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Debatte FlüchtlingspolitikGeht fürs Asyl auf die Straße!

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Wer eine humanitäre Flüchtlingspolitik will, muss Druck auf Kanzlerin Angela Merkel machen. Nur so löst sie ihr Versprechen ein.

Abschiebung abgelehnter Asybewerber in Rheinmünster, Baden-Württemberg Foto: dpa

E s kommen jetzt deutlich weniger Flüchtlinge nach Deutschland als noch vor einigen Wochen. Das ist ein guter Moment, um sich Gedanken zu machen, wie es weitergehen soll.

Ulrich Schulte bekannte jüngst in der taz seine Erleichterung darüber, dass weniger Flüchtlinge kommen, und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass das auch so bleibt. Bernd Pickert hielt dagegen, die deutschen Grenzen dürften „nicht geschlossen bleiben“.

Dabei sind sie das gar nicht. Dass so viele Flüchtlinge jetzt in Idomeni festsitzen, weil die Grenze zu Mazedonien zu ist, liegt an den Staaten der Balkan-Route. Selbst wenn Deutschland wollte, könnte es an deren Haltung wenig ändern. Was also kann es tun, was können wir tun?

Solchen konkreten Fragen stellen sich beide Kollegen leider nicht. Der eine klingt wie der Passagier einer Kreuzfahrtjacht, der sich ziert, weitere Schiffbrüchige an Bord zu nehmen, weil dann die Schlange am Büffet länger und die Biobrötchen knapp würden. Der andere meint, man müsse jeden an Bord nehmen, der vorbeisegelt, ohne auf berechtigte Einwände einzugehen: Sind wirklich alle in Not, die um Hilfe suchen? Wie viel Schiffbrüchige kann und will man aufnehmen? Und was, wenn sich darunter auch Terroristen gemischt hätten?

Alles nur Show

Viele Journalisten machen es sich in der Flüchtlingsfrage zu einfach: Erst kritisierten sie, Merkel habe eine „unkontrollierte Massenzuwanderung“ zugelassen und, durch Selfies mit Flüchtlingen, sogar noch befördert. So musste man die Titel von Spiegel und Zeit („Weiß sie, was sie tut?“) im September verstehen. Jetzt halten sie ihr vor, das sei alles nur Show gewesen, und in Idomeni zeige sich ihr wahres, hässliches Gesicht.

Tatsächlich agiert Angela Merkel teilweise opportunistisch. Aber sie hat einen anderen Plan als Populisten wie Viktor Orbán und Horst Seehofer, die sich hinter Mauern und Zäunen verbarrikadieren wollen. Wie weit sie eine Alternative umsetzen kann, hängt auch davon ab, wie die Stimmung im Lande ist – und wie klug die linke Kritik an ihrer Politik ausfällt. Es braucht kein „Konzept links von der Kanzlerin“, wie es Ulrich Schulte fordert. Es reichte schon, wenn sich eine humanitär orientierte Öffentlichkeit sich für jene Teile ihrer Politik starkmachen würde, die unterstützenswert sind.

Das Problem löst sich nicht auf, nur weil im Moment weniger Flüchtlinge kommen

Ja, das Abkommen mit der Türkei dient auch der Abschreckung. Aber ist es wirklich so falsch, Flüchtlinge, die in Europa ohnehin kein Asyl erhalten würden, wieder in die Türkei zurückzuschicken? Was ist besser daran, sie erst über den Balkan bis nach Deutschland oder Schweden reisen zu lassen, um sie dann – nach abgelehnten Asylantrag – in ihr Heimatland zurückzuschicken?

Kürzlich wurden Flüchtlinge aus Deutschland nach Afghanistan abgeschoben, ohne dass sich nennenswerter Protest dagegen regte. Warum war es so viel schlimmer, als jüngst die ersten Flüchtlinge aus Griechenland wieder in die Türkei zurückgeschickt wurden? Sie hatten kein Asyl in Europa beantragt und sind in der Türkei nicht an Leib und Leben bedroht.

Eine humane Asylpolitik

Im Gegenzug hat sich Europa verpflichtet, eine gewisse Zahl syrischer Flüchtlinge direkt aus der Türkei zu übernehmen. Die ersten davon sind bereits in Deutschland, Finnland und den Niederlanden angekommen. Das ist ein Fortschritt, der kaum bemerkt wird. Denn bislang mussten syrische Familien, die in Deutschland Asyl beantragen wollten, erst bei der Überfahrt übers Mittelmeer ihr Leben riskieren. Eine humanitär orientierte Öffentlichkeit sollte sich dafür starkmachen, dass Deutschland aus Ländern wie der Türkei, Jordanien und dem Libanon per Kontingent eine möglichst große Zahl von Flüchtlingen aufnimmt – möglichst mehrere Hunderttausende!

