Prozess gegen Extremismus-Forscher: Eine Frage der Neutralität
Der Politologe Steffen Kailitz steht vor Gericht, weil er die NPD kritisiert. Der Richter: Jens Maier, ein AfD-Mann. Kann das gutgehen?
Seit 2007 arbeitet Kailitz am Hannah-Arendt-Institut der TU Dresden. Der 47-Jährige forscht zu Extremismus, seit mehr als 16 Jahren auch zur NPD. Für seinen Fachbereich war er neun Jahre lang Sprecher der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. Kailitz ist als Experte anerkannt. Im März war er als Sachverständiger vor das Bundesverfassungsgericht geladen – in die Verhandlung über das NPD-Verbot.
Vor einem Monat aber erteilte Maier dem Politikwissenschaftler einen Maulkorb. Kailitz, entschied der Richter, dürfe nicht mehr behaupten, die NPD plane „rassistisch motivierte Staatsverbrechen“ und wolle „acht bis elf Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben, darunter mehrere Millionen deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund“. Bei Zuwiderhandlung droht ein Ordnungsgeld von 250.000 Euro oder bis zu sechs Monate Haft.
Kailitz hatte die Äußerungen in einem Beitrag unter dem Titel „Ausgrenzen, bitte“ für Die Zeit geschrieben, der auch bei Zeit Online wurde der Beitrag veröffentlicht wurde. NPD-Anwalt Peter Richter beantragte eine einstweilige Verfügung – gegen Kailitz persönlich. Richter vertritt die NPD auch vor dem Bundesverfassungsgericht. Maier gab den Rechtsextremen recht. Auf eine Anhörung des Wissenschaftlers verzichtete er, wegen „Dringlichkeit“. Die NPD jubelte: Der Kritiker sei „in die Schranken verwiesen“ worden. Kailitz dagegen sah die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr. Und fürchtete, zentrale Forschungsergebnisse nicht mehr publizieren zu dürfen. Der Skandal war perfekt.
Denn hinzu kommt: Richter Jens Maier, 54, ist in der AfD und Mitglied des Schiedsgerichts des Landesverbands. Der Partei, die beklagt, die Meinungsfreiheit gelte hierzulande nicht mehr, obwohl sie „eines der wichtigsten Güter der Gesellschaft“ sei.
Unruhe in NPD-Reihen
Kailitz hat Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung eingelegt. Jetzt, im Saal A1.64, geht es erst einmal nicht um Inhalte. Sein Mandant habe seine Forschungsergebnisse seit 2007 bereits mehrfach publiziert, sagt Jörg Nabert, Kailitz’ Anwalt. Die NPD habe deshalb sogar einmal mit Kailitz Kontakt gehabt, seine Erkenntnisse seien also bekannt, Dringlichkeit bestehe nicht. Deshalb müsse die einstweilige Verfügung aufgehoben werden.
Tatsächlich hatte Kailitz seine Position auch ganz ähnlich vor dem Bundesverfassungsgericht vorgetragen. Am Zeugenpult hatte er vor sich die roten Robenträger, hinter sich die NPD-Leute und eine Phalanx an Innenministern und Verfassungsschützern. Die NPD strebe nach einer „ethnisch möglichst homogenen Volksgemeinschaft“, sagte Kailitz damals. Migranten bezeichne sie als „Bastarde“. Für diese plane die Neonazi-Partei eine „Rückkehrpflicht“, ein „Vertreibungsprogramm“. Wer so denke, müsse „zwangsläufig Arier-Nachweise“ einführen. Das reiche, um die Partei zu verbieten.
Die Verfassungsrichter hörten aufmerksam zu. In den NPD-Reihen brach Unruhe aus. Ihr Anwalt Richter schritt empört zum Mikro. Welches Programm Kailitz denn bitte gelesen habe? „Mit Sicherheit nicht das der NPD.“
In Saal A1.64 des Dresdner Landgerichts liest Maier aus einem Text von Kailitz aus dem Jahr 2007 vor. Es ist der Aufsatz, gegen den die NPD damals wegen eines Zitierfehlers einschritt. „Das ist das Gleiche, was sie in der Zeit geschrieben haben“, sagt Maier. Da ist klar: Der Richter scheint seine Meinung geändert zu haben. Für die einstweilige Verfügung sieht es schlecht aus.
