Jürgen Gottschlich über den türkisch-kurdischen Konflikt: Intervention erforderlich
Diese Situation war noch vor wenigen Monaten unvorstellbar. Der Wiederausbruch der Kämpfe in den kurdischen Gebieten ist schlimmer, als selbst die dunkelsten Jahre des Krieges Anfang der 90er es waren. Gab es damals noch Hoffnung auf Verhandlungen, befinden wir uns jetzt in einer Situation, in der Verhandlungen bereits gescheitert sind. Die Friedenspolitik der kurdisch-linken HDP, die bei den Wahlen im Juni noch so erfolgreich war und selbst bei den gewaltsam erzwungenen Neuwahlen noch für knapp 11 Prozent gereicht hat, ist völlig am Ende. Zerrieben zwischen einem Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der glaubt, mit dem Krieg gegen die Kurden punkten zu können, und einer PKK, die offenbar das Chaos in Syrien und im Irak für den geeigneten Zeitpunkt hält, nun auch in der Türkei bewaffnet zum Erfolg zu kommen, kann die HDP allein den Weg in die Katastrophe nicht mehr aufhalten.
Es scheint, als könne eine Deeskalation nur noch mithilfe von außen gelingen. Zu Recht fordern türkische und kurdische Menschenrechtsorganisationen eine humanitäre Intervention der EU. EU-Beobachter sollen in die Konfliktzone entsandt werden. So sehr Bundeskanzlerin Merkel und die EU-Kommission angesichts der Flüchtlingsprobleme vor einem Eingreifen zurückschrecken mögen, es gilt weitaus Schlimmeres zu verhindern.
Frustriert von dem Unwillen der USA und der EU, sich in dem kurdisch-türkischen Konflikt zu engagieren, fliegt HDP-Chef Demirtas also nach Moskau. Russische Nationalisten haben bereits unmittelbar nach dem Abschuss der russischen Militärmaschine gedroht, aus Rache die Kurden im Kampf zu unterstützen. Lässt die EU das zu, wird die Türkei vollends in den Bürgerkriegsstrudel des Nahen Ostens hineingezogen. Die Folgen, nicht nur für Europa, wären unabsehbar, nicht allein, was die Zahl neuer Flüchtlinge angeht. Auch eine direkte Kriegsbeteiligung wäre dann nicht mehr auszuschließen.
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