Andere europäische Länder könnten dabei mithelfen oder nachziehen, je nachdem. Aber Deutschland hat, als bevölkerungsreichstes und wirtschaftlich potentestes Land Europas, ohne Zweifel die Kapazitäten, hier der Vorreiter zu sein. Erfahrungen mit der Aufnahme einer so großen Zahl von Flüchtlingen hat es auch: Es hat in den Neunzigerjahren mehr als zweieinhalb Millionen Aussiedler aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion integriert, von den viele Bürgerkriegsflüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien ganz abgesehen. Umso kleinmütiger und irrationaler wirkt die „Überforderungs“-Rhetorik von heute.

Die Gewährung großzügiger Kontingente hat den Vorteil, dass man dabei auf die besonders Schutzbedürftigen Rücksicht nehmen kann, auf Frauen, Alte und Kinder – und nicht „nur junge Männer“ nach Deutschland kämen, die von ihren Familien vorgeschickt werden. Außerdem lässt sich so besser kontrollieren, dass keine Terroristen darunter sind – der IS hat einen oder zwei der Attentäter von Paris und Brüssel ja bewusst unter den Flüchtlingstreck gemischt, um die verhasste Willkommenskultur zu sabotieren und Misstrauen zu säen. Eine humane Asylpolitik, die nicht zwischen muslimischen und christlichen Flüchtlingen unterscheidet, ist das beste Mittel gegen den IS und seine Propaganda.

Großzügig Kontingente schaffen

Eine liberale Öffentlichkeit sollte Druck auf Merkel machen, dass sie ihr Versprechen einlöst, möglichst viele Flüchtlinge auf direktem Weg aufzunehmen, und dass sie den Familiennachzug nicht einschränkt, weil dies eine rasche Integration der Flüchtlinge nur behindert. Denn wer kann hier Wurzeln schlagen, wenn er seine Liebsten nicht in Sicherheit weiß?

Dafür würde es sich lohnen, auf die Straße zu gehen und den Slogan „Refugees Welcome“ mit konkreten Forderungen zu füllen. Falsch wäre es, larmoyant die Hände in den Schoss zu legen und darüber zu klagen, dass die Verhältnisse eben so sind, wie sie sind. Oder sich in trügerischer Sicherheit zu wiegen, weil im Moment weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Denn das Problem löst sich nicht in Luft auf, nur weil die Flüchtlinge jetzt wieder aus unserem Blickfeld verschwunden sind. Die Flüchtlinge, die im Schlamm von Idomeni und in den vielen Lagern der Region ausharren, gehen uns alle an. Ihr Los darf uns nicht egal sein. An ihnen entscheidet sich, was die Rhetorik von „europäischen Werten“ wert ist.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er schreibt über Politik und Popkultur – inbesondere über die deutsche Innen- und Außenpolitik, die Migrations- und Kulturpolitik sowie über Nahost-Debatten und andere Kulturkämpfe, Muslime und andere Minderheiten sowie über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 folgte das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”
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9 Kommentare

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  • In Zeiten wirtschaftlicher Massenmigration muessen wir das bestehende Asylrecht viel staerker hinterfragen. Es kann nicht sein, dass sich jeder Wirtschaftsfluechtling erst einmal auf politisches Asyl berufen kann.

  • Was ist das nur wieder für ein Kommentar.... für Herrn Bax spielt es also keine Rolle woher Menschen stammen, wenn es darum geht sie in die Türkei zu überführen? Und deshalb wird die illegale Überführung von Flüchtlingen in ein Bürgerkriegsland einfach mal mit der Abschiebung von afganischen Flüchtlingen gleichgesetzt? Muss ich Ihnen jetzt wirklich den Unterschied erklären, ob ich in mein Heimatland abgeschoben werde oder in irgend ein anderes überführt werde.

    Herr Bax findet desweiteren die Vereinbarung mit der Türkei anscheinend richtig toll, gut das ist seine Meinung, sollte aber trotzdem nicht in Lobhudel-Orgien ausarten, die einfach große Teile der Realität in der Türkei ausblendet.

    Wir werden diesen Deal mit der Türkei noch bitter bezahlen dürfen; die Kurden zahlen jetzt schon. Es ist nämlich genau das, was Sie erreicht haben. Sie haben ein anderes Volk für die Syrischen Flüchtlinge geopfert... große Leistung.

  • "Falsch wäre es, larmoyant die Hände in den Schoss zu legen und darüber zu klagen, dass die Verhältnisse eben so sind, wie sie sind. "

     

    Völlig richtiger Ansatz. Man kann an den Verhältnissen nichts ändern aber darüber zu klagen bringt auch nichts.

     

    Es ist wie es ist. Die Aufnahme von wenigen Einzelfällen - selbst wenn es Hunderttausende sind - ändert an den Verhältnissen gar nichts.

