GLOBALGESCHICHTE Die polnische Regierung torpediert die Pläne für das Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs und vergeudet damit eine historische Gelegenheit. Eine Intervention
: Die Tragödie verstehen lernen

Panzer rein, Panzer raus oder wie die polnische Regierung Geschichte reduziert Foto: Adam Warzawa/PAP/dpa/picture alliance

von Timothy Snyder

Anfang 2017 sollte in Polen eigentlich das weltweit wohl ambitionierteste Museum zum Zweiten Weltkrieg eröffnet werden. Ein markanter schräg stehender Turm aus Glas und rotem Beton erhebt sich jetzt über den bereits fertiggestellten unterirdischen Räumlichkeiten, die die 37.000 Objekte des Museums beherbergen werden. Die größten Objekte – ein amerikanischer Panzer, ein sowjetischer Panzer und ein deutscher Eisenbahnwaggon – mussten während des Baus mithilfe von Kränen ins Gebäude gehievt werden. In seinen Ausstellungen, so versprach das Museum, werde es die Geschichte der 1930er und 1940er Jahre auf völlig neue Weise erzählen. Im Gegensatz zu anderen Museen, die dem verheerendsten Krieg der Geschichte gewidmet und die üblicherweise durchgängig nationalgeschichtlich konzipiert sind, hat sich das Museum in Danzig vorgenommen, die Sichtweisen von Gesellschaften aus aller Welt zu präsentieren, und zwar durch eine üppige Sammlung, die in den vergangenen acht Jahren zusammengetragen wurde, und durch Themenfelder, die scheinbar disparate Erfahrungen zusammenführen. Für ein solches Museum kann man sich kaum einen geeigneteren Ort vorstellen als Polen, dessen Bürger in diesem Krieg mit am schlimmsten zu leiden hatten.

Doch die gegenwärtige polnische Regierung unter Führung der konservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) scheint jetzt entschlossen, diesem Museumsprojekt ein Ende zu machen, und zwar mit der Begründung, dass es „die polnische Sichtweise“ nicht zum Ausdruck bringe. Diese Formulierung lässt sich nur schwer deuten und meint in der Praxis vermutlich, dass sowohl die polnischen Erfahrungen als auch die Geschichte des Krieges allgemein zu kurz kommen. Ein erster Schritt der neuen Regierung bestand darin, das fast fertiggestellte globale Museum durch ein obskures (und bislang nur auf dem Papier existierendes) lokales Museum zu ersetzen und anschließend zu behaupten, im Grunde habe sich nichts geändert. Das Ersatzmuseum soll dem Kampf um die Westerplatte gewidmet sein, bei dem polnische Truppen im September 1930 sieben Tage lang dem deutschen Überraschungsangriff an der Ostseeküste Widerstand leisteten. So heldenhaft dieser Kampf auch war: Ihn an die Stelle des gesamten Zweiten Weltkriegs zu setzen bedeutet, völlig aus dem Blick zu verlieren, wie Polen in den nachfolgenden fünfeinhalb Jahren für ihr Land und ihre Mitbürger kämpften. Ein solcher Schritt bedeutet aber auch eine verpasste historische Gelegenheit, das weltweite Verständnis des Krieges neu zu definieren.

Der Zweite Weltkrieg ist nach wie vor der entscheidende Konflikt der Moderne, aber bislang hat noch keine Institution den Versuch unternommen, ihn als globale Public History darzustellen. Anders als die meisten vergleichbaren Museen präsentiert das Museum in Danzig in der ursprünglichen Idee keine konventionelle Nationalgeschichte des Krieges und folgt keiner patriotischen Schlachtenchronologie, die der Ausarbeitung dieser oder jener offiziellen nationalen Erinnerung zupass kommt. Seine Darstellung beginnt lange vor dem deutsch-sowjetischen Angriff auf Polen 1939 und selbst vor der japanischen Besetzung der Mandschurei 1931 – Ereignisse, die üblicherweise als Beginn des Konflikts in Europa bzw. Asien gelten. Am Anfang steht vielmehr die Krise der Weltordnung nach dem Ersten Weltkrieg: Militarismus in Japan, Stalinismus in der Sowjetunion, Autoritarismus in Europa (darunter auch in Polen), Faschismus in Italien und Nationalsozialismus in Deutschland. Besonderes Augenmerk gilt den diplomatischen Krisen Ende der 1930er Jahre: dem Kampf um China, dem „Anschluss“ Österreichs, der Teilung der Tschechoslowakei, dem Spanischen Bürgerkrieg und dem Molotow-Ribbentrop-Pakt – dem 1939 geschlossenen Bündnis zwischen Nazideutschland und der Sowjetunion, das Hitler grünes Licht für den Angriff auf Polen gab.

