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Eine bewegende Rede

Aktion Vor dem Tigerkäfig stehen Leute, Briefe an Gauck werden verlesen. Das Zentrum für Politische Schönheit arbeitet vor dem Gorki Theater

Auf dem Fenster der Arena steht der Gesetzestext, den das ZPS kippen möchte Foto: Christian Mang

von Detlef Kuhlbrodt

Vor dem Gorki-Theater ist eine vergitterte und verglaste Arena aufgebaut. Zwei Tiger gehen hin und her, sie sind schön und kräftig, zwei weitere sieht man gerade nicht. Über der Arena steht in großen Lettern der Titel der Aktion des Zentrums für Politische Schönheit: „Flüchtlinge fressen“. Daneben das Bild einer Frau mit Kind und der Satz: „Mama, warum kommen die Flüchtlinge nicht einfach mit dem Flugzeug?“

Die Antwort liegt in in der Richtlinie 2001/51/EG, die der Europäische Rat vor 15 Jahren beschlossen hatte. Die Vorschrift sieht hohe Geldstrafen für Beförderungsunternehmen vor, die Menschen ohne gültige Visa in die EU transportieren. Da der Landweg dicht ist, ist sie mit verantwortlich dafür, dass die Flüchtenden den Weg über das Meer wählen und die Zahl der ertrunkenen Flüchtlinge weiter steigt. 3.400 sind seit Januar dieses Jahres gestorben oder gelten als vermisst. Das sind 12 Prozent mehr als im Vorjahr. Mit ihrer Aktion versucht das ZPS diese Vorschrift zu skandalisieren.

Das jeden Abend um 18.45 aufgeführte Spektakel ist klassisches Agitproptheater mit Zirkusdirektor, Clown und Gottesdienstversatzstücken, die nicht so ganz passen – die Kirchen sind ja gerade die Institutionen, die sich auf die Seite der Flüchtenden gestellt haben. Auf einem Fernsehschirm läuft am Freitagabend die Direktübertragung eines Tennisspiels; eine Tierrechtsaktivistin fordert Freiheit für die Tiger, eine Frau im Clownskostüm beginnt, Erich Mühsams „Appell an den Geist“ vorzutragen, und wird dabei mehrmals unterbrochen. Jemand sagt „diese Möchtegern-Schlingensiefaktion nützt niemandem“. Kindliche Leserbriefe an Joachim Gauck werden verlesen, in denen der Bundespräsident aufgefordert wird, sich für die Abschaffung der Richtlinie 2001/51/EG einzusetzen.

Sollte er oder der Bundestag sich für die Abschaffung dieser Richtlinie einsetzen, wird ein Flugzeug, die „Joachim I“ mit hundert Angehörigen von Flüchtlingen, die bereits hier sind, von Izmir nach Berlin fliegen. Wenn nicht, wollen sich Flüchtlinge von den Tigern auffressen lassen. Wie es aussieht, werden die für den Flug benötigten 80.000 Euro zusammenkommen.

Die etwa 45-minütige Show wird flankiert von einem Salon. Am Freitag ist Katrin Göring-Eckardt, die Ko-Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, zu Gast. Etwa 50 Zuschauer sind gekommen. Stefan Pelzer vom ZPS interviewt die Politikerin. Später setzt sich Philipp Ruch, Kopf des ZPS. Die Abgeordnete erzählt sehr lebendig von ihrem Besuch auf Lesbos, wo sie die Flüchtlinge willkommen hieß. Ihr gefällt die Inszenierung zwar nicht, sie findet aber alle Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzwingen, gut. Das Gespräch wirkt teilweise wie ein Verhör. „Sie wissen um das Massensterben. Wie gehen Sie damit um, dass das so weitergeht?“ Die Politikerin antwortet, sie müsse nicht agitiert werden, die Grünen hätten oft schon im Bundestag die Aufhebung der Richtlinie gefordert. „Ich bin nicht die Bundesregierung.“

Irgendwann wird sie nach den Handynummern der SPD-Abgeordneten im Bundestag gefragt. Göring-Eckardt bietet ihnen die Nummer von Gabriel an, was dem ZPS nicht genügt.

Das Presseecho ist groß. Die „Bundeserpresserkonferenz“ im Theatersaal, auf der das ZPS Montagmittag Flüchtlinge vorstellen will, die bereit sind, sich fressen zu lassen, ist überfüllt. Sieben hätten sich bislang bereit gefunden; eine – die geflüchtete syrische Schauspielerin May Skaf, die mehrfach in syrischen Gefängnissen saß und einem Millionenpublium im arabischen Raum bekannt ist, hält eine bewegende Rede. Es geht um die Grausamkeit des Bürgerkriegs und die Abschottung Europas. „Meine Geschichte ist die der europäischen Barbarei (…) Ich werde mich fressen lassen von Europa.“

Am Montagabend sind Jakob Augstein, die Zeit-Journalistin Elisabeth Raether und der Publizist Albrecht von Lucke zu Gast im Salon. Auszüge der Rede von May Skaf werden gezeigt. Am Rande tauschen Augstein und Philipp Ruch Visitenkarten aus. In der Ablehnung der EU-Richtlinie sind sich die Diskutanten einig, den künstlerischen Wert der Aktion „Flüchtlinge fressen“ beurteilen sie unterschiedlich. Augstein findet die Aktion gelungen, Lucke hat seine Zweifel. „Wir sind Teil einer unterhaltsamen Veranstaltung.“ Es bestehe die Gefahr einer „Verjuxung“ oder dass sich in der Steigerung die Mittel vernutzen.

Danach stehen immer noch viele Leute vor dem Tigerkäfig.

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