Nordrhein-Westfalen kauft Jodtabletten: Mit Pillen gegen den belgischen GAU
Belgiens Atomkraftwerke gelten als störanfällig. Nun kauft Nordrhein-Westfalen Jodtabletten für den Ernstfall. Was will die Landesregierung damit?
Wie können Jodtabletten beim Atomunfall helfen?
Nach einem Unfall in einem Atomkraftwerk können große Mengen radioaktiver Partikel freigesetzt werden, die beim Menschen noch Jahrzehnte später zu Krebs oder anderen strahlenbedingten Erkrankungen führen können. Kaliumjodid schwächt die Aufnahme radioaktiven Jods in der Schilddrüse stark ab. Eine rechtzeitige Jodprophylaxe kann also die Entwicklung von Schilddrüsenkrebs verhindern, von anderen Krebsarten aber nicht.
Was ist bei der Einnahme zu beachten?
Zu früh eingenommene Jodtabletten entfalten keine Schutzwirkung, davor warnt die Strahlenschutzkommission. Optimal ist die Einnahme drei bis sechs Stunden vor Eintreffen der radioaktiven Wolke.
Gibt es Nebenwirkungen?
Hochdosiertes Kaliumjodid ist ein Medikament, daher sind schwere Nebenwirkungen selten, aber möglich. Risikogruppen sollten von einer Einnahme absehen, etwa Menschen mit einer Schilddrüsenüberfunktion oder einer Jodallergie. Vorbehalte bestehen auch bei Autoimmunerkrankungen, Nieren- und Herzproblemen sowie Asthma.
Wo bekomme ich die Jodtabletten?
Hochdosierte Kaliumjodtabletten gibt es rezeptfrei in der Apotheke. Am besten lagert man sie zu Hause. Bei einem Super-GAU begrenzen die Katastrophenschutzbehörden nämlich die Ausgabe: Im Umkreis von 100 Kilometern um den Atommeiler werden sie nur an Menschen unter 45 ausgegeben, im weiteren Umfeld nur an Schwangere und Kleinkinder. Die Organisation Ärzte gegen Atomkraft, IPPNW, hält diese Einschränkungen für überholt, fordert „Jodtabletten für alle“. In NRW wird es zudem Monate dauern, bis die Vorräte flächendeckend aufgefüllt sind. Kommunen im 100-Kilometer-Umkreis des AKW Tihange, wie etwa Aachen, wollen die Prophylaxe künftig direkt an die Haushalte ausgeben.
Beruhigt der flächendeckende Kauf von Jodtabletten in NRW die Bevölkerung oder bewirkt er das Gegenteil?
Beruhigend wirkt die Maßnahme sicher nicht. Doch das Land folgt eigentlich nur den aktuellen Empfehlungen der Strahlenschutzkommission des Bundes. Die hatte nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima gefordert, dass bundesweit alle Schwangeren und Minderjährigen einen schnellen Zugang zu Kaliumjodidtabletten bekommen sollten.
Wenn die Landesregierung die belgischen AKW so riskant findet – was tut sie sonst dagegen?
Die nordrhein-westfälische Landesregierung klagt derzeit vor dem belgischen Staatsgerichtshof gegen das belgische AKW Tihange 2 – zusammen mit der Städteregion Aachen. Am Druckbehälter dieses Reaktors wurden teils zentimeterbreite Risse festgestellt, dennoch hat die belgische Atomaufsicht zuletzt die Wiederinbetriebnahme erlaubt. Das Land wird außerdem gemeinsam mit Rheinland-Pfalz Beschwerde bei der Europäischen Kommission und den Vereinten Nationen einlegen. Belgien hätte bei der Laufzeitverlängerung seiner alten Atomkraftwerke Tihange und Doel die Grenzregion miteinbeziehen müssen, meint NRW.
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