Wie István Deák in seiner jüngsten Studie über den Krieg, „Europe on Trial“ (2015), gezeigt hat, führte die Appeasement-Politik gegenüber Hitler vor dem Krieg dazu, dass man während des Krieges mit Hitler kollaborierte; Stalins Entscheidung, Hitler 1939 zu beschwichtigen, war, so Deák, nicht die Ausnahme, sondern symptomatisch. In seiner beeindruckend nüchternen Haltung gegenüber der Frage der Kollaboration präsentiert das Museum in Danzig die Kriegsgesellschaften als Gruppen von Individuen, die Entscheidungen treffen mussten, auch wenn die Wahlmöglichkeiten damals allein auf schlechte Entscheidungen begrenzt waren.

Universelle Erfahrungen

Ein gewisses Maß an Anpassung ist eine beinahe universelle Erfahrung des Krieges, und das gilt umso mehr, wenn wie in diesem Falle die Besatzung angesichts der tiefgreifenden politischen und wirtschaftlichen Bestrebungen der Besatzer ungewöhnlich ist. Dass die gleichen Bevölkerungen – darunter auch die in Polen – oftmals mit mehreren Regimen kollaborierten, könnte unsere Vorstellungen von Gut und Böse und von der Bedeutung der Ideologie infrage stellen. Doch aus einem Ansatz, der all die verschiedenen Aggressoren und Besatzungen berücksichtigt, ergibt sich auch so etwas wie eine Alltagswahrheit über den Krieg.

Behandelt man, wie das Museum das tut, die Bombenangriffe auf Zivilisten als globales Thema, so rüttelt das an den Geschichten über den Krieg, die auf eine nationale Perspektive beschränkt sind. So bringen Deutsche die Bombenangriffe auf die Zivilbevölkerung im Allgemeinen mit dem Ende des Krieges in Verbindung, mit der Zerstörung deutscher Städte wie Hamburg und Dresden durch britische und amerikanische Luftangriffe. Für einige Deutsche bilden diese Bombardements eine Art „Ausgleich“ für die deutschen Gräueltaten im Krieg. Doch eine Globalgeschichte der Bombardierung von Zivilisten zeigt, dass die Italiener sich des gleichen Mittels schon viel früher in Äthiopien bedienten und dabei der gängigen europäischen Imperialpraxis folgten. Und es war Deutschland selbst, das diese imperiale Praxis nach Europa brachte, zunächst während des Spanischen Bürgerkriegs und anschließend, in massiver Weise, während des Einmarschs in Polen. Als deutsche Truppen im September 1939 Polen überfielen, bombardierte die Luftwaffe versuchsweise wehrlose Städte und tötete dabei allein in Warschau rund 25. 000 Menschen. Der amerikanische Fotograf Julien Bryan, der damals in Polen war, hielt mit seiner Kamera fest, wie deutsche Flugzeuge fliehende Zivilisten oder einfach nur Menschen, die auf den Feldern arbeiteten, unter Beschuss nahmen. Sein Fotoapparat befindet sich in der Sammlung des Museums. Doch auch wenn die Bombardierung europäischer Städte eine deutsche Neuerung war, werden die Amerikaner in dieser Ausstellung, die mit Hiroshima und Nagasaki schließt, deswegen noch lange nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.

Ein weiteres Thema des geplanten Museums, das uns wichtige Erkenntnisse über diesen Konflikt vermittelt, befasst sich damit, wie die verschiedenen Mächte mit Kriegsgefangenen umgingen. Besonderes Augenmerk gilt dabei einem der schlimmsten deutschen Kriegsverbrechen, das fast völlig in Vergessenheit geraten ist. Nachdem Hitler Stalin verraten und 1941 die Sowjetunion überfallen hatte, ließen die deutschen Truppen ganz bewusst drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene verhungern.

Hier wie überall im Museum sorgt das Beharren der Kuratoren auf einer globalen und vergleichenden Einbettung dafür, dass ein schockierendes Verbrechen begreifbare Form gewinnt. Das deutsche Bemühen, Millionen gefangener sowjetischer Soldaten zu vernichten, erscheint nämlich sinnlos, wenn man nichts über den nationalsozialistischen Rassismus und die Obsession der Nazis in Sachen Ernährungssicherheit weiß – Themen, die in benachbarten Ausstellungsräumen behandelt werden. Ähnlich wird das Museum die Hungerblockade Leningrads in den Blick nehmen, bei der eine weitere Million Sowjetbürger den Tod fanden. Einer der Texte, die in dieser Abteilung präsentiert werden, ist das herzzerreißende Tagebuch eines russischen Mädchens namens Tanja Sawitschewa, das all seine Familienangehörigen um sich herum sterben sah: „Nur Tanja ist geblieben.“

Die Idee einer radikalen Umgestaltung der Gesellschaft mittels Krieg war in Europa und Asien in den 1930er und 1940er Jahren weit verbreitet. Das geplante Museum wird die unterschiedlichen Vorstellungen von Besatzung bei den Sowjets (vor 1941, als die UdSSR vom Räuber zur Beute wurde), den Japanern und den Deutschen in den Blick rücken, aber auch zeigen, dass alle drei bestrebt waren, die von ihnen eroberten Gebiete ebenso umfassend wie rasant zu verändern. Auch in diesem Fall treten die deutschen Kriegsverbrechen durch die vergleichende Einbettung noch deutlicher hervor. Die Absicht der Deutschen, die Osteuropäer millionenfach verhungern zu lassen (der „Hungerplan“), und die deutschen Pläne von Anfang der 1940er Jahre für eine Kolonialbesiedlung (der „Generalplan Ost“) bekommen eine ganz neue Bedeutung, wenn man sie neben die sowjetischen Transformationen der genau gleichen Gebiete in den 1930er Jahren (die zu Hungerkatastrophen in der sowjetischen Ukraine und zu Massenerschießungen 1937 und 1938 führten) und neben die japanischen Bemühungen, einem Großteil Asiens die eigene Vorstellung von wirtschaftlicher Autarkie und politischer Herrschaft aufzuzwingen, stellt.

Die Vorstellungeiner nationalenUnschuld Polensist alles andereals unschuldig

Ein eigenes Thema bildet die Vernichtung der europäischen Juden. Die Darstellung dieses singulären Menschheitsverbrechens im Museum von Danzig ist bestimmt von den vorangegangenen Themen und von den jüngsten Forschungserkenntnissen. Das Morden beginnt mit dem deutschen Einmarsch in der Sowjetunion 1941 und setzt sich den ganzen Krieg hindurch als eine Serie von Erschießungskampagnen fort. Die Technik der Vergasung durch Kohlenmonoxid kam zum Einsatz, um 1942 die meisten Juden in Polen zu ermorden.

Die weit überwiegende Mehrheit der Opfer des Holocaust sind polnische und sowjetische Juden; so gut wie jeder, der im Holocaust umkommt, war vor dem Krieg in Polen oder in der Sowjetunion zu Hause oder wurde in das von Deutschen besetzte Polen oder in die besetzten Gebiete der UdSSR deportiert, um dort umgebracht zu werden. Weil der Holocaust eine Reihe von Stadien umfasste, die mit dem Fortschreiten eines komplexen Krieges zu tun hatten und überall in Europa seine Opfer fand, könnte ein internationales Museum des Krieges den Verlauf der Judenvernichtung vielleicht deutlicher zeigen als Museen, die allein diesem Verbrechen gewidmet sind.

Womöglich liegt genau darin das Problem für die gegenwärtige polnische Führung. Denn ein umfassendes Verständnis des Holocaust macht es sehr schwer, die europäischen Nationen schlicht in Täter und Opfer zu unterteilen. Die Vorstellung einer nationalen Unschuld Polens, welche die aktuelle Regierung offenbar unbedingt bewahren möchte, ist ihrerseits alles andere als unschuldig. Wenn Polen einzig und allein Opfer nationalsozialistischer Aggression waren, was sollen wir dann von Ereignissen während des Krieges halten, bei denen Polen selbst Kollaborateure oder Täter waren? Was sollen wir beispielsweise mit den Schlüsseln der ermordeten Juden von Jedwabne anfangen? Als die Juden dort im Juli 1941 von ihren polnischen Nachbarn gezwungen wurden, sich auf einem öffentlichen Platz zu versammeln, hatten sie ihre Schlüssel dabei, denn sie gingen natürlich davon aus, dass sie bald wieder nach Hause gehen könnten. Stattdessen wurden sie in eine Scheune getrieben und dort verbrannt. Geblieben sind nur ihre Schlüssel, und sie hat das Museum zusammengetragen. Wenn das Museum aufgegeben wird, wird man sie vermutlich nie zu Gesicht bekommen.

Gleichzeitig bedroht das Aus für dieses Projekt viele Artefakte, die das Leid polnischer Familien durch deutsche oder sowjetische Unterdrückung dokumentieren. Man denke etwa an die Familie Wnuk, in der im gleichen Jahr, 1940, ein Bruder von den deutschen und ein anderer von den Sowjets exekutiert wurde. Bolesław Wnuk gelang es, seiner Familie kurz vor seiner Hinrichtung eine Nachricht zu hinterlassen: „Heute werde ich von den deutschen Machthabern erschossen werden. Ich sterbe mit einem Lächeln auf den Lippen für das Vaterland, aber ich sterbe unschuldig.“ Diese Zeilen, die er auf ein Taschentuch gekritzelt hatte, ließ ein polnischer Gefängniswärter der Familie Wnuk heimlich zukommen. Siebzig Jahre später überließ die Familie es dem Museum in Danzig. Es gehört zu den Zehntausenden von Objekten, die dem Museum zur Präsentation und Aufbewahrung übergeben wurden. Wenn die Eröffnung des Museums verhindert wird, dann wird dieses Artefakt wie Tausende andere der Öffentlichkeit vorenthalten bleiben.

Trotz aller Bedenken der Regierung wird im Museum auch jede Menge polnisches Heldentum zu sehen sein. Polen ergab sich Deutschland nie, und dem Widerstand im Untergrund in Gestalt der Heimatarmee wird reichlich Beachtung zuteil. Sie wurde 1942 gegründet und kämpfte vor allem im Jahr 1944 gegen die Deutschen; sollte sich das Museum wie gefordert ausschließlich mit den Ereignissen von 1939 beschäftigen, gerät all das aus dem Blick. Das gilt auch für den Beitrag, den polnische Piloten bei der Verteidigung Londons gegen die Luftwaffe 1940 leisteten, und für die Mitarbeit polnischer Mathematiker bei der Entschlüsselung des deutschen Enigma-Systems. Kaum jemand im Westen weiß, dass zwei entscheidende Bestandteile der britischen Kriegsgeschichte, die Battle of Britain und Bletchley Park, von polnischer Unterstützung abhingen. Ohne das Museum in Danzig, in dem eine Enigma-Verschlüsselungsmaschine zu sehen ist, werden diese polnischen Leistungen vermutlich weiter im Verborgenen bleiben.

Will man das volle Ausmaß polnischen Leids und Widerstands zeigen, ist eine Globalgeschichte des Krieges von essenzieller Bedeutung. So wurde die 1. polnische Panzerdivision in Großbritannien aufgestellt, sie landete in der Normandie, befreite Dörfer und Städte in Frankreich, Belgien und den Niederlanden und kämpfte sich bis nach Norddeutschland vor. Wüssten die Europäer, dass Polen über eine siegreiche Panzerdivision verfügte, geriete das Klischee von der nichtsnutzigen polnischen Kavallerie, die mit Säbeln gegen deutsche Panzer ins Feld zieht, ins Wanken.

Noch dramatischer war das Schicksal des 2. polnischen Korps, das aus Männern bestand, die nach dem sowjetischen Einmarsch in Polen 1939 in den Osten der UdSSR verschleppt worden waren. Nachdem Stalin diesem Korps erlaubt hatte, nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion an der Westfront zu kämpfen, fochten und starben diese Männer unter britischem Kommando 1944 in der Schlacht um Italien. Die Angriffe auf Monte Cassino, ein legendärer Moment physischen Mutes, waren für viele von ihnen nur der letzte Schritt auf einem unvorstellbar tränenreichen Weg. Die Geschichte dieser Soldaten – Polen und Niederlage, Sibirien und Verbannung, Naher Osten und Aufmarsch, Italien und Ruhm – ist für sich genommen ein globaler Schnappschuss des Krieges.

