidende Problem ist bereits die Speicherung, weil sie auf Vorrat, also ohne jeden besonderen Anlass erfolgt. Aber auch die Zugriffsregeln halte ich für zu weit gehend.
Die Speicherung beruht auf einer EU-Richtlinie. Wenn sich das Bundesverfassungsgericht an seine Kompetenzen hält, kann es nur den Zugriff der Polizei überprüfen, nicht aber die Speicherung. Was machen Sie dann?
Jetzt warten wir erst einmal das Karlsruher Urteil ab, dann wird die Bundesregierung über Schlussfolgerungen beraten.
Wird die Bundesregierung den Europäischen Gerichtshof anrufen, damit dieser die Speicherung an europäischen Grundrechten misst?
Auch diese Frage stellt sich jetzt nicht.
Bis zum Karlsruher Urteil ist der Zugriff der Polizei auf die vorratsgespeicherten Daten beschränkt.
Laut Koalitionsvertrag dürfen Bundesbehörden bis zum Urteil nur zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib, Leben und Freiheit auf die Daten zugreifen.
Gilt das neben dem Bundeskriminalamt auch für die Bundesanwaltschaft?
Ja. Mit Generalbundesanwältin Monika Harms ist besprochen, dass der Zugriff für Strafverfolgungszwecke bis zum Karlsruher Urteil unterbleiben soll, und ich habe keinen Anlass davon auszugehen, dass sie sich nicht an diese Verabredung halten wird.
Für die Strafverfolgung in den Ländern ist der Zugriff auf die Daten aber nicht ausgesetzt?
Nein. Hier kann die Bundespolitik keine Vorgaben machen. In Bayern haben FDP und CSU vor einem Jahr allerdings ebenfalls vereinbart, dass der Zugriff auf die Vorratsdaten auf Fälle schwerer Gefahren beschränkt wird.
Aus Bayern hört man, dass die Staatsanwaltschaften weiter auf die Daten zugreifen.
Ich habe das im bayerischen Koalitionsausschuss angesprochen und gehe davon aus, dass auch dort entsprechend der Koalitionsvereinbarung verfahren wird.
Bei Lichte betrachtet wird durch den Koalitionsvertrag der Zugriff auf die Vorratsdaten also nur ganz punktuell und für einige Monate beschränkt. Sehen so FDP-Erfolge für die Bürgerrechte aus?
Das Signal ist: Die FDP hat alles unternommen, um schon vor der Karlsruher Entscheidung den Zugriff deutlich zu beschränken. Und dieses Signal ist in der Gesellschaft angekommen. Elf Jahre hatte im Zweifel die Sicherheit immer Vorrang vor der Freiheit, egal wer regierte. Die FDP wird diesen Trend umkehren.
Wollen Sie damit auch Wähler von Piratenpartei und Grünen zur FDP locken?
Die FDP hat eine große Tradition als Bürgerrechtspartei. Ich und viele andere Funktionsträger stehen dafür, dass die Partei nicht nur als wirtschaftsliberale Kraft wahrgenommen wird. Damit wollen wir natürlich auch entsprechende Wähler für die FDP gewinnen und an die FDP binden.
Sind Sie als Ministerin im Kabinett besonders durchsetzungsfähig, weil Sie schon einmal zurückgetreten sind und man mit Ihnen offensichtlich nicht alles machen kann?
Wie mich die Kollegen sehen, fragen Sie besser bei ihnen nach. Ich hatte bislang aber nicht den Eindruck, als müsse ich mir Sorgen machen, nicht ernst genommen zu werden.
Werden Sie wieder zurücktreten, wenn Sie sich inhaltlich nicht durchsetzen können?
Ich bin jetzt gerade drei Wochen im Amt. Machen Sie sich mal keine Sorgen um meine Durchsetzungsfähigkeit.
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