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Kreuzberger Prunkschuppen

Release Das SO36 hat sich selbst mit einem Buch beschenkt, das nicht nur die alten Mythen und Legenden abhandelt. Es zeigt vor allem, dass man als Club so gegenwärtig ist, wie man als Club nur sein kann

Niemandtreibt einen Keil zwischen das SO36 und seinen Kiez

von Andreas Hartmann

Nostalgiebücher über die goldenen Achtziger und Neunziger in Berlin gibt es längst genug. Das Geburtstagsgeschenk, das sich sich die Kreuzberger Clubinstitution SO36 mit dem opulenten Schmöker „SO36 – 1978 bis heute“ selbst macht, hätte auch so ein Geschichtsbuch werden können, ist es aber erstaunlicher- und auch glücklicherweise nicht. Die ganzen Mythen und Legenden rund um Martin Kippenberger, Ratten-Jenny und Einstürzende-Neubauten-Konzerte werden kurz abgehandelt – gehört ja mit dazu –, viel mehr Wert wird jedoch auf die Tatsache gelegt, dass der einst als Punkschuppen begonnene Laden kein Relikt aus vergangenen Zeiten ist, sondern so gegenwärtig, wie man als Club nur sein kann.

Das SO36 war ja durchaus mal ziemlich abgemeldet. In den Neunzigern, als alles sich Richtung Ostberlin verschob, Mitte angesagt war und Kreuzberg eher out, da wirkte der Laden nicht mehr so ganz zeitgemäß. Alle fuhren ab auf Techno, während irgendwo in Kreuzberg immer noch alte Punk- und Hardcore-Bands auftraten, die ergrauter wirkten, als sie es vielleicht waren. Mitte jedoch ist heute für Subkulturen aller Art gestorben, Kreuzberg vibriert wieder und das SO36, man muss es tatsächlich so pathetisch sagen, hat sich ebenfalls neu erfunden. Ein ehemaliger Hardcore-Laden, der sich plötzlich so richtig für Queers und Transgenders engagiert und Gay- und Lesbenpartys organisiert, diese Wendung muss man erst mal so schlüssig hinbekommen, wie es das SO36 geschafft hat. Punk- und Hardcore ist im Allgemeinen schließlich nicht berühmt dafür, eine besondere Sensorik für Sexismus zu haben.

Punk war und ist ja erst mal Anti. Gegen alles. Das SO36 ist jedoch heute ziemlich Pro. Queers, Migranten, Punks, ganz normale Geschäftsleute und Touristen sollten am besten überall in Berlin miteinander auskommen. Aber wenn das schon nicht immer klappt, dann wenigstens im SO36. Die Ghettoisierung unterschiedlicher Szenen soll durchbrochen werden, so spricht etwa die Paretyreihe Gahane mit ihrem „Homo Oriental Dancefloor“ ganz bewusst Queers mit Migrationshintergrund an. Gerade jetzt, wo so viel darüber diskutiert wird, ob man inzwischen am Kotti dauernd Angst haben muss, dass einem das Handy geklaut wird, ist die SO36-Utopie eines vorurteilsfreien Miteinanders vielleicht wichtiger denn je.

Wie besonders es tatsächlich ist, dass es einen Laden wie das SO36 heute immer noch gibt, lässt sich am Beispiel CBGB in New York erkennen, mit dem der Kreuzberger Club gerne verglichen wurde. Das CBGB war irgendwann nur noch der Laden, in dem einst Punk erfunden wurde und die Ramones ihre ersten Konzerte gaben. Ein Museum, eine Touristenattraktion, ein schmuddeliges Loch aus einer vergangenen Zeit im immer schicker gewordenen Manhattan. Und dann musste der Laden ganz einfach schließen. Wenn dagegen beim Science Slam im SO36 ein paar Nachwuchswissenschaftler vor stets vollem Haus möglichst lustig ihre bevorzugt kruden Forschungen präsentieren, interessiert sich im Publikum wohl niemand dafür, dass an diesem Ort einst die Londoner Industrialband Throbbing Gristle ein sagenumwobenes Konzert gegeben hat, von dem sich Veteranen aus der Mauerstadtzeit heute immer noch erzählen. Und auch wenn beim Nachtflohmarkt der DJ am liebsten The Clash und die Specials auflegt, also Musik nach Art des Hauses, ist das für die Besucher weit weniger wichtig als einfach nur die Suche nach ein paar möglichst billigen Klamotten und die Tatsache, dass der Eintritt für den Hallenmarkt kostenlos ist.

Kreuzberg verändert sich seit einer ganzen Weile, auch rund um das SO36, die Oranienstraße rauf und runter wird kräftig gentrifiziert. Vor ein paar Jahren machte dann auch das Wahrzeichen der Kreuzberger Off-Kultur seine Erfahrung damit, dass im Kiez nicht mehr nur Freaks und Bohemians leben. Der direkten Nachbarschaft ging es plötzlich zu laut zu in dem Club, und eine Schallschmutzmauer für viel Geld sollte her. Derartige Konflikte gab es bereits mehrfach in Berlin. Doch während andere Läden entnervt aufgaben und über die Spießer und Schwaben schimpften, schüttelte man sich im SO36 kurz, sammelte stoisch das nötige Kleingeld zusammen, baute halt die verdammte Schallschutzmauer und umarmt heute die Nachbarn trotzdem. Beim Kiezbingo – auch so einem Publikumsrenner – spenden die Läden aus der Nachbarschaft die Sachpreise, und die Message dahinter dürfte klar sein: Niemand treibt einen Keil zwischen das SO36 und seinen Kiez, Kreuzberg 36 hält immer noch zusammen.

Dass das SO36 nun mit dem Buch noch einmal seinen sechsunddreißigsten Geburtstag feiert, obwohl es schon ein paar Jahre älter ist, macht übrigens gar nichts. Man fühlt sich eben jünger, als man ist, und das auch zu Recht.

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