Stifungsvorsitzender über Gedenken: „Plaketten auf Augenhöhe“
Oldenburg gedenkt jüdischer NS-Opfer nicht mit Stolpersteinen, sondern mit Tafeln und Stelen. Warum das so ist, erklärt Dietmar Schütz.

Die Alternative zu den Stolpersteinen: Erinnerungstafeln wie hier in München Foto: dpa/Matthias Balk
taz: Herr Schütz, Zehntausende „Stolpersteine“ zur Erinnerung an Opfer der NS-Diktatur sind allein in Deutschland verlegt worden, in fast 1.300 Städten und Gemeinden, auf Initiative des Kölner Künstlers Gunter Demnig. Warum geht Oldenburg einen anderen Weg?
Dietmar Schütz: Die jüdische Gemeinde unserer Stadt hat sich schon früh gegen die Stolpersteine ausgesprochen. Sie möchte nicht, dass Passanten auf die Gedenktafeln treten und sie so verschmutzen.
Ein gedanklicher Schulterschluss mit Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern – und entschiedene Stolperstein-Gegnerin?
Wir haben uns angesehen, wie die jüdische Gemeinde München das handhabt, und das fanden wir gut. Beide Gemeinden kennen sich auch schon lange.
Wurden andere Opfergruppen einbezogen, Sinti und Roma etwa, Homosexuelle, Euthanasiebetroffene?
Dietmar Schütz

Foto: privat
78, war von 2001 bis 2006 Oberbürgermeister von Oldenburg und ist heute Vorsitzender der dortigen Bürgerstiftung.
Die meisten Stolpersteine erinnern ja an jüdische MitbürgerInnen. Deshalb haben wir die „Deutungshoheit“, wenn man das denn so ausdrücken will, akzeptiert. Aber natürlich steht unser Projekt auch anderen Opfergruppen offen.
Fallen Bodensteine nicht eher auf als Tafeln oder Stelen?
Ob das so ist, weiß ich nicht. Unsere Plaketten sind ja an den Wänden genau auf Augenhöhe platziert, und die Stelen stehen im Straßenraum vor den Häusern. Ich denke, das sieht man sehr gut. Wir gravieren übrigens zusätzlich ein Foto ein und eine Webadresse. So bekommt man noch viel mehr Informationen.
Mahnmale, die aufrecht stehen, können natürlich auch geschändet werden.
Aus München höre ich, dass es nicht zu Schändungen gekommen ist. Einige Plaketten sind überklebt worden, aber das Ausmaß der Übergriffe war gering. Wir erwarten keine größeren Probleme.
Ihre Erinnerungszeichen greifen das Demnig’ sche Design auf.
Übergabe von Tafeln und Stelen für zunächst 13 ermordete jüdischen Menschen: 15. November, 15 Uhr, Kulturzentrum PFL, Peterstraße 3, Oldenburg. www.erinnerungszeichen-oldenburg.de
Unsere Plaketten, auch die in München, haben in etwa die Größe der Stolpersteine. Es wäre kontraproduktiv, finden wir, wenn alle Städte, die keine Stolpersteine wollen, jeweils alles komplett neu entwerfen.
Fürchten Sie nicht, dass ein solcher Gedenkstreit Irritationen beim Betrachter auslöst? Schließlich liegen in Oldenburg ja auch schon Stolpersteine.
Wir konzentrieren uns derzeit auf die Häuser ehemaliger jüdischer MitbürgerInnen, dort gibt es fast nirgendwo einen Hinweis. Wo es geht, gehen wir direkt an die Häuser, sonst stellen wir Stelen auf. Einen Unterschied zu München gibt es übrigens: Wir würden das als Stiftung gerne mit den BürgerInnen zusammen machen: Wir möchten Straßengemeinschaften beteiligen, Schulen.
Leser*innenkommentare
Beate Homann
Oh, wie gut: Das Oldenburger Stelenprojekt ist endlich eine würdige Form, um im Straßenbild an Verfolgte des NS-Regimes zu erinnern! Denn die Stolpersteine sind letztendlich fatale Objekte, auf deren Zwiespalt Charlotte Knobloch treffend und vehement hingewiesen hat: Die Absicht, das Unrecht sichtbar zu machen, wird konterkariert durch den Umstand, dass man mit den Stolpersteinen das Andenken mit Füßen tritt. Und wie schmerzlich, wenn diese kleinen messingbeschichteten, häufig dunkel angelaufenen Quadrate dann dokumentieren, dass sie und wofür sie stehen, noch nicht einmal der Aufmerksamkeit wert sind!