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Schwierige Umsetzung von DigitalhörfunkWie oft kaufen Sie ein neues Radio?

Längst sollte der digitale Empfang von Radiosendern deutschlandweit eingeführt werden. Doch die privaten Sender haben Angst vor der Konkurrenz.

Erinnern Sie sich noch? Das ist ein Radio Foto: imago/Westend61

Na, heute schon Radio gehört? Auf Mittelwelle? Hört eh keiner mehr, deswegen hat auch niemand mitbekommen, dass es seit Silvester keinen deutschen Sender auf dem traditionsreichsten aller Verbreitungskanäle mehr gibt. Als Letzte hatten Deutschlandradio und Saarländischer Rundfunk die Mittelwellen-Ausstrahlung abgeschaltet.

Aber keine Sorge, UKW funktioniert ja noch. Obwohl der Bundestag im Telekommunikationsgesetz von 2004 beschlossen hatte, dass Lizenzen für die UKW-Nutzung „spätestens 2015 widerrufen“ werden sollten. Bis dahin sollten alle Bundesbürger nämlich ihr Radioprogramm über DAB (Digital Audio Broadcasting) empfangen. Doch der Bundestag hat diesen Passus 2011 wieder aus dem Gesetz gestrichen, ebenso wie einige Landesparlamente, die ähnliche Regelungen in ihren Mediengesetzen stehen hatten. Denn trotz aller Bemühungen um die Einführung des Digitalempfangs stehen bis jetzt kaum Geräte in den Haushalten – deshalb war eine UKW-Abschaltung bisher nicht zu verantworten.

Inzwischen hat sich die Situation geändert. Nachdem zunächst der verbesserte Standard DAB+ eingeführt worden war, gibt es in den Läden immer mehr Radiogeräte mit DAB-Modul, sogar bei den Einsteigermodellen. Bei Preisen von 40 Euro an aufwärts ist DAB nun kein Nischenprodukt mehr. Und für die Hersteller gibt es eigentlich keinen Grund, ein Gerät ohne Digitalempfang auf den Markt zu bringen. Für die Konsumenten könnte allenfalls die Konkurrenz Internet-Radio noch die Entscheidung erschweren, aber auch da ist der Preisunterschied zwischen Einzel- und Kombiempfängern eher marginal.

Nur: Wie oft kaufen Sie ein neues Radio? Schätzungen gehen von einer Zahl zwischen 240 und 300 Millionen Radioempfangsgeräten in den deutschen Haushalten und Büros aus. Nahezu alle von ihnen verfügen über ein UKW-Empfangsmodul. Und es besteht wenig Anlass für Neuanschaffungen, nicht zuletzt, weil die meisten Hörer den Mehrwert von DAB+ gegenüber UKW kaum nachvollziehen können.

Private Radiosender zeigen kein Interesse

Aktuelle Zahlen besagen außerdem, dass nur etwa 30 Prozent aller Radiogeräte, die im Laden verkauft werden, über ein DAB-Modul verfügen. Und trotz Abschaltung der Sender haben viele Neugeräte in den Läden noch immer ein AM-Modul für den Empfang der Mittelwelle und manchmal auch Kurzwelle.

Das andere große Hindernis sind die privaten Radioanbieter. Seit Jahren zeigen sie kaum Interesse an DAB. Sie fürchten um ihre Pfründen, denn der konsequente Umstieg auf dieses Verbreitungsverfahren bricht die Marktstrukturen auf. Auf dem DAB-Frequenzband ist mehr Platz für Konkurrenz, deswegen bremsen die alteingesessenen Radiosender die Umstellung, wo sie nur können.

Noch im Dezember verteidigte Klaus Schunk, für den Hörfunk zuständiges Vorstandsmitglied des Privatsenderverbandes vprt, die Ausstrahlungstechnik UKW. Sie sei „für die Wertschöpfung der Veranstalter“ unverzichtbar. Er forderte insbesondere von der Politik „keine Beeinträchtigung des UKW-Geschäftsmodells“ durch eine Abschaltdebatte. Und die Politik ist willfährig: Die Bereitschaft, nun endlich einen realistischen Abschalttermin festzulegen, ist kaum noch zu erkennen. Aus vielen Staatskanzleien ist zu hören, dass vor 2025 wohl kaum etwas machbar sei.

