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Die Rückkehr des Blauen Würgers

SPIRITUOSEN Der DDR-Schnaps „Kristall Wodka“ wurde unter seinem Kosenamen „Blauer Würger“ legendär. Nach der Wende verschwand er vom Markt. Ein Hamburger Unternehmer will ihn zurück in die Läden bringen

Das Original: eine Flasche Kristall Wodka in einer verlassenen DDR-Wohnung Foto: Matthias Lüdecke

von Joachim Göres

Eine Königsdisziplin des Kapitalismus ist es, Produkte zu Marken zu machen. Wenn es gelingt, kennt sie über Jahre hinaus jeder. Auch im Sozialismus der DDR gab es Produkte, die jeder kannte, was allerdings nicht am tollen Marketing, sondern an der Kreativität lag, mit der die Marken vom Volk verspottet wurden.

Die Marke Milder Brauner beispielsweise hieß im Volksmund „Lascher Nazi“. Den Bergmanndeputatschnaps nannte man „Kumpeltod“ und der Weinbrandersatz Goldbrand wurde zu „Goldi“ oder zum „Vierzehn-fünfzig“ (das war sein Preis). Den schönsten Spitznamen aber hatte Kristall Wodka, nämlich: „Blauer Würger“. Das Hamburger Unternehmen Tophi Warenhandelsgesellschaft möchte den „Blauen Würger“ nun wieder in die Läden bringen und zwar am liebsten bundesweit.

In der DDR war der Blaue Würger ein preisgünstiger Wodka, der seinen Spitznamen dem blauen Etikett und dem Halskratzen beim Trinken verdankte. Ein beliebter Witz war der, dass man beim Einsenden von hundert Würger-Etiketten bei der Krankenkasse einen kostenlosen Blindenhund bekomme. Ferner wird kolportiert, dass der Blaue Würger nicht flaschen- sondern kartonweise über die Ladentische gegangen sei. Im Internet finden sich heute Attribute wie „Fusel“ oder „Brechmittel“.

Popkulturell machte der Kristall Wodka Karriere durch die Leipziger Band „Amor und die Kids“, die dem Blauen Würger 1988 einen Song widmete: „Blauer Würger/Blauer Würger. Da klatscht die Leber in die Hände“. Schön ist auch das „Lied vom Blauen Würger“, das der Texter Christian Koch 1984 beisteuerte. Darin heißt es: „Die dritte Flasche Blauen Würger / trinken wir kaum noch im steh‘n / und jeder ganz normale Bürger / kann dann nicht mehr richtig seh‘n“.

Getrunken wurde der Kristall Wodka in der DDR trotzdem viel, was damit zu tun hatte, dass die DDR-Bürger dem Schnaps in rekordverdächtigen Mengen zusprachen. 1988 lag der durchschnittliche Pro-Kopf-Verbrauch an Weinbrand, Klarem und Likör bei 16,1 Litern pro Jahr. Das entspricht 23 Flaschen à 0,7 Liter, also knapp zwei Flaschen pro Monat. Die DDR war bereits 1987 international Spitzenreiter im Konsum von Spirituosen, gefolgt von Ungarn und Polen.

Wie es dazu gekommen ist, hat der Ethnologe Thomas Kochan in seinem Buch „Blauer Würger“ untersucht. Die DDR, so Kochan, sei eine „alkoholzentrierte Gesellschaft“ gewesen, die allerdings mit Ausnahme der NVA-Soldaten nicht aus Frust soff, sondern weil es der entschleunigte, weitgehend konkurrenzbefreite Lebensstil so einfach machte, ja geradezu nahe legte, öfter mal einen zu heben. Wein und Sekt gab es hinter dem Eisernen Vorhang kaum und Bier war von sehr schwankender Qualität. Also trank man eben verstärkt Spirituosen.

Für die Gegenwart liegen Zahlen vor, die einen internationalen Trend zu Wodka, Gin und Rum belegen, wobei Wodka die Spitzenposition einnimmt. Also habe man sich entschieden, einen Wodka ins Portfolio aufzunehmen, sagt Tophi-Einkäufer Florian Schulz. Eine neue Marke neben Gorbatschow, Smirnow und Puschkin aufzubauen, ist aber langwierig und teuer. Die Idee der Hamburger ist, mit dem Kristall Wodka eine alte Marke wiederzubeleben und dadurch zumindest im Osten marketingtechnisch nicht bei null anzufangen.

Die Markenrechte am Kristall Wodka hatte sich nach der Wende ein Privatmann besorgt, der mittlerweile in New York lebt – mit ihm wurden die Hamburger handelseinig. Über den Hersteller möchte Tophi keine Angaben machen. Die Altenburger Likörfabrik, die den Blauen Würger zu DDR-Zeiten produzierte, ist es jedenfalls nicht mehr.

In der DDR war der Blaue Würger ein preisgünstiger Wodka, der seinen Spitznamen dem blauen Etikett und dem Halskratzen beim Trinken verdankte

Das bedeutet, dass der neue Blaue Würger nach einer anderen Rezeptur hergestellt wird als der, den es in der DDR gab. Die orientiert sich geschmacklich an dem, wofür der DDR-Würger stand: Kräftig im Abgang und mit 40 Prozent Alkohol etwas hochprozentiger als die populäre Konkurrenz wie Puschkin oder Gorbatschow (beide 37,5 Prozent).

Wie genau der DDR-Würger geschmeckt haben mag, lässt sich heute nicht mehr herausfinden: Selbst wenn man eine ungeöffnete Original-Flasche aus der Wendezeit hätte auftreiben können, würde der Wodka darin nach rund 25 Jahren Lagerzeit seinen Geschmack verändert haben, sagt Tophi-Einkäufer Schulz.

Für das Unternehmen ist der nächste Schritt, den Kristall Wodka in die Supermärkte zu bringen, also mit den großen Supermarktketten zu verhandeln. Die Kontakte sind üppig vorhanden: Tophi ist eine Schwesterfirma der Wein- und Sektkellerei Ostrau, die mit über 100 Millionen Flaschen pro Jahr einer der führenden Wein- und Spirituosenimporteure Deutschlands ist.

Das Ziel sei, aus Kristall Wodka eine bekannte Marke zu machen, die nicht nur auf Ostalgie basieren, sondern ihren eigenen Weg gehen solle, sagt Schulz. Noch gibt es den neuen Blauen Würger nirgends zu kaufen. Aber das kann sich schnell ändern.

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