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Extreme Militanz schützt vor verdeckten Polizeiermittlern

Kriminalität In der rechten Szene kursieren zahlreiche Berichte von Anwerbeversuchen als Spitzel. Die Polizei allerdings scheint daran wenig Interesse zu haben – zu groß ist die Angst, sich strafbar zu machen

„Spitzelst du noch oder hängst du schon?“ Es ist eine klare Drohung, die in der Broschüre „Spitzel Ex“ des rechten „Aktionsbüros Netzwerknord“ formuliert ist. In der rechtsextremen Szene ist die Sorge vor Spitzeln groß. Erst vor ein paar Wochen warnte die NPD Niedersachsen vor „einigen ‚Herren‘ vom umstrittenen Verfassungsschutz“, die „national eingestellte Menschen“ aufsuchen würden.

Auf Webseiten der Szene wird immer wieder von Anwerbeversuchen durch die Inlandsgeheimdienste berichtet. Die 2008 veröffentlichte Broschüre „Spitzel Ex“, die bis heute im Netz weiterverbreitet wird, empfiehlt, diese Versuche öffentlich zu machen. „Verschiede Behörden“, heißt es dort, würden die „systemkritische politische Bewegung“ infiltrieren. Der Verfassungsschutz sei dabei „federführend“, aber auch „die politische Polizei“ versuche, Spitzel anzuwerben beziehungsweise schleuse Beamte undercover ein.

Wenn man nach den Berichten geht, ähneln sich die Methoden der Kontaktaufnahme: Meist erhalten die Betroffenen in alltäglichen Situationen Besuch von zwei Personen, Männer und Frauen der Dienste, die die Zielperson bei der Arbeit, der Bundeswehr, vor der Schule und bei sich zu Hause ansprechen. In Niedersachsen sollen laut NPD gleich über sechs Personen zu Hause bei einem ehemaligen Mitglied ihre Jugendorganisation „Junge Nationaldemokraten“ vorbeigeschaut haben.In den vergangenen Jahren enttarnte die Szene im Norden allerdings niemand, der oder die den Diensten dienlich gewesen wäre. Ebenso wenig flog ein verdeckter Ermittler oder eine verdeckte Ermittlerin auf.

Über verdeckte Ermittlungen mögen freilich weder Geheimdienste noch die Polizei gern reden. In der Hamburger Bürgerschaft äußerte sich allerdings die Innenbehörde einmal über den Einsatz von verdeckten Ermittlern (VE) in der rechten Szene: Bei einer Diskussion am 5. 11. 2015 über die Einrichtung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum NSU-Terror in Hamburg sagte die Referentin der Hauptabteilung A der Innenbehörde, Susanne Fischer: „VE im Bereich Rechts können Sie nicht ohne Saufen und Straftaten. Beides sehen wir bei unseren Polizisten nicht gerne. Das geht gar nicht.“ Prompt ruft Christiane Schneider von der Linkspartei laut Wortprotokoll dazwischen: „Nach dem Motto: ‚Das überlassen wir dem Verfassungsschutz‘.“

Fischer sagte weiter, das die V-Leute eben keine Beamten seien. In der rechten Szene könne man das „nicht sauber händeln und deswegen lässt das LKA das ganz“. Sprich: Die hohe politische motivierte Kriminalität, die in der Logik der Sicherheitsbehörden ein Argument für verdeckte Maßnahmen zwecks Gefahrenabwehr sein müsste, sorgt dafür, dass verdeckte Maßnahmen unterbleiben.

Anders formuliert: Aus der Sorge heraus, dass sich die Ermittler an Straftaten beteiligen müssten, um akzeptiert zu werden, überlässt die Polizei das rechte Feld lieber dem Verfassungsschutz.

Das trifft im Übrigen auf alle kriminellen Milieus zu, auch bei der organisierten Kriminalität ist das nicht anders. Wenn Fischers Aussage zutrifft, schützt die Rechte ihre extreme Militanz. Und die ist ja nun mal ein Faktum: 2015 haben sich laut dem BKA allein die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte verfünffacht – 1.005 Attacken wurden gezählt. Andreas Speit

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