Analyse Die europäische Landwirtschaft wird betrieben, als ginge es noch darum, die Bevölkerung satt zu kriegen. Also wird produziert auf Teufel komm raus: Was Sie schon immer über das Milchsystem wissen wollten
von Gernot Knödler
Der europäische Milchmarkt ist in der Krise. Der niedrige Milchpreis bedroht viele Betriebe in ihrer Existenz. Dabei scheint die Lage durch die Aufhebung der Milchquote in der EU im Mai vergangenen Jahres verschärft worden zu sein. Grünen-Politiker befürchten, dass wegen der Aufhebung der Mengenbegrenzung viele Höfe aufgeben müssen. „Die dringendste Aufgabe ist es jetzt, einen dramatischen Strukturbruch in der Milcherzeugung zu verhindern“, mahnte der grüne Abgeordnete Bernd Voß kürzlich im schleswig-holsteinischen Landtag.
Viele Landwirte stellten sich auf das Ende der Milchquote ein, indem sie ihre Melkanlagen modernisierten, die Ställe vergrößerten und mehr Milch erzeugten. Angeführt vom Bauernverband setzten sie darauf, dass ihnen die größere Produktionsmenge Effizienzvorteile verschaffen würde, und darauf, dass ihnen der Weltmarkt ihre Milch schon abnehmen werde.
Sie haben falsch gewettet: Seit dem Handelsboykott der EU wegen der Besetzung der Krim importiert Russland keine Milch mehr. In China ließ das abflauende Wirtschaftswachstum die Nachfrage schwächeln und wegen des gesunkenen Ölpreises kaufen auch lateinamerikanische Länder nicht soviel Milch in Europa wie erhofft.
Zwar kommt auch Afrika als Abnehmer infrage, Umweltorganisationen wie das katholische Hilfswerk Misereor halten den Export von Milchpulver nach Afrika jedoch für fatal, weil es Beispiele dafür gibt, dass er die dortige Milchwirtschaft zerstört.
So musste also der europäische Markt die gewachsene Milchmenge aufnehmen, mit der Folge, dass die Preise stark gefallen sind und zwar wie bei der sogenannten Milchpreiskrise 2009 unter das Niveau der Produktionskosten. Mit jedem Liter Milch, den sie erzeugen, machen viele Bauern Miese. „Die Liquidität ist aufgebraucht, etwa 15 Prozent der Betriebe sind im Bestand gefährdet“, sagt Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit Blick auf sein Bundesland.
Um die Betriebe über Wasser zu halten, hat die EU vergangenen September Soforthilfen über 500 Millionen Euro beschlossen. 69 Millionen davon flossen nach Deutschland, von denen 13 in der ersten Antragsrunde nicht abgerufen wurden. Bis Dienstag kann Geld aus dem 13-Millionen-Euro-Resttopf beantragt werden. „Wir haben die Liquidität der Landwirte im Auge“, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). Das solle bei den „notwendigen Anpassungen an den globalen Markt“ helfen.
Über den Ausweg aus der Misere wird kräftig gestritten. Während der Bauernverband oder das „Landvolk“, wie es in Niedersachsen heißt, wie Schmidt weiter auf Wachstum setzt, finden ökologisch angehauchte Leute wie Habeck, die Produktionsmenge müsse gesenkt werden. „Ich will keine Megastrukturen, sondern eine bäuerliche Milchwirtschaft“, sagt der Grüne. Wachstum würde mehr Export bedeuten und größere Ställe mit einer immer besser ausgetüftelten Maschinerie, wobei viele, vor allem kleinere Betriebe auf der Strecke blieben.
Schon heute exportiert Deutschland fast die Hälfte der hierzulande erzeugten Milch. Der weitaus größte Teil davon geht, vor allem in Form von weiterverarbeiteten Produkten wie Käse, Kondensmilch, Butter und Joghurt an EU-Länder. Nur bei Magermilchpulver geht der größte Teil an Drittstaaten. Nur ein Siebtel ihres Umsatzes mit Milch und Milchprodukten machen die deutschen Landwirte und Molkereien mit Nicht-EU-Ländern. Dabei sind die Preise nach dem Tief zur Finanzkrise 2009/2010 zunächst um teilweise mehr als 100 Prozent gestiegen, mittlerweile aber fast wieder auf dieses Krisenniveau zurückgefallen.
Der Weg aus der Krise, den die Grünen und die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (ABL) und auch der Bund deutscher Milchviehhalter (BDM) gern beschreiten würden, sähe dagegen eine Verringerung der Milchmenge vor. Bauern, die weniger produzieren, könnten von ihren Molkereien einen Bonus bekommen. Die Molkerei Friesland-Campina hat im Februar einen Zuschlag von zwei Cent pro Kilogramm Milch an Mitglieder bezahlt, die weniger oder gleich viel Milch produzierten als im Referenzzeitraum vom 13. bis zum 27. Dezember.
Eine freundlichere Tierhaltung würde die Menge von selbst beschränken. Ottmar Ilchmann, der Vorsitzende der ABL Niedersachsen, schlägt vor, ohne Denkverbote zu diskutieren. „Über einen verbindlichen Weidegang könnte das weitere Wachstum einfach begrenzt werden“, sagt er. Denn das Land trägt nun mal nur eine begrenzte Zahl an Tieren. Und wenn die Bauern weniger Kraftfutter gäben, sänke die Milchleistung. „Man könnte auch ganz radikal sagen: Die Hörner bleiben dran und mit einem Schlag sind nur noch die Hälfte der Kühe im Stall“, lässt er sich im kritischen Agrarbericht 2015 zitieren.
Bauern können auch versuchen, Nischen zu besetzen, etwa indem sie Kunden auf besondere Weise an sich binden. Manche versuchen es mit einem Haustür-Lieferservice, andere schaffen regionale Marken wie den im Hamburger Raum bekannten „Hamfelder Hof“. Die 20 beteiligten Biolandhöfe haben vor einem halben Jahr ihre eigene Meierei eröffnet.
Ein Teil der Kundschaft ist bereit, einen höheren Preis zu bezahlen, wenn das Produkt aus der Region stammt, der Bauer einen fairen Preis bekommt oder das Produkt „bio“ ist. Doch gerade das Umstellen auf den ökologischen Landbau braucht einen gewissen finanziellen Atem, bis sich die Sache anfängt zu lohnen. Und auch die Nachfrage ist noch weit davon entfernt, für den Großteil der Bauern einen Ausweg zu bieten. Der Marktanteil der Biomilch am Gesamtumsatz lag nach Angaben des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft in Deutschland 2014 nur bei etwas über fünf Prozent.
Auf die Sprünge helfen könnte der Entwicklung die Politik. Die Länder bieten den Bauern Geld dafür an, dass sie ihr Land extensiv bewirtschaften und sie helfen auch beim Umstieg auf die ökologische Landwirtschaft. „Wer bereit ist, weniger und hochwertiger zu produzieren, findet etwas“, verspricht Schleswig-Holsteins Landwirtschaftsminister Habeck.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen