piwik no script img

Berlin und BreslauRaum für Pioniere

Dass Breslau Europäische Kulturhauptstadt wurde, hat auch mit dem Gründerzeitquartier Nadodrze zu tun. Wie Kreuzberg in es ein Symbol des Aufbruchs.

Die Pomorska Straße in Wrocław Nadodrze Foto: Inka Schwand

Wenn Patryk Kłos eines nicht mag, sind es Vergleiche. „Mir gefällt der Vergleich mit Kreuzberg nicht“, sagt der Inhaber des Café Rozrusznik im Breslauer Stadtteil Nadodrze. „Es geht bei uns weniger ungezwungen und beliebig zu als in Berlin. Hier sind alle mit den unerfreulichen Tatsachen des Lebens beschäftigt.“

Zu den Unerfreulichkeiten gehört für Kłos auch die Breslauer Bürokratie. Mehr als ein Jahr hat es gedauert, bis er alle Genehmigungen zusammen hatte, erst dann konnte es losgehen. Wenn das Café Rozrusznik ein Synonym ist für die Entwicklung in Breslaus angesagtestem Stadtteil, muss man wohl sagen, dass der Anlasser etwas gestottert hat. Anlasser: So nämlich heißt Rozrusznik auf Deutsch. Inzwischen aber läuft es ganz gut.

Eine Beziehungsgeschichte

Die Geschichte der Beziehungen zwischen Berlin und Breslau beschreiben 22 deutsche und polnische Autorinnen und Autoren in dem von Uwe Rada und Mateusz Hartwich herausgegebenen Band "Berlin und Breslau. Eine Beziehungsgeschichte".

Die Buchpremiere findet am Dienstag, 17. Mai, um 19 Uhr im Roten Rathaus statt.

Eine deutsch-polnische Ausgabe wird am 20. Mai um 19 Uhr in der Buchhandlung Buchbund in der Sanderstraße 8 vorgestellt.

Wrocław Nadodrze ist ein Amalgam, historisch, sozial, kulturell. Die Odervorstadt von Breslau war im 19. Jahrhundert entstanden, die Mietskasernen erstreckten sich zwischen der Oder und der zu einem Kanal ausgebauten Alten Oder, hinter der die Vorstädte begannen und beginnen. Nach dem Krieg kamen am Odertorbahnhof die ersten polnischen Siedler an und versuchten, so gut es ging, in den deutschen Gründerzeithäusern heimisch zu werden. Nicht jedem ist das gelungen, denn lange Zeit galt Nadodrze als der soziale Brennpunkt der niederschlesischen Hauptstadt.

Seit dem Beginn der Stadterneuerung 2007 wurde in dem Stadtteil mit seinen 35.000 Einwohnern ein neues Kapitel aufgeschlagen. „Noch vor zehn Jahren hat sich Nadodrze in Breslau keines besonders guten Rufes erfreut“, sagt der für die Stadterneuerung zuständige Vizepräsident der Stadt, Adam Grehl. „Langsam aber verändert sich das Image. Man merkt das daran, was man über Nadodrze denkt und wie man über Nadodrze spricht.“

Große Probleme

„In Nadodrze ist viel Energie“, freut sich Maja Zabokrzycka, die in der Łokietka-Straße im Infopunkt arbeitet und die Veränderungen in ihrem Stadtteil über all die Jahre beobachtet hat. „Nadodrze, das sind die Leute, die im Stadtteil leben“, sagt Zabokrzycka, „die Alten und Armen, die Jungen, die hier Cafés eröffnen, die Stadtteilinitiativen, die die Leute miteinander ins Gespräch bringen.“

Auch für Zabokrzycka steht fest, dass sich Nadodrze zum besseren verändert hat. „Doch die Probleme sind nach wie vor groß.“ Tatsächlich prallen in der Breslauer Odervorstadt inzwischen zwei Welten aufeinander. Überall öffnen neue Galerien, es wird gegärtnert, in den Hofdurchfahrten prangen Graffiti, im Café Bema liegen Flyer aus, auf denen sich die neuen Geschäfte und Boutiquen präsentieren. Für die jungen, kreativen Breslauer ist Nadodrze längst zur Marke geworden.

