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Geheimnisse mit Godard und Gin Tonic

Ausstellung Der "Kreuzberg-Pavillon" zeigte am Samstag auch, wie die taz für den Knast zensiert wurde

Die Betreiber des „Kreuzberg-Pavillons“, der aus einer Ladengalerie am Ende der Naunyn­straße besteht, haben sich etwas einfallen lassen, um der Künstlerflut entgegenzutreten. Jeden Sonntag erlassen sie einen „Call for Art“, wobei sie ein Thema vorgeben, zu dem man sich bis zum Mittwoch darauf bewerben kann. Zwischen vier und zehn Künstler können dann am Samstag von 20 Uhr bis Mitternacht ihre Arbeit im „Pavillon“ zeigen, dazu gibt es Ansagen in Englisch und Gin Tonic zu günstigen Preisen. Themen bisher: Dinge, die während der vier Stunden verschwinden; Dinge, die gleichwertig sind; Dinge, die nachgereicht werden.

Diesmal lautete das Thema „Geheimnis“. Stephan Groß hängte zwei Abstammungsurkunden an die Wand, aus denen hervorging, dass sein Vater sich erst ein Jahr nach seiner Geburt zu erkennen gab. Stefanie Mayer stellte zwei aufgesockelte kleine Skulpturen aus Gips in den Raum, zwischen die der Galeriehund, eine Kreuzberger Mischung, Platz nahm, der gegen 22 Uhr einschlief. „Das Geheimnis einer langen Ehe“ hieß das Werk – und erinnerte damit, vielleicht unabsichtlich, an den letzten Film von Godard, in dem es um seine Ehe geht, die durch die Anschaffung eines Hundes gewann. Immanuel Rohringer stellte eine Art Tonschälchen aus, das seine Mutter beim Saubermachen beschädigt hatte, was man auch sehen konnte. Eine Hommage an Beuys, dem ja auch mal Putzfrauen ein wertvolles Kunstobjekt quasi weggewischt hatten?

Für die Nachkriegsjugend stellten die Väter, die nach all den Gemetzeln und der Gefangenschaft ganz klein geworden waren, zunächst keine Konkurrenz zu ihrer Mutter dar. Statt eines Ödipuskomplexes bestand ihr Grundkonflikt darin, dass die Mutter dem Sohn seine erste Heftchen-Sammlung (mit Donald-Geschichten zum Beispiel) wegschmiss. Nun scheint es aber so zu sein, dass die Mütter ihren Künstlersöhnen die Plastiken zerdeppern.

Für den vierten Künstler am Samstag wurden ein Tischchen in den Raum gestellt und ein großes Wolkenbild von Ale­xandra Wolkenfern aufgehängt. Auf dem Tisch konnte man sich Gefängnisdokumente ­ansehen. Diese „Stammheim-Files“ stammten vom Kreuzberger Künstler Hubi Jäger, den man dort 1982 sechs Monate inhaftiert hatte. Währenddessen hatte er ein „Knast-Abo“ der taz bekommen. Damals gab es in der taz noch eine Justizredaktion und eine Stelle für kostenlose „Knast-Abos“. Die taz-Ausgaben bekam er unregelmäßig in seine Zelle. Sie mussten von der Zensurabteilung der Anstaltsleitung erst gelesen werden, weil der Häftling Huber nicht alle taz-Artikel lesen durfte: etwa solche nicht, die militante Aktionen irgendwo auf der Welt oder Hausbesetzungen in Westberlin thematisierten. Sie wurden von den Zensoren rausgeschnitten, weil sie „geeignet waren, die innere Sicherheit, Ruhe und Ordnung in der Haftanstalt zu stören und zu gefährden“, so die Begründung.

Da es sich um einen deutschen Knast handelte, wurde für jeden ausgeschnittenen taz-Artikel ein Vorgang angefertigt, der in einem ordentlichen „Beschluss eines Richters gipfelte, den man dem Gefangenen Jäger aushändigte. Da darin begründet werden musste, warum gerade dieser taz-Artikel und ein anderer nicht „die Ordnung in der Anstalt gefährdet“ hätte, konnte Hubi sich den Inhalt doch in etwa zusammenreimen. Der „Genosse Hubert Jäger“, wie ihn eine der taz-Knastabo-Verantwortlichen nannte, gab seine taz nach gründlicher Lektüre weiter, sodass diese zerschnippelten und zerfledderten taz-Seiten laut Hubis Schätzung von mindestens zehn Knackis gelesen wurden. Helmut Höge

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