Später aber wendet sich der Richter doch den Inhalten zu. Er sagt, er habe nicht den Eindruck, dass Kailitz’ Ergebnisse aus dem NPD-Programm ableitbar seien. Schon in der Verfügung, die er verfasst hatte, hatte er festgelegt, was das Gericht unter Vertreibung versteht: Menschen von einem an den anderen Ort zu schaffen – mit staatlicher Gewalt, ohne gesetzliche Grundlage. Ein solcher Plan finde sich im NPD-Parteiprogramm nicht. Dann liest Maier aus dem Programm der NSDAP vor. Das sei „schon ganz anders in der Diktion“.
Kailitz aber geht davon aus, dass es Vertreibungen mit gesetzlicher Grundlage geben kann, er bezieht sich auf das Bundesvertriebenengesetz. Er zieht den Schluss, dass die rechtsextremistische Partei solche Vertreibungen plane. Und ohnehin: Gehört es nicht zur Freiheit der Wissenschaft, dass man seine Begriffe definieren kann?
Kailitz hat auch, nicht lange vor der einstweiligen Verfügung, die sächsische Landtagsfraktion der AfD in Interviews als „unterdurchschnittlich“ kritisiert. Auch attestierte er der AfD – Maiers Partei –, sich gerade in Ostdeutschland „Richtung Rechtsextremismus“ zu radikalisieren.
Maier bestreitet, dass es hier einen Zusammenhang gibt. Der Wissenschaftler Kailitz sei ihm bisher kein Begriff gewesen. Mit der NPD in Verbindung gebracht werden will er nicht. „Ich bin in der NPD sicher nicht beliebt“, sagte der Richter der taz. Schließlich sei es „eine wichtige Aufgabe des Landesschiedsgerichts, Parteiausschlussverfahren wegen Kontakten zur rechten Szene zu betreiben“.
Auch Richter dürfen einer Partei angehören
Keine Verbindung zur NPD? Es gibt einen Facebook-Account eines Jens Maier aus Dresden, Geburtsdatum und Studienort passen. Unter den Freunden finden sich viele AfD-Leute – und zwei prominente Rechtsextreme: NPD-Chef Franz und der NPD-Rechtsbeauftragte Frank Schwerdt. Maier bestätigte der taz, dass er auf Facebook ist, zu dem Account aber will er sich nicht äußern: „Dazu sage ich nichts.“ Nur so viel: „Mit der NPD habe ich nichts zu tun.“
Richter dürfen einer Partei angehören, auch der AfD. Je mehr Anhänger die Rechtspopulisten gewinnen, desto häufiger werden sie auch in staatlichen Institutionen vertreten sein. Schon heute gehören Professoren, Polizisten, Lehrer der AfD an.
In Berlin arbeitet der AfD-Politiker Roman Reusch als Staatsanwalt – und ist Leiter der Abteilung für die „Auslieferung ausländischer Straftäter“. Am Landgericht Dresden gibt es neben Maier einen zweiten Richter, der AfD-Mitglied ist. Aber: Ein AfDler als Richter in einem solchen Fall? Das Landgericht verteidigt sich: Maier sei nach einem festen Schlüssel zugeteilt worden. Ein Austausch wäre „nicht zulässig gewesen“.
Die Empörung aber bleibt. Politiker kritisierten die Entscheidung als „gefährlich“. Günther Heydemann, Direktor des Hannah-Arendt-Instituts, sprach von einer „Einschränkung der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit“. Die Vereinigung für Politische Wissenschaft protestierte.
Nach einer halben Stunde reagiert NPD-Anwalt Richter auf Maiers Signale: Er zieht den Antrag auf die einstweilige Verfügung zurück, Maier hebt diese auf. Kailitz darf seine Forschungsergebnisse wieder publizieren. Richter kündigt auch an, bereits am Samstag Klage gegen Kailitz einzureichen. In einem so genannten Hauptverfahren wird darüber – wohl nicht vor Ende des Jahres – kein Einzelrichter entscheiden, sondern eine dreiköpfige Kammer.
Maier wird ihr aller Voraussicht nach angehören.
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