Doch das andere, das arme Nadodrze ist nicht verschwunden. Immer wieder beschweren sich Bewohner über Lärm, Vandalismus und ungebetene Gäste, die in den weiträumigen Höfen – die ehemalige Odervorstadt hat im Gegensatz zu Kreuzberg keine Hinterhäuser – Bier und Wodka trinken. In einem Durchgang, der zum Ekocentrum Wrocław führt, heißt es auf einem Graffito unmissverständlich: „Selbst Hunde pinkeln hier nicht hin.“

In Nadodrze drängen sich die Probleme im wahrsten Sinne des Wortes. Mit 31.818 Einwohnern pro Quadratkilometer ist die Odervorstadt einer der am dichtesten besiedelten Stadtteile Breslaus. Der Durchschnitt in der 630.000 Einwohner zählenden Odermetropole beträgt 2.170 Einwohner pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: In Friedrichshain-Kreuzberg, dem am dichtest besiedelten Bezirk Berlins, leben trotz der Hinterhäuser und Seitenflügel, die es in den Berliner Gründerzeitquartieren gibt, 13.500 Einwohner pro Quadratkilometer. Pro Person stehen in Kreuzberg also weitaus mehr Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung als in Nadodrze. Die unerfreulichen Tatsachen des Lebens, von denen Patryk Kłos spricht, sind auch statistisch messbar.

Maja Zabokrzycka vom Infopunkt in Nadodrze kennt nicht nur Breslaus neues In-Viertel ganz gut, sondern auch Berlin. Auch sie mag den Vergleich mit Kreuzberg nicht so besonders. „In Kreuzberg gibt es eine ganz andere Tradition des Widerstands“, weiß sie. „Auch die Identifizierung mit dem Stadtteil ist viel größer als bei uns.“

Dennoch bilde sich langsam eine Nadodrze-Identität heraus, glaubt Zabokrzycka. Zu der gehört aber auch, dass die Entwicklung des Stadtteils, anders als in Kreuzberg, nicht in Auseinandersetzungen und Straßenkämpfen, durch Hausbesetzungen und Befriedung entsteht. Der Spirit von Nadodrze ist eher der des Konsenses. Nicht selten ziehen NGO’s und Stadtverwaltung an einem Strang, die „neuen“ Bewohner bringen die „alten“ untereinander ins Gespräch. Und sich selbst mit den alten.

Sanierung von oben

Wer die Altstadt über die Universitätsbrücke in Richtung Norden verlässt, ist mittendrin in der hippen Gründerzeitkulisse Breslaus. Auf den ersten Blick aber dominieren unsanierte Fassaden mit Einschlusslöchern aus dem Krieg, holprige Gehwege, der Geruch von Kohleheizungen. Doch gleich neben der Pomorska-Straße erstreckt sich eine weiträumige Grünfläche, auf der selbst im Winter zahlreiche Bewohner spazieren gehen. Im Sommer tobt hier das Leben.

„Durch verschiedene Untersuchungen haben wir festgestellt, dass sich in Nadodrze die sozialen Probleme häufen“, sagt Grażyna Adamczyk-Arns, Architektin, Stadtplanerin und Geschäftsführerin der städtischen Sanierungsgesellschaft Wrocławska Rewitalizacja. „Weil der Stadt nur wenige Mittel für die Stadterneuerung zur Verfügung standen, haben wir uns auf die Aufwertung der Grünflächen und Innenhöfe konzentriert“, erklärt Adamczyk-Arns. „Es ging uns darum, als Stadt Impulse zu geben, die dann von den Bewohnern und privaten Investoren aufgegriffen werden.“

Sechs Jahre lang – von 2007 bis 2013 – begleitete die Stadt den Sanierungsprozess in der Odervorstadt. Gemäß einem Masterplan wurden neben dem Park in der Pomorska-Straße auch der Park Staszica nahe des Odertor-Bahnhofs und die Grünfläche am Platz Świętego Macieja hergerichtet. Hinzu kam die Aufwertung von einem halben Dutzend Innenhöfe. Bis zur Sanierung waren die riesigen Höfe oft heruntergekommen, dienten als wilde Autoparkplätze oder Müllkippen. „In den Bürgerbefragungen und Versammlungen haben die Bewohner immer wieder betont, dass die Gestaltung der Höfe und Grünflächen für sie an ersten Stelle stehen“, sagt Stadterneuerungschefin Adamczyk-Arns. „Nun sehen sie, dass sich der Stadtteil zum Besseren verändert hat.“

