piwik no script img

Piraten-Kundgebung aufgelöstDie Polizei liegt völlig daneben

Der Berliner Oberpirat Bruno Kramm hat Teile von Böhmermanns Gedicht zitiert. Er bewegte sich damit eindeutig im Rahmen des Erlaubten. Ein Kommentar

Bruno Kramm bei einer Demonstration vor der türkischen Botschaft vor zwei Wochen. Foto: dpa

Ist das Anti-Erdoğan-Schmähgedicht von ZDF-Satiriker Jan Böhmermann eine Straftat? Das ist noch lange nicht entschieden. Die Mainzer Staatsanwaltschaft hat erst mit den Ermittlungen begonnen. Es gibt noch kein Urteil, noch nicht einmal eine Anklage. Bis dahin wird das umstrittene Gedicht aber immer wieder zitiert werden. Ganz oder teilweise, zustimmend, ablehnend oder analysierend. Es kommt immer auf den Kontext an.

Die rechtliche Einordnung ist zugegebenermaßen nicht einfach, die Berliner Polizei ist damit aber offensichtlich überfordert. Die Auseinandersetzung der Piraten mit Böhmermanns Gedicht war eindeutig im Rahmen des Erlaubten.

Der Berliner Oberpirat Bruno Kramm hat das Gedicht als Beispiel für typische Machtkritik der Ohnmächtigen zitiert. Die sexuelle Potenz der Mächtigen sei eine „Zentralmetapher“, um deren reale Macht vorzuführen. Daran ist vieles schief. Das Böhmermann-Gedicht wurde schließlich nicht in einem türkischen Kerker in ohnmächtiger Wut ersonnen, sondern an einem öffentlich-rechtlichen Schreibtisch in Deutschland.

Blöde Literaturanalysen sind in Deutschland aber nicht verboten. Deshalb lag die Polizei völlig daneben, als sie die Piraten-Kundgebung auflöste. Sie kann sich dabei auch nicht auf die Auflage berufen, das Schmähgedicht dürfe nicht einmal in „Textpassagen“ rezitiert werden. Denn dabei ging es laut Berliner Verwaltungsgericht nur um das „isolierte“ Aufsagen solcher Schmähzeilen.

Die Diskussion über das Gedicht und über die Strafverfolgung muss aber zulässig sein. Dazu gehört natürlich, dass das Gedicht ganz oder in Passagen zitiert werden kann – jeweils in dem Umfang, wie es als Beleg für das eigene Argument erforderlich ist. Nichts anderes hat Bruno Kramm getan.

Sicher wird jetzt versucht, die Polizeiaktion als neuen Kotau vor Erdoğan zu interpretieren. Vermutlich war es aber einfach nur schlechtes Handwerk einer Polizei, die im Zweifel gegen die Freiheit entscheidet.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!