  • Aggg.... der Artikel eiert irgenwie zwischen Realität (unbeschränkt geht nicht) und Moral (alle dürfen irgendwie rein) herum. Ist das die "Linke Lösung" auf die anwachsende Migrantenkrise, ausgelöst durch die Bevölkerungsproblematik der "archaischen" Staaten ? Wo bleibt eine Glaubwürdigkeit, wenn auf der einen Seite "Nazis raus" gefordert wird und auf der anderen Seite statistisch signifikant "homophobe, frauenfeindliche, Grundgesetzfremde, Antisemiten usw." als kulturelle Bereicherung bejubelt werden ? Dieser Spagat ist schwerlich nachvollziehbar. Geht es nur um das Prinzip der idealisierten These "alle Menschen haben das Recht auf Harz4, wir sind ja so Schuldbeladen und sooo unendlich reich" ?

    Irgenwie kann ich inzwischen die rechtspopulistische Bedrohung leidvollerweise nachvollziehen. Das "dumme Wahlvolk" wählt eher die schlechtmöglichste Lösung (eben Abschottung, final notfalls mit Waffengewalt) als keine Lösung und Eiertanz ist keine Lösung. Es wird kein Weg daran vorbeigehen, wir werden uns entscheiden müssen was wir zuerst opfert. Westliche Werte (mühsam errungen) oder Empathie mit potenziell anwachsendem menschlichen Elend, was unsere "progressive Lebensweise" kulturell ablehnt und uns ökonomisch überfordern wird. Ja, die Weltlage ist wirklich Scheiße für Idealismus. Aber solcher Eiertanz ohne Lösung wird die Falschen an die Macht bringen. Wenn es tröstet, ich mache gerade auch einen Eiertanz...... aber was sollen wir machen ? Substanzfreie, kluge theoretische Statements werden auf jedenfall ein Selbstversenker..... Vorschläge ?

  • Vielleicht suchen ja viele Syrer tatsächlich nur temporäre Sicherheit (bei ausreichender Versorgung) - und wollen gar nicht "integriert" werden. Werden sie denn gefragt?

  • Oh, Herr Brax, Ihre ausgewogene Darstellung wird vielen verträumten, bunten Lesern gar nicht gefallen.

    Einige Punkte sind nicht durchdacht: Warum - falls Asylgründe vorliegen - sollen sich Asylbegehrende Deutschland als Wunschziel aussuchen dürfen? Wir waren übrigens bereits 2015 bis März 2016 "Vorreiter" mit bald 2 Mio "Zugewanderten" - und Ex-Jugoslawien-Kriegsflüchtlinge sind zum überwiegenden Teil in ihre Herkunftsländer zurückgekehrt.

    Und: Wie wäre ein Wort zu den Anarchos und "Helfer"organisationen, welche die Kinderschlammbilder von Idomeni (miß)brauchen...

    • @Andreas Bitz:

      Ich weiß ja nicht, wo Sie jetzt diese Zahl von 2 Millionen hernehmen. Hier ist eine ganz interessante Statistik vom BAMF, da sind auch Ihre Ex-Jugoslawien-Kriegsflüchtlinge drauf.

      https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/Asyl/statistik-anlage-teil-4-aktuelle-zahlen-zu-asyl.pdf?__blob=publicationFile

       

      oder hier noch mal was einfaches, Übesichtliches:

      http://mediendienst-integration.de/migration/flucht-asyl/zahl-der-fluechtlinge.html

       

      Und was haben jetzt übrigens die angeblichen "Anarchos" und Helferorganisationen, welche angeblich "Kinderschlammbilder von Idomeni missbrauchen" mit diesem Artikel zu tun?

       

      Übrigens, ist mir Ihr Argument jetzt auch nicht so ganz klar: Es ist doch wohl in Ihrem Sinne, wenn die Syrischen Flüchtlinge auch zum größten Teil in ihre Heimat zurückkehren, sobald dort wieder Frieden herrscht? So what? Sollen Sie deshalb hier nicht zur Schule gehen, was lernen können und sich ein bißchen wohl fühlen vielleicht?

      • @Artur Möff:

        Ach, ich glaube, jetzt hab ich Ihren Gedankengang kapiert: Sie spielen an auf die "zweieinhalb Millionen Aussiedler aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion", die in den 90er Jahren hier integriert wurden. Die haben allerdings nichts zu tun mit den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Ex-Jugoslawien, die ebenfalls in den 90ern hier Hilfe suchten und zum großen Teil wieder in die Heimat zurück sind. Mir scheint, Sie haben ein paar Probleme damit, hier zu differenzieren.

  • Hallo Herr Bax ! Aufwachen und Augen reiben, zu Ihrer Frage:

    “...war es so viel schlimmer, als jüngst die ersten Flüchtlinge aus Griechenland wieder in die Türkei zurückgeschickt wurden. Sie sind in der Türkei nicht an Leib und Leben bedroht. “

    ----

    Dazu Amnesty International:

    Die Türkei schiebt Tausende Flüchtlinge nach Syrien ab.

    Die Türkei weist seit Januar fast täglich bis zu 100 Flüchtlinge in das Bürgerkriegsland aus. Darunter sind auch unbegleitete Kinder.

    ----++

    Und auch noch was anderes: Syrische Flüchtlingskinder werden in türkischen Textilfabriken ausgebeutet.

    http://www.taz.de/Syrische-Fluechtlingskinder/!5274812/