Die Sanierung der Gründerzeithäuser beschränkte sich dagegen auf wenige Straßenzüge wie etwa die ulica Bolesława Chrobrego. Der Grund dafür liegt in der Eigentümerstruktur der Breslauer Gründerzeitviertel. Alleine in Nadodrze gehören 70 Prozent der Wohnungen der Stadt. Das hat eine schlechte und eine gute Seite. Die schlechte: Die Stadt hat kein Geld, mehr als Fassaden, Dächer und Treppenhäuser zu sanieren. Um die Wohnungen müssen sich die Bewohner selbst kümmern. Die gute: „Anders als in Kreuzberg ist Gentrifizierung in Nadodrze so gut wie unbekannt“, sagt Grażyna Adamczyk-Arns. Zwar verkauft die Stadt mitunter Wohnungen an die Bewohner zum Vorzugspreis. „Die dürfen dann aber fünf Jahre lang nicht weiterverkaufen“, so die Sanierungschefin. Eine Art gesetzliche Bremse, die dafür sorgt, dass auf Nadodrze keine Spekulationswelle zurollt.

Auch Adamczyk-Arns, die neben ihrem Job in Breslau auch noch an der HFT Stuttgart lehrt, ist oft in Berlin. Gerade die fehlende Gentrifizierung, sagt sie, mache einen Vergleich schwierig. „Eines aber haben Kreuzberg und Nadodrze gemeinsam“, ist sie überzeugt. „Kreuzberg war der Vorreiter der behutsamen Stadterneuerung in Deutschland, Nadodrze ist Vorreiter der Revitalisierung in Polen.“

Kritische Stimmen

Roland Zarzycki gehört zu den kritischen Stimmen, wenn es um die Zukunft von Nadodrze geht. Als die nationale Jury aus Warschau vor einigen Jahren nach Breslau gekommen war, um den Stand der Bewerbung als Kulturhauptstadt in Augenschein zu nehmen, war es Zarzycki, der die Stadtoberen davon überzeugt hat, dass man die Juroren auch durch Nadodrze führen müsse. Gerade dieser Stadtteil, war der Aktivist und Mitautor der Breslauer Bewerbung überzeugt, unterscheide Breslau von den Mitbewerbern in Stettin, Danzig, Lodz oder Kattowitz. Nadodrze könnte den Ausschlag geben bei der Entscheidung um den Kulturhauptstadttitel.

Zarzycki sollte Recht behalten. Als sich die Jury im Infopunkt in der ulica Łokietka zum Gespräch mit den Bewohnern von Nadodrze traf, war eine Vorentscheidung gefallen. „Mitten im Gespräch war eine engagierte Frau aufgestanden und hatte die Jury aufgefordert, Breslau den Titel zu geben“, erinnert sich Zarzycki. „Und zwar wegen solcher vernachlässigter Stadtteile wie Nadodrze, in denen dringend gegen die weitere soziale Ausgrenzung gekämpft werden müsse.“ Teilhabe gegen sozialen und kulturellen Ausschluss, das waren die wichtigsten Punkte der Breslauer Bewerbung gewesen.

Tatsächlich fiel auf dieser Sitzung, wie einige Juroren später einräumten, die Wahl auf Breslau. Doch der nächste große Wurf für Nadodrze, den Zarzycki und die anderen Autoren der siegreichen Bewerbungsschrift für die Zeit nach der Sanierung im Sinn hatten, fiel aus. Kaum hatte Breslau den Titel in der Tasche, hat die Stadtverwaltung die Gelder für Nadodrze zusammengestrichen. Übrig blieben so genannte „Mikrokredite“, um die sich Bewohner und Initiativen bewerben konnten.

Dennoch blickt auch Zarzycki mit Optimismus auf die Zukunft von Nadodrze. „Hier gibt es zwar keine großen Kulturinstitutionen“, sagt er. „Aber es gibt Festivals, Debatten, Workshops und zahlreiche Treffpunkte.“ Vor allem die spontanen Gespräche auf den Parkbänken, vor den Geschäften, an der Ecke, zeigen, dass Nadodrze lebt, so Zarzycki. In Berlin würde man dazu sagen: Am, aber sexy.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!