Vorwahlkampf in Bremen: Das Ticket nach Berlin
Kurz vor der Sommerpause teilt Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) ihrer Partei mit, dass sie gern in den Bundestag will. Das sorgt für Unruhe.
Für Unruhe dürfte das nicht nur in der Fraktion sorgen, die ja ohnehin schon zwei Abgänge verarbeiten muss und zudem Kappert-Gonther gerade erst als Vorstand bestätigt hat, sondern vor allem hinter den Kulissen und bei der langjährigen Bundestagsabgeordneten Marieluise Beck. Die hat sich zwar noch nicht erklärt, und laut Parteiinsidern soll sie sogar vor vier Jahren beteuert haben, nie wieder antreten zu wollen – in Reaktion darauf, dass der damalige Parteivorstand Kappert-Gonther gegen sie in Stellung gebracht hatte.
Aber selbst wenn dem so wäre – verbindlich ist so ein Versprechen natürlich nicht, und sich auf eine solche ererbte Absprache zu berufen, wäre für die neue Parteiführung eher peinlich. Mittlerweile deutet jedenfalls alles darauf hin, dass Beck, die 1983 erstmals in den Bundestag einzog – damals noch aus einem Wahlkreis in Baden-Württemberg, und noch bevor das Parlament im alten Bonner Wasserwerk untergebracht wurde – gerne noch eine weitere Legislatur dranhängen will. Und es heißt, dass sie ihre Bremer ParteifreundInnnen mit Einzelgesprächen und Überraschungsanrufen versucht, auf Linie zu bringen.
Vor vier Jahren hatte sie sich knapp gegen die damals politisch unerfahrene Kappert-Gonther durchgesetzt. Mittlerweile hat die sich aber im Land und in der Stadtgemeinde Bremen einen Ruf zumal als Gesundheitspolitikerin erworben, die mit populären Themen wie dem Einsatz für Bio-Essen in den Schulkantinen in Verbindung gebracht wird, aber auch sperrige und durchaus angstbesetzte Themen wie die Reform der ambulanten psychiatrischen Betreuung voranbringt.
Auf die bezieht sie sich auch in ihrem Bewerbungsschreiben, denn zwar würden die Vorstellungen über ein gesundes Leben in den Kommunen entstehen, „die gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen“ aber schaffe der Bundestag. Deshalb sei „wichtig, dass wir dort mit unseren Erfahrungen aus unserem Zweistädtestaat die Interessen der Kommunen glaubwürdig vertreten“.
Der Landesvorstand hat sich in der Kandidatinnenfrage Neutralität verordnet – ein Hinweis auf fehlende Einigkeit. Man begrüße „alle Bewerberinnen“, hieß es gestern. In der Vergangenheit hatte es allerdings mehrfach Auseinandersetzungen um Beck gegeben. So hatte die Bundestagsabgeordnete der Landesmitgliederversammlung noch im Oktober in einem Beitrag auf der Landesverbands-Homepage unterstellt, „jegliche Debattenkultur durch bösartige Unterstellungen zu zerstören“: Anlass war, dass sich eine Mehrheit dagegen ausgesprochen hatte, die Balkanstaaten Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern zu erklären.
Die Osteuropapolitik-Expertin behauptete auf der Landesverbands-Homepage, die Debatte habe das „Recht auf differierende Meinungen“ verletzt. Da verlor nicht nur Landesvorstandssprecher Ralph Saxe für einen Moment die Fassung: „Ich empfinde das, was Du schreibst – ganz persönlich – als nicht zutreffend“, kommentierte er mit verhaltenem Zorn.
Deutlich weiter war indes Landesschatzmeister Michael Pelster gegangen: Im Februar 2015 hatte er einen offenen Brief unterzeichnet – gerichtet an die Spitzen von Bundespartei und Bundestagsfraktion. Und gegen Marieluise Beck. Anlass waren deren beharrliche Warnung davor, die territoriale Integrität der Ukraine und ihrer Nachbarn der 'Besonnenheit“ deutscher Russlandpolitik geopfert werden.
Das auf der „Grüne Linke“-Site eingestellte Schreiben wirft Beck deshalb vor, Positionen zu vertreten, „die in keinster Weise grüne Beschlusslage“ seien. Was sie mache, „zum Teil in klar bestimmbaren neokonservativen transatlantischen Netzwerken“, sei „parteischädigend“. Ein schwerwiegender Angriff, der aber schon wieder verraucht zu sein scheint: Mittlerweile gilt Pelster als Beck-Befürworter.
Kappert-Gonther hat ihre Bewerbung unter das Oberthema Inklusion gestellt: Für sie bedeute „grüne Politik, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken durch Teilhabe und Gleichberechtigung“, schreibt sie. Die Errungenschaften dieser Politik gelte es, zu bewahren und weiterzuentwickeln“.
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