Virginie Kamche über Aufarbeitung der Kolonialzeit: „Wir wurden nicht gefragt“
Früher war Bremen „Stadt der Kolonien“. Jetzt will Rot-Grün diese Geschichte aufarbeiten. Die afrikanische Community ist außen vor.
taz: Frau Kamche, der rot-grüne Senat will das große koloniale Erbe Bremens aufarbeiten und ein Erinnerungskonzept auf den Weg bringen. Gut so?
Virginie Kamche: Das ist aus unserer Sicht eine gute Initiative. Die Mehrheitsgesellschaft hat diesen Teil der Geschichte heute vergessen – deswegen ist es gut, jetzt daran zu erinnern und es heute besser zu machen. Und unsere Kinder sollen lernen, dass sich die Deutschen damals nicht richtig verhalten haben.
Wurde die afrikanische Community in Bremen in diese Initiative mit eingebunden?
Wir wurden nicht kontaktiert. Das Afrika Netzwerk Bremen jedenfalls wurde bislang nicht gefragt. Viele Menschen in der Community haben das wahrscheinlich noch gar nicht mitbekommen. Aber trotzdem finden wir die Initiative gut und wichtig, weil das ein Teil der Geschichte Bremens und Deutschlands ist. Wir haben alle Interesse daran, zu wissen, was genau passiert ist. Ich würde begrüßen, wenn auch im Schulunterricht die deutsche Kolonialgeschichte stärker einbezogen würde, damit unsere Kinder die wahre Geschichte erfahren können. Viele Historiker und Vereine verlangen das schon seit langem.
ist Diplom-Informatikerin und hat in Frankreich Bauwesen studiert. Die Mutter zweier Kinder lebt seit 1995 in Bremen und seit 2010 ist sie Koordinatorin und Vorsitzende des Afrika Netzwerkes Bremen e.V.
In der Nazi-Zeit nannte Bremen sich die „Stadt der Kolonien“. Mit einem riesigen Backstein-Elefanten hinter dem Hauptbahnhof wurde hier von 1932 bis 1990 wohlwollend des Massakers der Deutschen an den Herero und Nama im heutigen Namibia gedacht. Bei diesem Genozid starben rund 75.000 Menschen.
Der Bremer Kaufmann Alfred Lüderitz eignete sich das Land in „Deutsch-Südwest-Afrika“ 1884 mit betrügerischen Mitteln und einem unlauteren Vertrag an. Nach dem „Lügenfritz“ ist heute eine Straße benannt, ebenso wie nach seinem Mitstreiter Heinrich Vogelsang, einst ein Bremer Tabakhändler. Auch der Reichskommissar für Deutsch-Westafrika, Gustav Nachtigal, der Lüderitz' Landnahme beglaubigte, wurde mit einer Straße geehrt.
Von der Baumwollbörse bis zur Norddeutschen Mission ist Bremen flächendeckend mit Institutionen und Bauten kolonialen Ursprungs versorgt.
Sollten die Straßen, die nach üblen Bremer Kolonialisten benannt sind wie die Lüderitz-, Vogelsang oder Nachtigalstraße, umbenannt werden?
Ja! Das fände ich richtig.
Rot-Grün will diese Straßen lieber nur mit einer Legende versehen. Reicht das?
Ich finde, dass schon diese Form der Anerkennung der Geschichte ein großer Fortschritt ist. Eine Umbenennung ist ja auch immer eine Frage der Kosten. Deswegen wäre, auch aus ökonomischen Gründen, so eine Erklärung der Straßennamen schon nicht schlecht.
Auch dort, wo Bremen die Kosten übernehmen wollte, wie bei der Karl-Peters-Straße, waren AnwohnerInnen dagegen.
Das finde ich nicht richtig. Wenn so eine Umbenennung einer Straße nicht am Geld scheitert, dann soll man das auch machen. Diese Geschichte prägt uns alle, auch unsere Kinder – das ist wirklich nicht gut. Das führt zu Vorurteilen beziehungsweise erhält sie aufrecht und die wollen wir ja gerade abbauen. Und wenn man dagegen etwas tun kann, ist das doch ideal für alle. Das ist auch eine Frage der Gewöhnung der Anwohner: An einen neuen Namen werden sie sich leichter gewöhnen, wenn ihnen die Bedeutung des vorherigen Namens bewusst ist.
Bremen hat ein Denkmal, das an den Völkermord der Deutschen an den Herero und Nama im heutigen Namibia erinnert. Im Vergleich zu dem Elefanten nebenan, dem früheren „Reichskolonialehrenmal“, ist es allerdings unauffällig und winzig.
Natürlich reicht das nicht aus. Aber es ist ein Anfang: Diese Form der Anerkennung des Völkermordes ist gut, das ist schon ein großer Schritt. Jetzt wollen wir in die Zukunft gucken.
Soll Deutschland auch materielle Entschädigungen für diesen Völkermord zahlen?
Es geht nicht um materielle Entschädigungen, sondern um die Anerkennung – wie ich schon gesagt habe. Es ist ein schwarzer Fleck in der deutschen und bremischen Geschichte. Es geht darum, der Geschichte Respekt zu erweisen. Das wäre auch gut für die Menschen, die heute in Namibia leben – inklusive des Teils der Bevölkerung, die deutschen Migrationshintergrund haben. Ich meine, Deutschland und Bremen haben eine moralische Verantwortung Namibia gegenüber.
In Bremen gibt es allerlei Kaufmannsfamilien, deren Vorfahren finanziell von der Ausbeutung der Kolonien profitiert haben. Müsste die nicht auch Entschädigung zahlen?
Man sollte es Schritt für Schritt angehen. Wichtig ist zunächst die Anerkennung und die Vermittlung der wahren Geschichte in der Schule. Die Frage der Entschädigung folgt von allein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene