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Eine Sorge mehr

SORGERECHT Die deutsche Gesetzgebung muss auf das Straßburger Urteil reagieren. Eine Frist hat der Europäische Gerichtshof jedoch nicht gesetzt. Justizministerin will Studie abwarten

Das Bundesverfassungsgericht hatte die Rechtslage 2003 für grundgesetzkonform erklärt

VON HEIDE OESTREICH UND CHRISTIAN RATH

Nichteheliche Mütter verlieren eine wichtige Vetoposition. Bisher konnten sie ganz allein entscheiden, ob sie mit dem Vater ihres nichtehelichen Kindes ein gemeinsames Sorgerecht ausüben wollen. Diese einseitig starke Stellung der Mütter verstößt aber gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Dies entschied jetzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Die derzeitige deutsche Rechtslage diskriminiere nichteheliche Väter.

Geklagt hatte der Kölner Musiker Horst Zaunegger. Er ist Vater einer nichtehelichen Tochter, die heute 14 Jahre alt ist. Mit der Mutter lebte er fünf Jahre zusammen. Das Paar trennte sich drei Jahre nach der Geburt der Tochter, die Mutter zog in eine andere Wohnung in demselben Haus. Zwei Tage die Woche lebte die Tochter beim Vater, an den Wochentagen und in den Urlauben wechselten sich die Eltern ab.

Anders als viele nichteheliche Väter hatte Zaunegger also kein Problem, Umgang mit seinem Kind zu haben. Er wollte jedoch ein gleichberechtigter Vater mit voller Verantwortung sein. „Die Kindsmutter hatte in allen Diskussionen mit mir immer eine Machtposition, weil sie das alleinige Sorgerecht hatte und ein gemeinsames Sorgerecht ablehnte“, so Zaunegger zur taz.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (Paragraf 1624a BGB) hat bei unehelichen Kindern zunächst die Mutter das alleinige Sorgerecht. Das heißt, sie kann entscheiden, wo das Kind lebt, welche Schulart es besucht, ob eine wichtige Operation durchzuführen ist. Nur wenn nicht verheiratete Eltern gemeinsam eine „Sorgeerklärung“ abgeben, können sie die elterliche Sorge gemeinsam ausüben. Deshalb kann der Vater das Sorgerecht bisher nicht gegen den Willen der Mutter erlangen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte diese Rechtslage 2003 für grundgesetzkonform erklärt. Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass eine nichteheliche Mutter sich dem Wunsch des Vaters nur dann verweigert, „wenn sie dafür schwerwiegende Gründe hat, die von der Wahrung des Kindeswohls getragen werden“. Dass sie die Vetomacht „als Machtposition gegenüber dem Vater missbraucht“, habe der Bundestag nicht unterstellen müssen.

Anders entschied nun der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte, der von den 47 Staaten des Europarats getragen wird. Ein gemeinsames Sorgerecht gegen den Willen der Mutter stehe dem Kindeswohl nicht grundsätzlich entgegen. Dies zeige sich schon daran, dass auch bei geschiedenen Eltern im Streitfall ein Gericht entscheide, ob die gemeinsame Sorge bestehen bleibt. Es sei daher „unverhältnismäßig“, dass bei nichtehelichen Eltern eine gerichtliche Klärung des Sorgerechts generell ausgeschlossen sei.

Diese Entscheidung betrifft nicht nur den Einzelfall Horst Zaunegger. Vielmehr muss der deutsche Gesetzgeber nun das deutsche Recht ändern. Eine Frist setzte der Straßburger Gerichtshof freilich nicht.

Auf jeden Fall muss nichtehelichen Vätern bald eine gerichtliche Möglichkeit zur Klärung des Sorgerechts gegeben werden. Das hatten die Grünen voriges Jahr bereits erfolglos im Bundestag beantragt. Weitergehend könnte das gemeinsame Sorgerecht auch bei nichtehelichen Eltern zum Regelfall erklärt werden, zumindest wenn sie zusammenleben.

Von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist aber keine weitreichende Initiative zu erwarten. Sie hielt die unangreifbare Vetoposition der Mütter für richtig. Davon wolle sie nur abweichen, wenn sie vom Bundesverfassungsgericht oder vom Straßburger Gerichtshof dazu gezwungen werde, sagte sie voriges Jahr bei einer Veranstaltung in Berlin, als sie noch nicht Ministerin war.

Jetzt erklärte das Justizministerium, dass man zunächst eine wissenschaftliche Untersuchung zur Situation nichtehelicher Elternpaare abwarten wolle, die „leider erst Ende 2010“ vorliegen wird. „Angesichts der Bandbreite von rechtspolitischen Möglichkeiten wird das Bundesjustizministerium die Debatte über gesetzgeberische Änderungen jetzt sorgfältig und mit Hochdruck führen.“ Familienministerin Kristina Köhler wollte sich gestern dazu erst mal nicht nicht äußern.

Bis zur Änderung des deutschen Rechts haben nichteheliche Väter keine Chance, ein gemeinsames Sorgerecht zu erzwingen. In dramatischen Fällen – wenn etwa die Mutter mit dem Kind in einen anderen Erdteil ziehen will – kann der Vater das Familiengericht anrufen, aber auf einer anderen Rechtsgrundlage (Paragraf 1666 BGB). Das Gericht muss dann prüfen, ob der drohende Verlust des Kontakts zum Vater das Kindeswohl gefährdet.

Auch Horst Zaunegger wird trotz seines Erfolgs in Karlsruhe deshalb zunächst kein gemeinsames Sorgerecht erhalten. Nicht einmal Schadenersatz ist ihm zugesprochen worden. Er ist mit dem Urteil, das die deutsche Rechtslage nachhaltig verändern wird, dennoch „absolut zufrieden“.

Nicht ganz zufrieden mit dem Urteil ist der Verein Väteraufbruch für Kinder: „Wir wollen keine Frickellösung“, sagte Vorstandsmitglied Rainer Sonnenberger zur taz. „Wir wollen eine Lösung wie in Frankreich: Sobald ein Vater die Vaterschaft anerkennt, hat er auch das Sorgerecht.“

Der Verband alleinerziehender Mütter und Väter, der mehr Frauen als Männer vertritt, sieht das anders: „Das Urteil ist weise“, so Edith Schwab, Bundesvorsitzende des Verbands. Es sehe eben ausdrücklich vor, dass die Sorge zunächst bei der Mutter bleibt. Gerade aus Frankreich kenne sie erschreckende Beispiele von Vätern, die ihre Vaterschaft nur zur Schikane der alleinerziehenden Mütter missbrauchten. „Anders als bei ehelich geborenen Kindern ist die Bandbreite der Beziehung zum Vater bei unehelichen Kindern eben sehr groß. Es könnte nach französischem Recht sogar der Vergewaltiger irgendwann vor der Tür stehen und über sein Kind bestimmen wollen“, so Schwab.

Angelika Nake, Familienrechtsexpertin vom Juristinnenbund, kennt schwierige Fälle gemeinsamer Sorge und findet: „Das Urteil verliert das Kindeswohl etwas aus dem Blick“. Aus ihrer Praxis zitiert sie den Fall eines Vaters, der verbieten ließ, dass der von der Mutter gewünschte Vorname in die Geburtsurkunde eingetragen wird. Ein anderer Vater wollte nicht, dass sein Kind in die teurere Kita mit Bioessen geht. „Sie müssen dann jedes Mal Gerichte bemühen, und das tut dem Kindeswohl garantiert nicht gut“, so Nake.

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