: Strahlen machen reich
Atompolitik in 30 Jahren: Entsorgung ist Big Business. Und am Endlager stört der Brandschutz
Bernhard Pötteraus dem Jahr 2046
Es hätte so eine schöne Gedenkfeier werden können: 60 Jahre Tschernobyl, 20 Jahre Endlager-Entscheidung und ein Jahr deutsche Energieversorgung ohne Kohle und Öl. Ihre Leute hatten alles vorbereitet: Zeitzeugen, Diskussionsrunden, ein Imagefilm der jungen, neuen Bundesumweltministerin Marie-Curie Großmann. Doch als die CDU-Frau am 25. April 2046 in ihr Büro kommt, liegt oben in der roten Mappe mit den dringenden Dokumenten die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts: Baustopp am Atom-Endlager. Grund: unzureichender Brandschutz. Frühester Termin für die Eröffnung: 2065.
Verdammt! Seufzend lässt sich Großmann in ihren Drehsessel sinken. Die Sprechanlage summt. „Ja, Herr Müller?“ – „Frau Ministerin, die Herren von der Nukex sind da!“. „Herren?“, bellt Großmann in die Anlage, „Wieso Herren? Ich wollte die Chefs sprechen!“ Kurze Pause. Müller sagt: „Tut mir leid, Frau Ministerin. Es heißt, die Vorständlerinnen sind alle in Klausur.“ Großmann schnaubt durch die Nase. „Zehn Minuten noch!“
Eine Unverschämtheit! Sie regelt hier die Zukunft der Atomenergie, und die Managerinnen schicken Vertreter, die nichts zu entscheiden haben. Ihr Blick fällt auf das Dossier auf dem Schreibtisch. Darin ist der Fahrplan festgehalten, es sollte ihr großer Erfolg werden, nur leicht größenwahnsinnig: „Mission erfüllt“. Die letzten deutschen AKW Emsland, Isar II und Neckarwestheim II werden gerade abgewrackt; alle anderen Nuklearstandorte sind bereits zurückgebaut und wieder der grünen Wiese gewichen; der verstrahlte Schrott schlummert für die nächsten 50 Jahre in Zwischenlagern; und die Bauarbeiten am Endlager „Lausitzer Scholle“ an der polnisch-tschechischen Grenze gehen gut voran. Einziger Störfall: Letztens wurde ein Arbeiter von einem Wolf gebissen. Hatte versucht, das Tier mit seinem Schinkenbrötchen zu füttern. Selbst schuld, der dumme Hund.
Großmann blickt auf das Familienfoto neben dem Telefon. „Wenn du mich sehen könntest, Opa Jürgen!“, sagt sie halblaut. Die Enkelin des ehemaligen RWE-Chefs reißt sich zusammen und drückt auf den Knopf für die Sprechanlage: „Ich lasse bitten!“
Sie weiß: Die Nukex-Manager muss sie bei Laune halten. Der Konzern ist mit 2,3 Milliarden Euro Nettogewinn im Jahr die Cashcow der Energiewende. Eine geniale Idee der schwarz-grünen Regierung, diesen neuen „grünen Anti-Atomkonzern“ zu gründen, als 2022 das letzte AKW vom Netz ging: Mit den Atomsparten der alten Stromkonzerne RWE, Eon und EnBW, dem Baugewerbe, den Universitäten, einer Beteiligung des Bunds und sogar – was für ein Coup! – jeweils einem Prozent der Aktien bei Greenpeace, BUND, WWF und Nabu.
Ein Industriegigant, der gut davon lebt, weltweit atomaren Dreck wegzuräumen: Die nukleare Entsorgung ist ein Riesenmarkt, das haben die Nachfolger von RWE-Großmann und die Vorläufer von CDU-Großmann damals richtig gesehen: 200 Atomkraftwerke wurden allein bis 2020 ausgeknipst, mit Abwrackkosten belaufen sich jeweils auf mindestens eine Milliarde Euro.
Nukex sicherte sich mit Technologie „made in Germany“ weltweit diesen Markt. „Ein atomgetriebenes Perpetuum Mobile“ nannte es die Nukex-Chefin letztens. Und alle, alle profitieren: Der Dreck kommt weg, die Jobs bleiben in Deutschland, die Steuern sprudeln, und die Ökoverbände finanzieren mit dem Geld ihren Kampf gegen die Kohle. Wenn sich doch alle Probleme im grünen Kapitalismus so leicht lösen ließen!
Die Tür geht auf. Großmann knipst ihr Lächeln an. „Meine Herren, eine gute Nachricht: Endlich ist es sicher: Das Endlager kommt noch in diesem Jahrhundert!“
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