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Tag des Sieges in RusslandStrampelanzug in Tarnfarbe

Am 9. Mai wird der 71. Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg begangen – das Allerheiligste. Zu hinterfragen gibt es nichts.

Tag des Sieges 2016 in Moskau Foto: dpa

Moskau taz | Je länger der Sieg der Roten Armee über Hitlerdeutschland zurückliegt, desto begeisterter und inbrünstiger begeht Russland den Gedenktag. Am Montag jährt sich der Sieg zum 71. Mal. In den 60er Jahren stieg der 9. Mai zum wichtigsten Feiertag auf. Er verband die Menschen einst über politische, gesellschaftliche und ethnische Unterschiede hinweg.

Wochen vorher schon arbeitete die Gedenkmaschinerie auf Hochtouren. Mahnmale für die zwölf Heldenstädte des Großen Vaterländischen Krieges, so der russische Name für den 2. Weltkrieg, wurden an der Kremlmauer mit Blumengebinden geschmückt.

Diesmal ging eine Stadt leer aus – Kiew. Die ukrainische Botschaft in Moskau sprang zu guter Letzt noch mit einem blau-gelben Gebinde in den Nationalfarben ein. Sonst wäre der Platz leer geblieben. Wer sich Moskaus Willen nicht beugt, verwirkt das Anrecht auf einen Heldentitel. Auch Leid wird im Nachhinein streitig gemacht. Kleinmut statt Heldenmut.

Durch die Verunglimpfung der Ukrainer als „Faschisten“ hatte der Kreml ohnehin die Erinnerung an die Millionen Gefallenen des Vaterländischen Krieges fahrlässig infrage gestellt. Das Gedenken der Toten ist einem Drang zu enthemmter Selbstbehauptung gewichen, der den Blick auf tiefsitzende Ressentiments freilegt.

Keine Angst vor dem Tod

Schon Kinder werden zu Opferbereitschaft angehalten. In einem professionellen Videoclip, das in den sozialen Netzen die Runde machte, erzählt ein kleiner Junge in Uniform, der als Erscheinung aus dem 2. Weltkrieg auf eine heutige Schulklasse trifft, von seinen Kriegserinnerungen an den Tod. Die Schüler sind überrascht und fragen: Hast Du denn keine Angst vor dem Tod? „Ach was“, so der junge Soldat,“ warum soll ich den Tod fürchten, wenn der Sieg doch unser ist“. Nichts anderes zähle.

Todesverachtung läuft in Russland unter patriotischer Erziehung. Große Gesten statt Gräuel abgetrennter Gliedmaßen. Niemand weiß heute mehr, dass die Kriegsinvaliden nach 1945 in die Unwirtlichkeit des russischen Nordens verbannt wurden. Erinnerung sollte getilgt werden.

Junge Eltern können stattdessen für Neugeborene von null bis acht Monaten den „Strampelanzug Sieg“ erwerben. Es gibt ihn in Kaki-Farben mit „echten Armeeknöpfen“. Auch ein Schiffchen mit rotem Stern als Kopfbedeckung ist für die Kleinsten schon zu haben. Passend dazu sind Kinderwagen im Retrostil der 40er Jahre.

Die Schaufenster der Geschäfte gleichen Militaria- und Devotionalienhändlern. Der Krieg ist überall. Als Sieg der Russen über den Rest der Menschheit. Nicht nur die Westmächte tauchen in der offiziellen Darstellung nicht auf, auch die Rolle der anderen Völker der Sowjetunion fällt nicht ins Gewicht.

Panzer-Division „Berlin-Kiew“

Verteidigungsminister Sergej Schoigu kündigte unterdessen an, die 10. Panzer-Garde-Division „Kiew-Berlin“ wiedererstehen zu lassen. In Russlands sozialen Medien sprühte die Vorhut das Ziel schon auf Motorhauben: “ Nach Berlin den deutschen Frauen hinterher“. Einer rühmte sich gar seines Großvaters: „Mein Opa fickte Hitlers Frau“.

Verrohung und Geschmacklosigkeit sind keine einzelnen Erscheinungen. Sie passen sich in die feindselig-misstrauische Atmosphäre ein. Meist werden sie still schweigend geduldet. Viele denken so, weder eine Bildungs- noch Milieufrage verbirgt sich dahinter.

Auf allen Ebenen wird mobil gemacht. Rund um die Uhr donnern an den Feiertagen die Kanonen im Fernsehen, Rotarmisten sind die Sendboten einer besseren, sauberen und vor allem ehrlicheren Welt. Auch 71 Jahre nach dem Inferno wäre eine realistische Darstellung des Kriegsgeschehens ein Akt der Häresie. Der „Große Vaterländische“ ist Russlands Sacrum, sein Allerheiligstes. Dessen Geschichte ist kanonisiert und darf nicht hinterfragt werden.

Westliche Beobachter können nur schwer nachvollziehen, mit welcher Verve sich Russlands politische Führung gegen andere Sichtweisen wehrt. Diese sogar strafrechtlich ahnden lässt, Kommissionen beruft und ausländische Historiker zu Extremisten erklärt.

Kult und Überhöhung

Stalin ernannte die Russen nach dem Krieg zum „Siegervolk“. Präsident Wladimir Putin griff das auf. Bis Mitte der 60er Jahre hatte die UdSSR den 9. Mai indes gar nicht gefeiert. Erst unter dem Generalsekretär der KPdSU Leonid Breschnew wandelte sich das Gedenken in einen Kult. Viele Soldaten, die den Krieg aus eigener Anschauung kannten, waren schon gestorben. Das erleichterte die Überhöhungen.

