Pilotprojekt Gemeinschaftsschule beendet: „Völlige Ignoranz der Fakten“
Die Gemeinschaftsschule ist ein Erfolg – aber die Koalition finanziert ihn nicht, kritisiert die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion.
taz: Frau Kittler, Sie haben jetzt als Opposition mal die Gelegenheit, die SPD-Bildungssenatorin zu loben: Immerhin hat Frau Scheeres mit den Gemeinschaftsschulen ein linkes Pilotprojekt vorangetrieben – und das auch noch erfolgreich, wie jetzt der Abschlussbericht gezeigt hat.
Regina Kittler: Na ja, gut, sagen wir mal, ich lobe Frau Scheeres dafür, dass sie standhaft gegenüber der CDU war – die weiterhin unter völliger Ignoranz der Fakten den Erfolg der Gemeinschaftsschulen kleinredet. Weil das natürlich nicht zu ihrer Lobbyarbeit fürs Gymnasium passt.
Sie meinen damit Ihre CDU-Kollegin Hildegard Bentele, die sagte, man müsse schauen, wie sich langfristig etwa die Schulabbrecherquoten an den Gemeinschaftsschulen entwickeln, bevor man laut jubeln kann. Aber hat sie da nicht auch recht?
Wir haben in Berlin eine Schulabbrecherquote von elf Prozent. An den Gemeinschaftsschulen liegt sie bei durchschnittlich sieben Prozent. Ich würde sagen, das ist eine Entwicklung, die jetzt schon durchaus bemerkenswert ist. Zudem sagt der Bericht ja auch klipp und klar, das insbesondere in sogenannten Brennpunktgebieten die Schüler an Gemeinschaftsschulen im Vergleich profitieren. Man muss sich nur die Empfehlungen der Schüler anschauen, die in der siebten Klasse an die Gemeinschaftsschulen wechseln: Der Großteil schafft einen höheren Abschluss als prognostiziert, also das Abitur oder den Mittleren Schulabschluss.
60, ist Mitglied im Fraktionsvorstand der Linken und bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Abgeordnetenhaus.
In den Gemeinschaftsschulen lernen alle SchülerInnen von der ersten bis zur zehnten Klasse gemeinsam. Sechs der 24 Gemeinschaftsschulen führen auch zum Abitur.
Die Idee: Leistungsstarke und -schwache Kinder, auch solche mit sonderpädagogischem Förderbedarf, lernen zusammen – und dadurch besser. Die rot-rote Koalition hatte den Pilotversuch 2008 mit 13 Schulen gestartet und unter anderem durch das Hamburger Institut für Bildungsmonitoring wissenschaftlich begleiten lassen.
Die SPD will die Gemeinschaftsschule als Regelangebot im Schulgesetz. Ein Antrag soll auf dem Parteitag am 30. April eingebracht werden. (akl)
Das ist die zentrale Erkenntnis des Berichts: Es gelingt in den Gemeinschaftsschulen offenbar besser, Lernerfolge von der sozialen Herkunft abzukoppeln.
Ja, weil hier zum einen, wie der Bericht zeigt, in diesen Schulen sehr viel Wert auf individuelle Lernangebote gelegt wird, die nach Leistung differenzieren. Bei einigen Fächern wirkt sich das offenbar besonders positiv aus …
Zum Beispiel bei der Rechtschreibleistung, wo Berliner Schüler zuletzt schlecht abschnitten in Vergleichsarbeiten.
Ja, aber auch in den Naturwissenschaften und Mathematik, da sieht es ja auch nicht besser aus. Und da gab es für die Gemeinschaftsschulen erstaunlich positive Ergebnisse im Vergleich mit einer Kontrollgruppe von Hamburger Schulen. Und zum anderen, das wurde auch klar, als der Abschlussbericht am Freitag gemeinsam mit den Schulen diskutiert wurde, ist der Erfolg vor allem ein Ergebnis von Teamarbeit in den Kollegien: Die Lehrkräfte, Sozialpädagogen und Erzieherinnen reden miteinander – und investieren da auch Zeit, über das normale Maß hinaus.
Eine solche Arbeitsbelastung klingt aber auch nicht gerade nach einem Idealzustand. Ist das Ihre Chance, Frau Scheeres doch noch zu kritisieren, Frau Kittler?
Ich wiederhole an dieser Stelle gerne noch mal: Wir brauchen eine Arbeitsplatzbeschreibung für Lehrkräfte und Erzieherinnen, die auch die Vor- und Nachbereitung von Unterricht mit in den Stellenschlüssel einberechnet. Und es ist auch Unsinn, dass man neuen Gemeinschaftsschulen nach nur zwei Jahren bereits wieder die zusätzlichen Stunden streicht, die die Lehrkräfte bekommen, um sich in diese Schulform hineinzufinden. Wir hatten da übrigens als Opposition auch einen eigenen Topf für die Gemeinschaftsschulen in den Haushaltsverhandlungen gefordert – das hat die Koalition aber abgelehnt.
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