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Verpackungsfreie SupermärkteBesser unverpackt? Ja, aber …

Waren, die nicht in Konserven oder Kartons stecken, sind nicht in jedem Fall umwelfreundlicher. Das zeigt die Ökobilanz eines Berliner Ladens.

Darf es eine Handvoll sein? Foto: dpa

Berlin taz | Im Laden Original Unverpackt in Berlin Kreuzberg werden Produkte ohne Verpackung verkauft. Das soll Ressourcen schonen. „Aber lohnt sich die Mühe, die wir uns machen, überhaupt?“, fragte sich Geschäftsführerin Milena Gimbovski. Als sie die Anfrage von Christina Scharpenberg bekam, die in ihrer Masterarbeit an der Uni Göttingen eine Ökobilanz zum unverpackten Einkaufen erstellen wollte, sah sie die Chance, eine fundierte Antwort zu bekommen. Und die fällt gemischt aus: Ja, aber.

Bei ihrer Untersuchung konzentrierte sich Scharpenberg bewusst auf die vermutlich kritischeren Produkte: Nicht das regionale Gemüse aus Brandenburg, das nur minimalen Transport- und Verpackungsaufwand erfordert, stand im Mittelpunkt ihrer Recherchen, sondern Waren mit weiten oder aufwendigeren Wegen.

Diese verglich sie mit verpackten Waren aus dem Biohandel: Nudeln, Chia-Samen, Tofu, Fruchtbären, Duschgel und Handspülmittel. Alle Produkte – bis auf den Tofu – werden im Großgebinde gekauft und den KundInnen in Spendersystemen angeboten. Dadurch kommt es zu einem vermehrten Reinigungsaufwand von Mehrwegbehältern.

Das macht sich vor allem bei den aufwendig zu reinigenden Fruchtgummigläsern bemerkbar. Das Fruchtgummi belegt neben dem Tofu den letzten Platz. Fazit: Es wird kein CO2 eingespart. Der Berliner Tofu in den Mehrwegpfandgläsern belastet die Umwelt sogar stärker als die Standardverpackungen. Das liege an der aufwendigen Glasproduktion, die sich negativ auf das Bilanzergebnis auswirkt, erklärt Scharpenberg. „Wir haben festgestellt, dass trotz Pfand die wenigsten Gläser zurückgebracht werden“, sagt Gimbovski. Inzwischen habe man einen besseren Weg gefunden: beschichtetes Einwegpapier. Zudem werde der Tofu nun statt mit dem Auto mit einem E-Lastenfahrrad angeliefert.

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Bei Chia-Samen fällt der Vergleich positiv aus

Bei den restlichen Waren fällt der Vergleich positiv aus. Bei den Chia-Samen können demnach im Vergleich zur herkömmlichen Verpackungsmethode 40 Prozent Umweltlasten eingespart werden. Auch das Duschgel und das Handwaschmittel aus den Spendern belasten die Umwelt etwa ein Drittel weniger als die in konventioneller Verpackung erhältlichen Produkte. Auch das Verhalten von 50 StammkundInnen wurde in die Berechnung miteinbezogen. Sie wurden etwa gefragt, wie sie zum Laden kommen oder wie sie zu Hause abwaschen.

„Wir versuchen, unseren CO2-Fußabdruck so weit wie möglich einzuschränken. Ein großer Teil liegt aber auch bei den KundInnen“, so die Inhaberin. Es sei zwar gut für das Geschäft, wenn Leute vom anderen Ende der Stadt kämen, aber nicht förderlich für den Aspekt der Nachhaltigkeit. Die geplante zweite Filiale könnte Abhilfe schaffen.

Der Berliner Tofu in Pfandgläsern erwies sich nicht als ökologischer, unverpackte Chiasamen schon

Ihr Fazit? „Die Ergebnisse haben uns überrascht,“ sagt Gimbovski. Man sei vor der Untersuchung davon ausgegangen, dass man bei allen Produkten den nachhaltigsten Weg gewählt hatte.

Repräsentativ für alle Läden könne die Ökobilanz des Kreuzberger Ladens nicht sein, sagt Melanie Kröger, die an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde zu den in Deutschland bestehenden Unverpackt-Konzepten forscht. Sie könne aber als Grundstein in der Forschung bezeichnet werden. Die wissenschaftliche Arbeit war deutschlandweit die erste dieser Art. Daran könne man mit weiteren Vergleichen und Bilanzen anknüpfen.

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9 Kommentare

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  • Als Gründerin des Ladens "Unverpackt, lose, nachhaltig, gut" in Kiel

    möchte ich meinen Standpunkt erläutern:

     

    Die CO2-Betrachtung allein reicht nicht aus, um eine aussagekräftige

    Ökobilanz zu erstellen: Die Müllproblematik gilt es ebenfalls zu betrachten

    (ins Besondere das Problem von Plastikmüll für spätere Generationen).