Norwegen und Schweiz schalten ab

Immerhin wird von immer mehr Beteiligten erkannt, dass es in Europa eine einheitliche Vorschrift zum Einbau von technologieneutralen Digitalchips zur Decodierung verschiedener Technologien geben müsse. Selbst die Staatssekretärin im zuständigen Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Dorothee Bär, setzt sich mittlerweile bei der EU dafür ein, dass Brüssel den Mitgliedsstaaten eine Handhabe gibt, den Verkauf rein analoger Radios – darunter auch Handys mit Radioempfang – zu verbieten.

Manchmal ist es sinnvoll, technische Standards zu setzen, damit sich die Märkte überhaupt erst entwickeln können

Ohne diese EU-Direktive kann Deutschland nicht verordnen, dass nur noch digitale Radios in den Läden stehen dürfen, eigentlich ein entscheidender Schritt für den Marktdurchbruch der seit 20 Jahren am Markt verfügbaren Technologie.

Doch ob sich Dorothee Bär bei ihrem Parteikollegen Günther Oettinger Gehör verschaffen kann? In der Brüsseler Bürokratie hat sich bis heute noch nicht die Erkenntnis breitgemacht, dass es im Spannungsverhältnis zwischen Netztechnologien und Märkten manchmal sinnvoll ist, technische Standards zu setzen, damit sich die Märkte überhaupt erst entwickeln können.

Die Schweiz und Norwegen machen vor, dass es durchaus anders geht und das, obwohl beide Länder sehr viel später in die Technologie eingestiegen sind als Deutschland. In Norwegen wird UKW ab 2017 stufenweise innerhalb eines Jahres komplett abgeschaltet, in der Schweiz vermutlich ab 2020. Ansonsten müssten nämlich laut Gesetz die UKW-Lizenzen für weitere zehn Jahre neu vergeben werden. In der Schweiz löste 2008 die Umschaltung der beliebten, landesweit ausgestrahlten „Musikwelle“ von Mittelwelle auf DAB einen Run auf DAB-Empfänger aus, Grundlage einer raschen Marktdurchdringung mit Digitalgeräten. In mehr als 40 Prozent der Schweizer Haushalte steht inzwischen ein DAB-Radio.

Drei Stunden Sendepause

Auch für den Privatfunk in der Schweiz war DAB attraktiv: Eine Reihe von Privatradios haben so die Möglichkeit erhalten, über das Lokale und Regionale hinaus im ganzen Land verbreitet zu werden.

Für Touristen, die dann im nächsten Jahrzehnt auf dem Weg nach Italien durch die Schweiz fahren, wird das wahrscheinlich bedeuten: mindestens drei Stunden Sendepause. Denn DAB-Empfänger für das Auto sind noch lange nicht Standard. Die deutsche Automobilindustrie bietet derartige Geräte in der Regel nur gegen gehörige Aufpreise an, obwohl man sich schon vor Jahren dazu bereit erklärt hatte, die neue Empfangstechnik zügig in die Neuwagen einzubauen.

Interessant wird es in diesem Frühjahr noch einmal für Deutschland. Bis April wird der 20. Jahresbericht der „Kommission für die Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“ (KEF) erscheinen. Fachmedien wollen erfahren haben, dass die KEF darin anstatt eines konkreten Abschaltdatums nur noch die Benennung eines „Abschaltzeitraums“ für UKW verlangt. Also auch hier eine Aufweichung der Position.

Dabei böte sich ein historisches Datum an: der 29. Oktober 2023. Das wäre der Tag, an dem in Deutschland der 100. Jahrestag des Radios gefeiert wird.

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8 Kommentare

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  • habe ich etwa den falschen Artikel gelesen ?

    Im Artikel geht es um Abschaltung von UKW und Einführung von digitalem Radio,

    und alle Kommentatoren dieses Artikels,schreiben über Flüchtlinge und Fr. Merkel...???

    • @tomas:

      Da kann man mal seh'n, wofür sich die Leut' interessieren oder nicht - armer Jürgen ;-)

  • Die langen Wartezeiten waren (und sind?) gewollt und Teil des Abschreckungssystems. Wer erst einmal jahrelang untätig warten und bangen muss, sucht sich vielleicht eine andere Fluchtalternative aus. Zudem sind manche Konflikte auch innerhalb der Wartezeit beendet, so dass dann keine Anerkennung mehr erfolgen muss.

    Mit der grossen Anzahl an Flüchtlingen, fällt uns dieses Abschreckungssystem auf die Füsse. Wer Menschen monate- oder jahrelang in Turnhallen vor sich hin warten lässt, sät Frust und Aggression und erntet Gewalt statt Dankbarkeit.

