: Luxus? Wenn’s Mama macht!
DAS BUTTERBROT Einer Konservierungsmethode aus Skandinavien haben wir unser beliebtestes Fastfood zu verdanken. Mit Butter fing es an, heute zählt anderes
■ Im Spätmittelalter wurde es in Nordwestdeutschland zunehmend üblich, Brotscheiben mit Butter zu bestreichen. Erste Hinweise auf Butterbrote tauchen im 15. Jahrhundert auf, wo sie vornehmlich bei Speisen von Bauern und Bürgern belegt wurden.
■ Martin Luther erwähnte das Butterbrot in einer Epistel des Jahres 1525 als „Butterpomme“ und als beliebte Kindernahrung. Zuvor ist aus dem Jahre 1349 in Rostock der Familienname „Bartholdus Botterbroth“ in den Quellen erwähnt.
■ Die erste Bildquelle liefert in seinem Gemälde „Bauernhochzeit“ Pieter Brueghel d. Ä. aus dem Jahre 1568. Im Vordergrund sitzt ein Kind am Boden und säubert seinen Breiteller mit den Fingern. Auf seinem Schoß liegt eine angebissene Schnitte Brot, die zur Hälfte mit Butter bestrichen ist. Auch auf einem Gemälde seines Enkels Pieter Brueghel III., das nach 1610 entstand, ist das Butterbrot auf einer Festtafel vorhanden.
■ Im grimmschen Wörterbuch steht unter Butterbrot: „Eine geringe Kost, wie man sie Kindern zum Frühstück streicht und schneidet, auf die man zu bescheidenem Abendessen einladet.“ (lk)
VON LARS KLAASSEN
„Früher hat es so etwas nicht gegeben!“ Ähnlich empört werden sich vor gut 500 Jahren Menschen geäußert haben, die den Verlust der abendländischen Esskultur befürchteten: Eine neue Konservierungsmethode brachte seinerzeit Zwischenmahlzeiten „to go“ hervor. Heute wird dieses Fastfood selbst von Slow Food beworben. Die Vereinigung verkauft T-Shirts mit dem Aufdruck „Back to the Butterbrot“.
„Voraussetzung für die Aufnahme der Butterbrote in den täglichen Speiseplan war die Salzkonservierung“, erklärt der Wissenschaftler Josef Mangold vom Landschaftsverband Rheinland und Amt für rheinische Landeskunde. „Sie war notwendig, um schmackhafte, streichfähige Butter überall und während des ganzen Jahres zur Verfügung zu haben.“ Dank der Verbreitung dieses Verfahrens im Ostseeraum und in Nordeuropa durch den hansischen Handel gelangte streichfähige Butter unter anderem nach Deutschland. Während im Norden auf die Konservierung gesetzt wurde, ist im südlichen Europa traditionell Butter als Butterschmalz haltbar gemacht worden, der sich als Brotaufstrich nicht so gut eignete. Die Folgen sind bis heute an europäischen Tafeln greifbar: Im Süden wird Brot bis heute vor allem „gebrochen“, während in Mitteleuropa Scheiben geschnitten und geschmiert werden.
Die Erfolgsgeschichte des Butterbrots basierte von Anfang an auch auf Flexibilität und Mobilität. „Da sich die Butterbrote gut transportieren und verpacken ließen – besser als Brotbreie oder Suppen –, wurden sie zunehmend als Zwischenmahlzeit benutzt“, so Mangold. „Die mit Butter bestrichenen Brotschnitten wurden nun zusätzlich noch mit Käse, Wurst oder Schinken als Auflage angereichert und verfeinert.“ Daran hat sich bis heute nichts geändert. Solcher Belag war allerdings lange Zeit teurer Luxus. Das Butterbrot war im wahrsten Sinne des Wortes oft ein pures Butter-Brot, bis ins 20. Jahrhundert hinein. „Durch die Verstädterung und Industrialisierung kann man dann von beträchtlichem Butterbrotkonsum im 19. und 20. Jahrhundert ausgehen“, sagt Mangold. Während eine Redewendung aus alter Zeit laute: „Nur wer zwei Häuser besitzt, kann sein Brot zweifach bestreichen“, gelte das seitdem nicht mehr. Das Butterbrot hielt Einzug auch bei den unteren Schichten. Wobei die Betonung zunächst noch auf Butter lag.
Als Beleg für den hohen Wert des Butterbrots führt Mangold das „Hasenbrot“ und das „Schiebebrot“ an. Letzteres ist ein Relikt aus der kargen Nachkriegszeit: „Ein kleines Stückchen Wurst wurde auf der Graubrotscheibe mit den Zähnen immer weiter vorgeschoben und kaum angenagt, um bis zum Rest der Scheibe Brot immer noch etwas Wurstgeschmack zu haben. Zum Schluss wurde der Wurstrest mit Hochgenuss verzehrt!“ Mit wachsendem Wohlstand hat sich die Frage nach dem Aufschnitt entschärft.
Mit der Umfrage „Schmier dir eins! Das Butterbrot heute“ hat Mangold sich 2003 auch den aktuellen Aspekten des Kulturphänomens gewidmet. Dabei wurden im Rheinland knapp 1.000 Fragebögen verteilt, 1.140 gesondert an Jugendliche. Zum Vergleich wurden 300 Fragebögen aus dem benachbarten niederländischen Limburg ausgewertet. 57,3 Prozent der von Mangold Befragten verstehen unter einem Butterbrot „ein belegtes Brot“, unabhängig vom Belag. Lediglich 4,6 Prozent denken bei diesem Begriff an ein „Brot mit Butter“. Dass für 13,7 Prozent der Befragten Butterbrote synonym für „belegte Brote mit Deckel“ stehen, ist jedoch ein letztes Echo aus Mangeljahren. „Das offene, also komplett belegte Brot war noch in der Nachkriegszeit ein Zeichen von Wohlstand“, erklärt Mangold. „Die meisten Menschen konnten sich vielleicht gerade mal ein halbes Brot belegen – und haben die andere Hälfte des Brots daraufgeklappt.“ Neben besonders üppigen Auflagen wird Luxus heute auch so definiert: „Alltag ist es, wenn ich selbst die Brote mache. Luxus ist es, wenn’s Mama macht!“, so ein 15-Jähriger bei der Befragung Mangolds.
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