     

    Bei uns selbst war im September 2015 eine Studentin der

    Hochschule Magdeburg-Stendal (Anemie Merten) und hat eine Studie

    über das Müllentstehen unseres Ladens erstellt. Dabei hat sie die Menge des anfallenden Mülls des Unverpackt-Ladens in Kiel quantifiziert.

     

    Fazit der Studie:

    Die Müllmenge eines Unverpackt-Ladens ist im Vergleich zum

    konventionellen Supermarkt extrem gering, z.B. wog die gelbe Tonne

    bei uns ca. 13kg/Monat (Auf die Kundenanzahl runter gerechnet ca.

    10g pro Kunde). Diese Menge ist vergleichbar mit der eines normalen

    deutschen Haushalts.

     

    Eine weitere gute Nachricht ist, dass viele

    Lieferanten dank der steigenden Nachfrage nach Unverpackt-Läden ihre Verpackungsstrategie überdenken :-).

     

    Die Unverpackt Bewegung ist noch am Anfang, hat aber jetzt

    schon eine enorme Wirkung!

     

    Umweltfreundliche Grüße, Marie Delaperrière

  • CO2-Fussabdrücke hin und her:

    Entscheidend ist doch vor allem das THEMA HYGIENE liebe Leut:

    Wenn man heute z.B. in einem X-beliebigen Supermarkt "offen herumliegende" Tomaten, Gurken ,Äpfel, etc. kauft, mischt sich doch geradezu ein Gefühl von EKEL dazu.

    Wieso? Weil man SICHER weiß, daß diese Ware zuvor schon von 100ten anderen Kunden angefasst, befühlt, inspiziert wurde.........die alle keine gewaschenen Hände hatten, vorher vielleicht auf dem Klo waren ohne sich die Hände zu waschen oder in der Nase gepobelt hatten, etc........

    DAS ist ein MASSIVES PROBLEM des heutigen Systems. Deshalb tut Verpackung NOT, solange es nicht wieder - wie früher - eine Verkäuferin gibt, die - mit SAUBEREN HÄNDEN (!) - das ausschließliche Recht hat, die Ware anzufassen.

    Erst wenn wir diesen Zustand wieder erreicht haben, können wir - guten Gewissens - auf Verpackung verzichten und uns Gedanken über Ökobilanzen machen.

    Ansonsten ist die Ökobilanz vielleicht schön, wir aber sind mausetot.

    • @Georg Dallmann:

      Ekel vor Keimen, Mysophobie genannt, ist ein Krankheitsbild, was sich behandeln lässt.

       

      Spontan hilft in diesem speziellen Fall auch Abwaschen.

  • 3G
    35440 (Profil gelöscht)

    Ich finde es gut, dass die Leiterin des Supermarkts keine verbohrte Fanatikerin ist, sondern Fakten vertraut.

     

    Aber dass Verpackungen nicht automatisch ökologischer sind, nur weil sie -theoretisch- mehrfach verwendet werden könnten, hätte ich denen auch sagen können.

  • 6G
    65572 (Profil gelöscht)

    Duschgel und Handwaschmittel?

    Ein Stück Seife benötigt keine Verpackung und kein Behältnis das gereinigt werden müßte, belastet also die Umwelt um drei Drittel geringer.

    • @65572 (Profil gelöscht):

      Stimmt?!

      Die werden ab Werk einfach unverpackt auf den LKW/E-Rikscha gestapelt und dann vor dem Laden abgekippt, oder wie funktioniert das genau?

      • 6G
        65572 (Profil gelöscht)
        @Berliner Berlin:

        Nachdem es hier um Einzelhandel geht, war ich der irrigen Ansicht, nicht den ganzen Produktlieferweg berücksichtigen zu müssen.

        Aber, Rikscha mit Human-Antrieb und vor dem Laden abkippen, erscheint mir die Version mit dem geringsten Naturschädigungs-Potential.

  • Und am Ende bei all den Inselanstrengungen sei die Frage gestellt, was die gesamte Welt am Ende vor dem Kollaps retten wird. Vor dem Hintergrund der wachsenden Weltbevölkerung wohl nur technologische Durchbrüche.

  • ich finde das dieser Masterarbeit-Vergleich nicht viel sagt. So wie es sich von dem Inhalt dieses Artikels lesen kann der Vergleich ist nur auf der CO2 bilanz begränzt. Das ist aber nicht das gesamte Bild.

    Was ist mit dem Müll? Wenn der Verpackung wegfällt, sind das enorme Gewinne für die Umwelt.

    Der CO2 Ausstoß mit Umweltfreundlichkeit als Synonym zu betrachten ist gar nicht sinnvoll.

    Noch dazu der Vergleich von Tofu, das von sich selbst ein energieintesive Prozess ist.