Rückblickend war der Sieg eine Legitimation für die an Dynamik einbüßende kommunistische Herrschaft. Auch das gegenwärtige Regime bezieht aus dem damaligen Triumph Rückhalt. Verbissen kämpft es auf alten Schlachtfeldern.

Heroisierung des Krieges lässt das Erinnern jedoch nicht zu. Generationen wurden um Einsichten betrogen und der Krieg blieb unverstanden. Daher scheitert Russland immer wieder an sich selbst und macht durch aggressive Infantilität auf sich aufmerksam.

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9 Kommentare

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  • „Wer sich Moskaus Willen nicht beugt, verwirkt das Anrecht auf einen Heldentitel.“

     

    In Kiew wurde doch eine „Entsowjetisierung“ beschlossen. Wer A sagt, muss auch B sagen.

     

    „Panzer-Garde-Division“

     

    Die Dinger heißen Gardepanzerdivision (гвардейская танковая дивизия), Herr Donath.

  • Vorweg - in meiner Familie sind "die Russen" hoch angesehen trotz bzw wegen Einquartierung. Weil der Offz. Stalinschüler war&eigenhändig mit seinem Burschen&AK47 - die Straße plünderungs&vergewaltugungsfrei hielt. Den Schreck in den Gliedern von Müttern&Tanten erinner ich aber auch gut - als wir zu mehreren Kindern in eine "Übung" sowj.Soldaten in der Hallischen Heide gerieten. Mein schwer erkrankter Cousine überlebte nur dank vom Offz. besorgter Medikamente.

    Ein 25kg-Sack ungerösterer Kaffee unterm Bett nach Abrücken - tat ein

    übriges.

    Dennoch - & -

    Gemach - Herr Donath - bekannt -

    Klar ist das eine - but -

    Was er beschreibt dürfte zutreffen & zu einem KGB-Klemmi & seiner Studi-Gang mehr als passen.

    Daß andere Nationen ähnlichen

    Kokolores absondern - So what!

     

    "Freiheit und Demokratie stehen auf einem anderen, viel zukunftsträchtigeren Speiseplan."

    Ja - gebongt!

    Das eben dazu eine große Fehlstelle besteht ist - in der Tat zu beklagen - wie Aber auch der Anteil des Westens daran via seiner komplett unberatenen Einkreisungspolitik.

    • @Lowandorder:

      Immer nach den Fehlern zu suchen ist natürlich gut. Doch die historische Entwicklung der Sowjetunion hat auch Gründe einer russischen Rückständigkeit, die nur von Visionären, wie "Zar und Zimmermann" Peter der Große (vor 300 Jahren) oder Michael Gorbatschow verändert wurden. Allerdings sieht man, wie heute in Europa, dass die Welle der Neuerungen immer wieder zurückgeworfen wird. Entwicklung - wie die Technik - bleibt nie stehen.

      • @Johannes Spark:

        duck duck -

        Sie stehen bei mir auch nicht im

        Verdacht - monoskau-saler - öh

        Welterklärungen!;()

  • Wieder mal ne Tonne selbstgerechtes Geschwätz des Herrn Donath. Glaubt der Herr eigentlich, dass es bei uns eine realistische Darstellung des Kriegsgeschehens gab und gibt? Hat er wohl im Eifer des Gefechtes übersehen, mit welcher Bemühung unserer heiligen Historikerzunft über Jahrzehnte bis heute die Wehrmacht von ihren Verbrechen reinwaschen wollte und alles was davon abwich zum Feind erklärte. Und von Verrohung und Geschmacklosigkeit sollte man reden, wenn vor Moscheen Schweinsköpfe abgeladen werden und Leute wie Sarrazin ihre rassische Jauche über uns ausschütten dürfen. Welchen Informationsgehalt hat dieser Artikel? Eigentlich keinen ausser die Phobien des Herrn Donath breitzutreten.

  • Aggressive Infantilität - diese Worte von Klaus-Helde Donat können wir uns im Munde zergehen lassen ….

     

    ... Das passt zu allen Grossmächten, die Ihren Höhepunkt längst überschritten haben. Die Türkei, Großbritannien und selbst die Vereinigten Staaten von Amerika können den Genuss der heroischen Vergangenheit immer als Bindemittel für konservative und nationalistische Kräfte benutzen. Heute um so mehr.

     

    Freiheit und Demokratie stehen auf einem anderen, viel zukunftsträchtigeren Speiseplan.

    • @Johannes Spark:

      "Freiheit und Demokratie stehen auf einem anderen, viel zukunftsträchtigeren Speiseplan."

       

      Wer kocht gerade nach diesem Plan? Ich kann niemanden sehen.

  • Weshalb berichtet die taz eigentlich nicht über die sogenannten "Nachtwölfe"? Deren Parade in Berlin war mehr als arrogant: "Wo wir sind, ist Russland." skandierten sie - in Berlin. http://web.de/magazine/politik/russische-nachtwoelfe-berlin-angekommen-31542582

    • @Sondermann:

      "Wo wir sind, ist Russland."

       

      In jeder Touristenhochburg kann man von Deutschen ähnliches hören. Die Einheimischen ignorieren es. Eine kluge Entscheidung.