: Zwei Nächte Feuer und Randale
USA Seit Samstag protestieren in Milwaukee wütende Schwarze gegen Polizeigewalt. Zum Tod des 23-jährigen Sylville Smith gibt es bislang unterschiedliche Versionen
Aus New York Dorothea Hahn
In einer Eskalation, die an Baltimore im Sommer 2015 und an Ferguson 2014 erinnert, herrscht seit Samstag Aufruhr in Milwaukee, Wisconsin. Wenige Stunden, nachdem ein Polizist den 23-jährigen Afroamerikaner Sylville Smith erschoss, gingen Autos, Geschäfte, eine Tankstelle und eine Bank in Flammen auf.
In der zweiten Nacht wütender Randale fielen am späten Sonntagabend auch Schüsse, mehrere Personen wurden verletzt. „Das passiert, wenn die Polizei uns nicht schützt, wie es ihre Arbeit ist, sondern uns tötet“, sagt ein junger Mann, der angibt, ein Bruder des Opfers zu sein, einem örtlichen Fernsehsender. Er vergleicht die Polizei mit der Terrororganisation IS.
So weit bislang bekannt, geriet Sylville Smith am Samstagnachmittag in eine Verkehrskontrolle an der Ecke Sherman Boulevard und Auer Avenue im Norden von Milwaukee und versuchte, zu Fuß vor der Polizei zu fliehen. Darüber, was dann geschah, gibt es widersprüchliche Versionen. Nach der Darstellung der Polizei hatte der Flüchtende eine Pistole in der Hand, mit der er auf einen Polizisten gezielt habe. Daraufhin habe der in den Arm und den Rücken des jungen Mannes geschossen. Nach Darstellung von jungen Leuten, die seit zwei Nächten auf der Straße sind, hatte Smith seine Pistole jedoch in einer Tasche. Sie sei herausgefallen, als er versuchte, über einen Zaun zu springen, und er habe versucht, sie aufzuheben.
Die Mutter des Getöteten sagte, er habe sich einen Waffenschein zugelegt, nachdem er „zweimal angeschossen und viermal beraubt worden“ sei.Polizeichef Edward Flynn sprach bei einer Pressekonferenz ausführlich – jedoch ohne Details – über vorausgegangene Straftaten des Getöteten und weigerte sich, das Video der Body-Camera des Todesschützen, eines schwarzen Polizisten, zu veröffentlichen.
Ein Bruder des Opfers
Milwaukee mit seinen 600.000 Einwohnern – darunter 40 Prozent Afroamerikaner – ist die größte Stadt von Wisconsin und zugleich eine der segregiertesten der USA. Die Weißen, deren Vorfahren aus Deutschland, Polen und Irland eingewandert sind, leben in den Vorstädten, die Afroamerikaner, deren Vorfahren erst Mitte des letzten Jahrhunderts aus den Südstaaten nach Milwaukee gekommen sind, leben in innerstädtischen Gebieten wie Sherman Park, wo am Samstag die tödlichen Polizeischüsse fielen. Im Norden von Milwaukee konzentrieren sich die sozialen Probleme, von schlecht ausgestatteten Schulen bis hin zu der häufigen Erfahrung von Polizeigewalt und Knast.
„Klagt an. Verurteilt. Schickt Killer-Cops ins Gefängnis“, skandierten rund 100 Demonstranten, die am Sonntag durch Sherman Park zogen. Unter ihnen waren Aktivisten von „Black Lives Matter“ und andere schwarzen Bürgerrechtsgruppen. Mehrere Schwestern des Getöteten riefen dazu auf, die nächtliche Randale zu stoppen. „Wir brauchen diese verdammten Tankstellen und diese Lebensmittelgeschäfte“, sagte die 22-jährige Sherelle Smith in einer Straßendiskussion.
Der Gouverneur von Wisconsin, ein Republikaner vom radikalen Tea-Party-Flügel seiner Partei, ließ kein Mitgefühl mit den Angehörigen des Opfers durchblicken. Hingegen lobte er am Sonntag ausführlich das Engagement der Polizei, rief seinerseits zu „Frieden und Gebet“ auf und mobilisierte die Nationalgarde.
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