: Der Mann des Bildungsfernsehens
NACHRUF Roger Willemsen, eineder beliebtesten TV-Figuren der Fernsehmoderne, ist gestern jung im Alter von 60 Jahren gestorben
Von Jan Feddersen
Die taz kam ja auch in den, so muss man es neidlos sagen, Genuss seiner wirklich sehr virtuosen Art, sehr Hässliches sehr schön formulieren zu können. Als die Kolleg*innen der sonntaz vor gut sechs Jahren Roger Willemsen fragten, ob er sich am „Streit der Woche“ mit einer kurzen Einlassung beteiligen könne, zierte er sich nicht lange – und das Zieren war ihm öfters ja angelegen –, denn das Objekt, dem er einige garstige Sätze widmen sollte, lag ihm schon lange wie ein mieser Stein auf der Seele.
So schrieb er denn zur Show „Germany’s Next Topmodel“ und ihrer Präzeptorin Heidi Klum: „Eine unschöne Frau mit laubgesägtem Gouvernanten-Profil bringt kleine Mädchen zum Weinen, indem sie ihre orthodoxe, hochgerüstete Belanglosigkeit zum Maßstab humaner Seinserfüllung hochschwindelt, über ‚Persönlichkeit‘ redet, sich aber kaum mehr erinnern kann, was das ist, und sollte diese je zum Vorschein kommen, sie mit Rauswurf bestraft. Der Exzess der Nichtigkeit aber erreicht seinen Höhepunkt, wo Heidi Nationale mit Knallchargen-Pathos und einer Pause, in der man die Leere ihres Kopfes wabern hört, ihre gestrenge ‚Entscheidung‘ mitteilt und wertes von unwertem Leben scheidet. Da möchte man dann elegant und stilsicher, wie der Dichter sagt, sechs Sorten Scheiße aus ihr rausprügeln – wenn es bloß nicht so frauenfeindlich wäre.“
Die Passage sei hier in Gänze zitiert, kein Wort überflüssig – auch wenn die leicht dünkelhafte Allüre, die dem Mann des Bildungsbürgertums ja immer eigen war, im Verhältnis zur Trashkultur immer etwas zu mokant, zu selbstsicher, zu gewiss in eigener (Klassen-)Sache wirkte. Es ist traurig und wahr zugleich, denn Roger Willemsen, der belesenste unter allen TV-Figuren der vergangenen 20 Jahre, der Mann der Literatur, des Talks und der elaborierten Auseinandersetzung auf beinah allen Quatschsofas der Republik, kann bei der nächsten Staffel der Klum-Dressur- und Zuchtshow nicht mehr zugucken.
Willemsen, erschütternd junge 60 Jahre erst, ist gestern an den Folgen seiner Krebserkrankung gestorben. Er kam in die deutsche Öffentlichkeit zufällig – der Autor des irgendwie Marxistische-Gruppe-Sound-geprägten Buches „Kopf oder Adler“, eines jugendlichen Statements gegen die entsetzliche Welt der deutschen Wendezeit, gegen miese Kleinbürger und geschmacklose Geilheit auf die D-Mark, auf schmutzige Polithälse und schmierige Politiken, war nicht die erste Wahl, als der Privatsender „Premiere“ 1991 die Talkshow „0137“ ins Leben rief. Willemsen freilich, ein Mann des Interesses für Themen wie die Abruzzen, Audrey Hepburn, Robert Musil, Giacomo Casanova, nutzte diesen steten Zweiertalk, gehalten in einem kühlen, fast undekorierten Studio zu Sternstunden der Sprech- und Fragekunst. Niemand hatte so illustre, interessante Gäste: Exgefangene der RAF, Jassir Arafat, einen entflohenen Bankräuber, die Frau von „Frühstück bei Tiffany“. Klar, dafür bekam er die einschlägigen Branchenpreise. Und schließlich die Gunst des ZDF, bei dem er seinen Talk fortsetzte.
Seine Gäste waren durch die Bank keine unterschichtskompatiblen Zeitgenoss*innen, sondern Leute, die auch den abituriellen Zirkeln der Republik mundeten. Willemsen war ein Idol der bildungsbürgerlichen Kreise, er schaffte es, diesen das Gefühl zu geben, Fernsehen könnte ein Medium des Anspruchs und des guten Geschmacks sein. Dem Fernsehen war er, ob beim schweizerischen SRG und dem WDR für eine Literatursendung, immer treu.
In den vergangenen Jahren war Willemsen mehr schreibend tätig. Erhielt viel Lob, gelegentlich auch falsches. 2006 veröffentliche er seine „Afghanische Reise“, 2009 „Bangkok Noir“ oder 2013 „Es war einmal oder nicht. Afghanische Kinder und ihre Welt“. Bücher, die allesamt die Horizonte eröffneten, die er noch in „Kopf oder Adler“ verspottete: geschrieben für Menschen, für die Weltläufigkeit ein Must ist und Provinzialität ein Graus, solche also, die auf den Treibstoff der entgrenzten Welt, den Modus der Kritik an allem, viel gaben. Willemsen gab all seinen Leser*innen – vor allem solchen weiblichen Geschlechts – das Gefühl, sie zu verstehen.
Das fragwürdige Buch „Das Hohe Haus: Ein Jahr im Parlament“ enthüllte eine oft übersehene Seite dieses Künstlers in allen Deutungsdisziplinen. Sein Ressentiment verfahrenstechnischen Abläufen gegenüber. Im Bundestag als oberflächelnder Beobachter wollte er die große Politoperette erkennen – und ward enttäuscht, weil er das Bohren dicker Bretter für abstoßend hielt.
Roger Willemsen wusste viel zu lesen. Und zu schenken. Der taz ebendiese kleine feine Sottise gegen den Wahn, dass nur weibliche Hungerhaken okay seien. Dass er deren erbarmungsloser Zuchtmeisterin tüchtig einen überbügelte, wird auf ewig bleiben.
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