    Hier müsste Frau Merkel zu ihrem Satz "wir schaffen das" stehen und wirklich dafür sorgen, dass diese Menschen Perspektiven erhalten - denn (nur) ohne Perspektiven sind sie gefährlich für unsere Gesellschaft.

    • @Velofisch:

      Ich weiss nicht ob das oft passiert, aber ich teile Ihre Meinung.

      Wenn ich von einen Flüchtling die wir direkt unterstützen erfahre, dass er mit seine Mütter bei -10 Grad die ganzen Tag gewartet hat (draussen) und dann auf dennächsten Tag verwiesen würde, kann ich seine verlust an Geduld und Verständnis gut nachvollziehen.

      Dazu, als er rauskam und die Schlange nicht kurzer war, ginge er auf einige zu, die ihm erzählte dass die die kommende Nacht dort verbringen werden um an die Reihe zu bleiben. Das ist Folter.

  • Das lässt natürlich den populistischen Würgereflex hoch: Da kümmern sich mal wieder die Anwälte auf Kosten der Steuerzahler um Asylsuchende zum Nachteil unseres Staates. Und ist es nicht überhaupt reichlich "undankbar" als Schutzsuchender im Land gegen die Behörden zu klagen? Man muss verstehen, dass es um ein Grundrecht geht und deshalb der Rechtsweg offen steht, offen stehen muss. Und in der Tat machen unsere Behörden keine gute Figur, als ob sie mit der Einwanderungskrise klar kommen.

     

    Gibt es eine selektive Rechtstaatlichkeit? Wo man zu akzeptieren hat, dass es zu massenhafter grundgesetzwidriger (Artikel 16a) Einwanderung kommt, oder Gesetze der Einwanderung gebrochen werden, und faktisch nur ein ganz geringer Prozentsatz, der rechtlich zur Ausreise verpflichteten das auch am Ende tun wird, und wo die Anwälte der Ankommenden den Staat in Bausch und Boden klagen. Alles unter dem Mantra der Rechtstaatlichkeit, dabei ist eben das geschriebene Recht nicht durchgesetzt (und das mag man ja politisch auch begrüßen, aber...). Jeder denkt nur an seinen Vorteil und den Einzelnen mit seinen Rechten, keiner denkt an das wohlgeordnete Ganze und die Nachhaltigkeit des Staatswesens. Rechtstaatlichkeit heißt nicht Zuckerbrot ohne Peitsche für alle, nie Entscheidungen zum Nachteil des Antragsstellers, nie Konsequenzen. Weil das Recht in der Praxis nicht mehr wohlgeordnet ist, müssen auch die berechtigten Flüchtlinge unter der Krise unserer Institutionen leiden. Darum ist es richtig, dass sie klagen, wenn die Anwälte auch anspruchsdenkenden Unberechtigten ihre Dienste zur Verfügung stellen eben eine Art Kollateralschaden.

    • @Ansgar Reb:

      ja natürlich kümmern sich anwälte. prozessvertretung ist nun mal aufgabe dieses unabhängigen organs der rechtspflege.

      und ob Sie finden, dass/ob da wer berechtigt oder unberechtigt... das interessiert für zulässigkeit und begründetheit einer klage keine eine sau. und das ist gut so!

  • Lange Bearbeitungszeiten sind für die Betroffenen ärgerlich. Doch wenn Strukturen nicht für solche Menge an Antragstellern ausgelegt sind, dann ist das normal. Wenn sich pro Minute 50 Leute an der Döner-Bude anstellen, dann werden die Wartezeiten auch sehr lang. Selbst eine zweite Bude verhindert nicht weiteren Rückstau.

    Zusätzlich erschweren viele Einwanderer die Bearbeitung von Anträgen durch falsche oder unzureichende Angaben. Frau Dagdelen sollte einfach mal einen Monat in der Antragsbearbeitung mitarbeiten, bevor Sie über Staatsversagen räsoniert.

  • "Die Zahl der 2015 getroffenen Entscheidungen habe sich auf diese Weise von 128.911 im Jahr 2014 auf 282.726 mehr als verdoppelt, heißt es dem Bericht zufolge in der Antwort des Ministeriums."

     

    Das macht den Vorwurf der "Untätigkeit" ein bißchen lächerlich, ich nehme aber mal an dass die "Untätigkeit" der fachliche Oberbegriff ist wenn zu große Verzögerungen auftreten.

     

    Frau Dagdelen begibt sich auf dünnes Eis, es könnte sein dass sich die CSU dieser Kritik anschließt und noch wesentlich nachhaltiger die Wiederanwendung des Dublin-Abkommens einfordert.