: „Anfällig für Missbrauch“
Ausstellung KZ-Gedenkstätte Neuengamme öffnet dunkles Kapitel in Hamburger Fußballgeschichte
63, ist Mitarbeiter der Gedenkstätte Neuengamme und engagiert sich für die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit.
taz: Herr Diercks, wann waren Sie zuletzt im Stadion?
Herbert Diercks: Das ist schon eine Weile her. Ich habe damals meinen Sohn begleitet, der im Verein spielte, und habe vom Rand aus zugesehen.
Haben Sie schon selbst Rassismus im Stadion erlebt?
Ständig hört man von Auseinandersetzungen und Diskriminierung – aber auch von Aktionen gegen Rechts. Engagement ist wichtig und kann Erfolge erzielen. Eine Kollegin kennt die HSV-Fanszene und hat herausgefunden, dass das Auftreten rechter Gewalttaten im Fußball im Vergleich zu den 1980ern gesunken ist. Darauf darf man sich jedoch nicht ausruhen, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit muss permanent betrieben werden.
Wird in Vereinen diese Arbeit ausreichend geleistet?
Ich weiß, dass das Thema in aktuellen Diskussionen eine Rolle spielt, auch bei den Fans. Teilweise gehört es sogar zur Identität des Vereins. Der HSV hat beispielsweise Ausstellungen zum Thema Nationalsozialismus organisiert und uns für Recherchezwecke sein Archiv geöffnet.
Trifft auch die Mitglieder Schuld am Fußball unterm Hakenkreuz?
Die bunte Sportlandschaft der Weimarer Republik wurde ab 1933 radikal beschnitten, natürlich von Seiten des Regimes. Aber auch Mitglieder der einzelnen Clubs haben offen kollaboriert, so wurden zu dieser Zeit immer weniger jüdische Vorsitzende gewählt und damit aus den Vereinen verdrängt. Der vorauseilende Gehorsam war ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.
Wofür soll mit der Ausstellung Bewusstsein geschärft werden?
Wir möchten zeigen, wie anfällig vor allem populärer Volkssport für Missbrauch von Regimen ist. Der Fußball im Dritten Reich ist ein Paradebeispiel, da sich Menschen eigentlich aufgrund ihrer Interessen demokratisch zusammenschlossen – das aber durch die NS-Manipulation ad absurdum geführt wurde.
Kann man das aus Geschichtsbüchern lernen?
In Büchern wird darüber leider selten erzählt. Man erfährt nur von den abstrakten Linien der Nazi-Diktatur. Bei uns wird die ganze Geschichte konkret und vorstellbar. Unsere Hoffnung ist, dass wir auch bei solchen Menschen Interesse wecken, denen Geschichte und Politik egal ist. Wir nutzen die Popularität des Sports, um Geschichtsbewusstsein zu vermitteln.
NR
„Hamburger Fußball im Nationalsozialismus“: 18 Uhr, Bürgersaal Rathaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen