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Erinnerungskultur in BayernMünchen soll nicht stolpern

Stolperstein-Befürworter klagten auf das Recht einer Sondernutzungserlaubnis. Das Münchner Verwaltungsgericht weist das ab.

Zwei Stolpersteine vor Gericht: Per Petition forderten mehr als 80.000 Menschen die Aufhebung des Verbots Foto: dpa

BERLIN taz | In der bayerischen Landeshauptstadt wird es auch weiterhin keine Stolpersteine im öffentlichen Raum geben. Das Münchner Verwaltungsgericht wies am Dienstag die Klage dreier Nachkommen jüdischer NS-Opfer ab. Diese wollen für ihre ermordeten Verwandten Stolpersteine vor deren jeweils letzten Wohnsitzen verlegen und klagten auf das Recht einer Sondernutzungserlaubnis.

Eine solche Erlaubnis ist nötig, wenn öffentlicher Grund für eigene Zwecke benutzt wird, beispielsweise um Zeitungskästen aufzustellen oder einen Info-Tisch, und dabei „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs“ behindert werden. Hinter dem Versuch der Kläger, dieses Sondernutzungsrecht auch für Stolpersteine zu erhalten, stand die Idee, den Münchner Stadtrat zu einer erneuten Diskussion zu zwingen und damit vielleicht einen Ausgang zugunsten der Stolperstein-Freunde zu erwirken.

An die 60 000 Messing-Quadrate, darin eingraviert die Namen von Opfern des NS-Terrors, blinken nicht nur deutschlandweit, sondern in ganz Europa auf Gehsteigen oder öffentlichen Plätzen, in Städten und Gemeinden. Sie veranlassen, so die Idee, die PassantInnen zum Innehalten, Lesen, Erinnern. Die Metalltafeln sollen kein echtes Stolpern verursachen – die Tafeln sind fast bündig in den Boden eingelassen – sondern zu einem Stolpern im Kopf.

In München hält man davon allerdings wenig. Der Stadtrat hatte schon 2004 und dann noch einmal 2015 gegen diese Form des Gedenkens gestimmt. Dabei stützte er sich vor allem auf die Bedenken von Charlotte Knobloch, der Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, die die Stolpersteine für ein „unwürdiges Gedenken im Straßenschmutz“ hält, bei dem die Namen der Opfer mit Füßen getreten würden.

Darüber ärgern sich die Mitglieder der Vorsitzende der Initiative Stolpersteine für München. Ihr Vorsitzender Terry Swartzberg: „Frau Knobloch maßt sich an, für alle Nachkommen von Opfern zu sprechen.“ Es werde aber auch anderen Opfern der Nazis gedacht, wie Homosexuellen, Widerständlern oder Roma und Sinti. Zudem empfänden auch viele jüdische Bürger die Stolpersteine als eine würdige Erinnerungsform. „Jeder, der die Namen liest, neigt automatisch seinen Kopf, und je mehr Füße über die Steine laufen, desto stärker blinken sie“, so auch Christof Eberstadt, 63, einer der drei Kläger.

Indem das Verwaltungsgericht aber zur Auffassung kam, die Gedenksteine bedürften gar keines Sondernutzungsrechts, wies es die Klage ab. „Damit hat sich das Gericht um das Entscheidende gedrückt“, befindet Klägeranwalt Hannes Hartung. „Nach dem jetzigen Urteil ist die Sache nur privatrechtlich via einen Vertrag zu regeln.“ Dazu könnten die Stolpersteinbefürworter die Stadt aber nicht zwingen. Das letzte Wort ist für ihn daher noch nicht gesprochen. „Wir ziehen vor den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.“

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7 Kommentare

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  • Richtig!

     

    Ich halte diese ganze Aktion für Wirtschaftlichen Aktionismus um künstliches Wachstum zu schaffen!!

     

    Wir haben KZ, die als Gedenkstätten fungieren. Wir können im Unterricht, Medien dafür sorgen immer wieder an die Grausamkeit der NS_Zeit zu erinnern!

     

    Diese Metalltafeln dienen einzig und alleine der Wirtschaft. Da kaum ein Mensche diese im täglichen Stress wirklich wahr nimmt.

    • @Frei_Denken:

      Steckt ein Großkonzern dahinter, oder was? Natürlich verdient irgendjemand daran, wenn der Künstler sein Material besorgt. Maßlose Geldscheffelei dahinter zu vermuten, halte ich dennoch für an den Haaren beigezogen.

       

      Ich glaube, man muss nicht vor jedem Stolperstein andächtig stehen bleiben, etwas zu spüren. Sie sind auffällig genug, auch bei dem schnell vorübergehenden einen Eindruck zu hinterlassen.

       

      Es sei denn, einer ist grundsätzlich auf "scheißegal" gepolt.

  • 4G
    4225 (Profil gelöscht)

    Ein 63jähriger Kläger kann zwar ein Verwandter, aber kein Nachkomme eines ermordeten jüdischen NS-Opfers sein, weil er weit nach dem Ende des Dritten Reiches zur Welt gekommen ist.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @4225 (Profil gelöscht):

      Nach|kom|me, der; -n, -n [mhd. nachkome, auch = Nachfolger]: Lebewesen (bes. Mensch), das in gerader Linie von einem anderen Lebewesen abstammt: keine, viele -n haben;

       

      © Dudenverlag

  • 3G
    33324 (Profil gelöscht)

    Vor meinem Atelierhaus sind Stolpersteine in den Gehweg eingelassen. Regelmäßig beobachte ich Menschen, die dort "stolpern" und nachdenklich innehalten. Die meisten jedoch gehen achtlos vorüber. Man gewöhnt sich eben viel zu schnell daran. Man muss die Argumentation von Frau Knobloch und des Münchner Stadtrates nicht in Gänze teilen, nachvollziehbar ist sie aber.

    • @33324 (Profil gelöscht):

      Stolpersteine sind die flächendeckendste und dezentralisierteste Form von Denkmal, die ich kenne.

       

      Wenn man nicht mit Sturköpfen wie in München zu kämpfen hat, ist das einfach leichter zu organisieren als Gedenktafeln an sämtlichen betroffenen Häusern.

       

      Die Steine sehen gut aus, unwürdig finde ich sie nicht und "Schmutz" kann jedes Freiluft-Denkmal besudeln. Gerade Gehsteige werden für gewöhnlich eher sauber gehalten.

       

      Im Großen und Ganzen finde ich es keineswegs nachvollziehbar, gegen Stolpersteine zu sein - es sei denn, man will nicht gedenken.

      • 8G
        86548 (Profil gelöscht)
        @Ein alter Kauz:

        Es ist sehr wohl nachvollziehbar gegen die Stolpersteine zu sein, und zwar dann wenn es nicht nur um das Gedenken sondern um das würdige Gedenken geht. Und ein Stein, auf dem Sie jeden Tag die Hinterlassenschaften von Tauben und Hunden finden, ist meiner Meinung nach kein würdiges Denkmal für Millionen von Toten.