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Seelische Gesundheit„Das ist eine Sauerei“

Bei der Gesundheitssenatorin demonstrierten gestern Betroffene für die sofortige Wiedereinführung des Krisendienstes für psychisch Kranke

Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) stellt sich dem Protest Foto: Jan Zier
Interview von Jan Zier

taz: Warum ist Bremen ist „psychiatrisch eine Bananenrepublik nach Gutsherrenart“, Herr Busch?

Jürgen Busch: Die gesetzliche Vorgabe, für psychisch kranke Menschen rund um die Uhr eine Versorgung zu gewährleisten, wird schon seit Ende März nicht mehr erfüllt. Es gibt keinen nächtlichen Krisendienst mehr. Das wird aber nicht beachtet! Und das ist nicht nur eine politische Verpflichtung, Bremen hat sich das rechtlich selbst auferlegt – und hält sich nicht dran.

Aber rot-grün investiert doch 1,2 Millionen Euro in die Verbesserung der psychiatrischen Versorgung – und wird dafür auch von Psychiatrie-Erfahrenen gelobt. Warum demonstrieren Sie dagegen?

Weil das Konzept der Landesregierung aktuell gar keine Verbesserung bringt! Es bringt uns das schon im März eingestellte Krisentelefon nicht zurück. Und es bringt uns auch nicht die aufsuchende Hilfe zurück. Die 1,2 Millionen Euro sind Mittel, die auch zur Erhaltung des bisherigen Krisendienstes hätten eingesetzt werden können. Der wiederum ist aus Geldmangel eingestellt worden. Das ist eine Sauerei!

Im Interview: Jürgen Busch

64, Psychologe, Jurist und Genesungsbegleiter in Ausbildung ist „Selbst-Aktiver Behinderter“ in der SPD

Der bisherige Krisendienst, wurde immer wieder kritisiert – als nicht nutzerorientiert und effektiv genug.

Der alte Krisendienst ist vom öffentlichen Dienst systematisch kaputt gespart worden! Da sind jedes Jahr zwei Prozent der Personalkosten eingespart worden. Die Mitarbeiter des Sozialpsychiatrischen Dienstes haben sich auch immer wieder über ihre massive Arbeitsüberlastung beschwert. 2010 wurde im Landespsychiatrieplan festgehalten, dass der 24-stündige Krisendienst in jedem Fall aufrecht erhalten werden soll. Doch durch die ständigen Sparmaßnahmen war der Nachtdienst zuletzt eine so große Zumutung für die Mitarbeiter, dass man ihn zur Rettung des Tagesdienstes ganz eingestellt hat.

Das ist illegal, sagen Sie.

Ja. Und ich stelle mich da auch als SPD-Mitglied gegen die offizielle Politik. Eine Klageschrift ist mindestens zur Hälfte fertig. Auch die Gesundheitsverwaltung und die Kliniken müssen sich an die geltende Rechtslage halten.

Rot-grün will ein eher präventives Nachtcafé für Menschen mit psychischen Problemen schaffen, dazu einen dezentralen Kriseninterventionsdienst, der nachts erreichbar ist.

Wir haben bisher nur gehört, dass es Stellen geben soll, zu denen man nachts hingehen kann. Von einem Krisennottelefon wissen wir noch gar nichts. Unklar ist auch, wann das kommt – wenn das Geld überhaupt bewilligt ist!

Einige Experten finden, dass aus den Plänen „ein schlüssiges Gesamtkonzept“ werden kann. Sehen Sie das anders?

Teilweise. Wir brauchen vor allem aufsuchende Hilfe, wo geschultes Fachpersonal – und nicht die Polizei – zu den Leuten nach Hause fährt. Zuletzt hat es gerade noch für einen Einsatz in der Nacht gereicht. Dazu brauchen wir – ab sofort! – wieder ein Krisentelefon, bei dem sich Leute Hilfe holen können. Wer einen Herzinfarkt hat, zu dem kommt der Notarzt nach Hause. Wer suizidal ist, der hat den gleichen Anspruch auf Lebensrettung wie körperlich kranke Menschen auch. Nur haben psychisch Kranke leider weniger Lobby. Dabei sind psychische Erkrankungen bei Verrentungen wegen Erwerbsunfähigkeit mittlerweile die wichtigste Ursache. Das ist aber noch nicht überall angekommen. Die Bremer Psychiatrie-Politik lobt sich immer gerne, wie wahnsinnig fortschrittlich sie doch ist. Ich bezweifle das aber.

Rot-grün will den Einsatz von Psychiatrie-Erfahrenen als „Genesungsbegleiter“ in den Kliniken fördern. Warum brauchen wir die so dringend?

Wir haben hierzulande den eklatanten Missstand, dass wir zwar fachlich ausgebildete Leute haben, die sich aber oft nicht so ausdrücken können, das Patienten sie auch verstehen. Das ist ein großes Kommunikationsproblem – hier können die Genesungsbegleiter, die selbst große Not erlebt haben, übersetzen. Die Frage ist aber, ob sich Krankenhäuser, Krankenkassen und Wohlfahrtsverbände dem öffnen können.

Zugleich kritisieren sie, dass die Genesungsbegleiter „keine demokratische Grundlage“ haben. Wie meinen Sie das?

Wen der Arbeitgeber einstellt und wen nicht, das bleibt ganz ihm selbst überlassen. Dabei müssten die GenesungsbegleiterInnen auch aus der Gemeinschaft der Betroffenen eine Legitimation bekommen – und als Fürsprecher ihrer Anliegen gewählt werden.

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