: Es kann nur einen geben
SPD-CHEF Mit einer Retourkutsche hat Müllers Coup wenig zu tun. Mit Beinfreiheit nach der Wahl umso mehr
von Uwe Rada
Ist er sich seiner Sache doch nicht so sicher? Als Michael Müller am Donnerstag früh um 9 Uhr im tristen Ladenlokal des SPD-Kreisverbands Tempelhof-Schöneberg vor die Presse tritt, hat er schon wieder eine Überraschung im Gepäck. „Es ist möglich, dass beim Parteitag am 30. April nicht nur der Landesvorsitzende gewählt wird, sondern auch der Spitzenkandidat der SPD nominiert wird“, sagt Berlins Regierender Bürgermeister. Zuvor hat er bestätigt, was am Vortag in seiner Partei ein kleines Beben ausgelöst hat. „Es ist richtig. Ich werde am 30. April für das Amt des Landesvorsitzenden wieder kandidieren.“
Eine Krönungsmesse also soll der Parteitag werden. Eine Inszenierung, die den letzten Zweifel beiseite räumen soll. Und ein letzter Fingerzeig an den Noch-SPD-Chef Jan Stöß, der erst am Donnerstagnachmittag bekannt geben würde, ob er gegen Müller antritt oder auf eine Kampfkandidatur verzichtet.
In der Berliner SPD geht es also wieder einmal rund. Müllers etwas improvisierter Presseauftritt in der Schöneberger Hauptstraße macht aber deutlich, dass seine Kampfansage an Stöß mehr ist als eine Retourkutsche gegen einen Konkurrenten, der ihn selbst 2012 vom Thron gestoßen hat. Müller richtet den Blick nach vorn. Weniger den Parteitag am 30. April hat er im Auge, sondern vielmehr die Wahl am 18. September. Und die Wochen danach.
„Bei knappen Wahlergebnissen kann es eine schwierige Regierungsbildung geben und auch zu ungeliebten Bündnissen kommen“, begründet Müller sein Vorgehen. Weil die Koalitionsverhandlungen von der Partei geführt werden und nicht vom Regierungschef, habe er sich für eine „klare Führungsstruktur“ entschieden.
Michael Müller, der von vielen mitunter unterschätzte Machtmensch, will also die totale Kontrolle. Er werde „eng mit Jan Stöß bleiben“, erklärt er und meint damit doch nichts anderes als: Der Noch-Chef möge den Parteitag bitte so orchestrieren, dass am Ende nur ein strahlender Sieger dastehen kann. Er. Michael Müller. Der neue Chef. Und der Spitzenkandidat der SPD.
Vielleicht bleibt ihm angesichts der Umfragewerte auch nichts anderes übrig. Laut dem jüngsten Berlin-Trend des RBB liegt die SPD mit 23 Prozentpunkten nur noch knapp vor der CDU mit 21 Prozent. Die Grünen kämen auf 17, die Linken auf 16, die AfD auf 13 Prozent. Weil auch die FDP vor einer Rückkehr ins Berliner Abgeordnetenhaus steht, müsste im Roten Rathaus demnächst ein Dreierbündnis regieren.
Das wäre sie also, die „schwierige Regierungsbildung“, auf die Müller mit einer „klaren Führungsstruktur“ reagieren möchte. So wie einst Klaus Wowereit mit einem Handstreich die Grünen beiseite wischte und die CDU zum Kellner machte, will auch Müller Beinfreiheit. Einer wie Stöß und der Apparat, den er in der SPD-Zentrale hinter sich versammelt hatte, wäre da nur hinderlich gewesen.
Was aber steckt hinter Müllers Formulierung von „ungeliebten Bündnissen“? Schon lange wird darüber spekuliert, ob Michael Müller eine Fortsetzung der Großen Koalition mit Frank Henkel einem rot-rot-grünen Bündnis vorzieht. Zuletzt war wieder auf der SPD-Klausur in Jena hinter vorgehaltener Hand über die Grünen und ihre politische Unzuverlässigkeit gelästert worden.
Noch viel unsicherer muss Müller ein Dreierbündnis mit Grünen und Linken vorkommen. Zwar weigert sich die SPD offiziell, über Koalitionsmodelle zu spekulieren. Aber das Wort von den „ungeliebten Bündnissen“ ist nun in der Welt. Und man muss keine besonders große Fantasie haben, um sich auszumalen, dass dazu auch Rot-Schwarz-Gelb gehören könnte. Sollte eine „Belgien-Koalition“ mehr Sitze haben als Rot-Rot-Grün, geht Stabilität vor Inhalt. Mit dem Parteilinken Stöß hat Müller nun einen möglichen Störfaktor bei Sondierungs- und Koalitionsgesprächen kaltgestellt.
Zur Kontrolle beim Machtmenschen Müller gehört auch mehr Schlagfertigkeit in der politischen Auseinandersetzung. Müller kann sich jedenfalls gut vorstellen, auch in der Berliner SPD einen Generalsekretär oder eine Generalsekretärin zu installieren. Zur Aufgabe des politischen Wadenbeißers gehörte dann das politische Tagesgeschäft. „Wir müssen schneller politisch handeln können“, fordert Müller. Vielleicht meint er damit aber auch nur, dass sich künftig dann andere die Hände schmutzig machen.
Ach ja. Am Donnerstag um 13.26 Uhr kündigte Jan Stöß an, nicht gegen Müller anzutreten. Angesichts der sich überstürzenden Ereignisse fast nur noch eine Fußnote.
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