Das vielleicht Überraschendste an der Entscheidung der polnischen Regierung aber ist die implizite Allianz mit der gegenwärtigen russischen Erinnerungspolitik. Die polnische Geschichte des Zweiten Weltkriegs auf den einwöchigen Kampf gegen Deutschland auf der Westerplatte 1939 zu reduzieren, folgt einem russischen Drehbuch, das umfassend dokumentiert ist. In einer Rede auf der Westerplatte räumte Wladimir Putin 2009 zwar ein, dass Polen und nicht die UdSSR das erste Opfer deutscher Aggression war. Er machte jedoch eine wichtige Einschränkung, die er seither mehrere Male ausführlicher dargelegt hat. Denn der deutsche Angriff auf Polen, so die Behauptung Putins, sei eine Folge von Polens eigenen Mauscheleien mit Nazideutschland vor dem Krieg gewesen und nicht Folge des deutsch-sowjetischen Bündnisses von 1939 (bei dem ausdrücklich von der Aufteilung Polens die Rede war) und des sowjetischen Einmarschs im gleichen Jahr.

Das Thema des Zusammenbruchs der Demokratie könnte kaum aktueller sein als gerade heute

Die massive sowjetische Unterdrückung polnischer Bürger, die aus der deutsch-sowjetischen Allianz und dem sowjetischen Einmarsch in Polen im September 1939 resultierte, fand 1940 im besetzten Ostpolen statt. Eine halbe Million Polen wurden von dort in den Gulag deportiert. Das Museum in Danzig hat die Rangabzeichen einiger der 22.000 polnischen Offiziere gesammelt, die im April 1940 vom NKWD in Katyn ermordet wurden – eine bescheidene Reliquie aus diesen sowjetischen Todesgruben. Sobald es mit dem Museum vorbei ist, kann der Kreml mit Zuversicht darauf hoffen, dass niemand sonst in Europa (abgesehen von den baltischen Ländern) den Versuch unternehmen wird, die sowjetische Aggression von 1939 und das Besatzungsregime zwischen 1939 und 1941 der öffentlichen Geschichte des Krieges einzuschreiben.

Der nächsten Generation werden die politischen Fehden, die heute in Warschau toben, reichlich egal sein. Sicher aber ist, dass Tausende polnischer Familien sich sehr wohl daran erinnern werden, dass ihre wertvollen familiären Erbstücke zunächst angenommen und dann abgelehnt wurden. Und wenn die Kräne ein zweites Mal anrücken und den amerikanischen Panzer, den sowjetischen Panzer und den deutschen Eisenbahnwaggon abtransportieren und damit die polnische und internationale Geschichte des Krieges demontieren, wird das neben spektakulären Fotos dauerhaften Eindruck hinterlassen.

Am schwersten aber wiegt: Die Unterdrückung der nationalen Erinnerung könnte in den kommenden Jahrzehnten von entscheidender Bedeutung sein für Polen und für ein globales Publikum, das die komplizierten Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg erst noch vollständig begreifen muss. Wie künftige Generationen von Polen sich selbst, die Demokratie und Europa sehen, wird zumindest in gewissem Maße davon abhängen, ob sie wirklichen Zugang zur vielschichtigen Erfahrung ihres Landes im Zweiten Weltkrieg haben werden.

Der Zusammenbruch der Demokratie, das Eingangsthema des Museums, könnte kaum aktueller sein als gerade heute. Und die Darstellung des Konflikts als globale Tragödie könnte kaum lehrreicher sein. Die Liquidation des Museums noch vor seiner Eröffnung ist nichts weniger als ein brutaler Schlag gegen das kulturelle Erbe dieser Welt.

Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Wirthensohn. From The New York Review of Books Daily, Copyright 2016 by Timothy Snyder

Timothy Snyder ist Historiker an der Yale University und der Autor von „Bloodlands“ (2011) und „Black Earth“ (2015). Für das „Museum des Zweiten Weltkriegs“ ist er im wissenschaftlichen Beirat.