: "Für rechte Leute attraktiv"
WALDORFPÄDAGOGIK Der Journalist Peter Bierl über rassistische Hintergründe der Anthroposophie
52, Journalist, verfasste 1998 das Buch „Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister. Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik“.
taz: Herr Bierl, haben Waldorfschulen ein Nazi-Problem?
Peter Bierl: Wahrscheinlich nicht mehr als andere Schulen.
Warum kritisieren Sie dann die anthroposphische Pädagogik als rassistisch?
Die Waldorfpädagogik dreht sich um die Weltanschauung von Rudolf Steiner, ihrem Erfinder. Er vertrat eine esoterisch-rassistische Evolutionstheorie und Geschichtsbetrachtung. Seiner Vorstellung nach gibt es auf dem Planeten Erde sieben verschiedene Wurzelrassen, die im Laufe der Geschichte geherrscht haben. In der Gegenwart ist laut Steiner die fünfte arische Wurzelrasse die wichtigste – und von der wiederum die germanische Unterrasse berufen, ein Ich-Bewusstsein zu entwickeln. Diese Theorie ist auch für rechte Leute attraktiv.
Reflektieren die Schulen diesen Hintergrund?
Rudolf Steiner ist einfach der unhinterfragte Guru. Das Verhältnis zu Steiner ist generell ganz unkritisch. Seine Anhänger bestreiten einfach, dass das rassistisch ist. Auch mit dem Argument, dass die Wiedergeburt und damit die Reinkarnation in verschiedene Rassen eine ganz wichtige Rolle spielt.
Werden Steiners Theorien noch an Schüler weitergegeben?
Das hängt von der Schule und den Lehrern ab. Viele der Pädagogen an den Waldorfschulen sind selbst keine überzeugten Antroposophen.
Ist denn nicht allgemein bekannt, was so alles zu hinter der Waldorfpädagogik steckt?
Nein, und genau das ist das Problem. In den letzten Jahren haben die Waldorfschulen sehr viel expandiert – wegen der berechtigen Unzufriedenheit mit dem staatlichen Schulsystem. Die Eltern, vor allem aus der Mittelschicht und dem akademischen Milieu, suchen dann private Schulen für ihre Kinder – und die Waldorfschule gehört zu den bekanntesten Konzepten. Die Eltern schicken ihre Kinder dahin, ohne zu wissen, was für einen ideologischen Hintergrund die Schulen haben.
Wie nah sind sich Anthroposophie und Nationalsozialismus?
Beide haben eine rassistische Weltansicht. Es handelt sich aber um unterschiedliche Formen von Rassismus. Die Anthroposophie ist vom Kolonialismus geprägt. Sie zielt nicht auf Vernichtung oder Apartheid ab. Die niedrigeren Rassen oder Kulturen sollen vielmehr erzogen werden. Eine paternalistische Form des Rassismus.
Interview: Anna Dotti
Vortrag „Pädagogik für Arier – Grundlagen der Waldorfpädagogik“: 19.30 Uhr, Infoladen Wilhelmsburg, Fährstraße 48
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