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Kommentar Störfälle in belgischen AKWsRoulette mit Schrottmeilern

Kommentar von Tobias Müller

Immer wieder geht was schief in belgischen AKWs. Aber abschalten? Nö. Das politische Trauerspiel eines halbgaren Atomausstiegs.

Runterfahren, Neustart. Die AKW-Betreiberfirma in Belgien könnte auch in der EDV arbeiten. Foto: dpa

P robleme – stilllegen – untersuchen – Neustart. So geht das in Belgien schon jahrelang. Immer wieder kleinere Störfälle, immer wieder mal hat einer der sieben in die Jahre gekommenen Reaktoren ein Wehwehchen. Dann nimmt die Betreiberin Electrabel, eine Tochter des französischen Konzerns Engie, diesen vom Netz, die Öffentlichkeit spekuliert, wie ernst es diesmal ist, die kleine Antiatomkraftbewegung weist auf Gefahren hin. Bis eine Untersuchung ergibt, dass alles halb so wild ist und der Reaktor wieder hochgefahren wird.

Ein Muster, das sich dieser Tage an den Standorten Tihange und Doel wiederholt. Bei zwei Reaktoren, deren Stahlwände von tausenden feinen Rissen durchzogen sind, bei denen nicht final geklärt ist, wie sie entstanden sind, und über die die föderale Nuklearaufsicht des Landes im Jahr 2014 noch mutmaßte, sie gingen womöglich nie wieder ans Netz.

Die Unabhängigkeit der betreffenden Untersuchungen haben Umweltorganisationen mehrfach kritisiert, ebenso wie die Nähe der Nuklearaufsicht zu Electrabel. Dass jeder der umstrittenen Reaktoren dem Konzern täglich eine Million Euro einbringt, erklärt ihren hastigen Neustart. Und so lässt man sie laufen, mit belgischem Laisser-faire, während in deutschen Grenzgebieten schon Jodtabletten verteilt werden.

Eine Analyse, die an diesem Punkt stehen bleibt, übersieht allerdings den Rahmen dieses belgischen Roulettes mit Schrottmeilern: das politische Trauerspiel eines halbgaren Atomausstiegs, 2003 beschlossen, jedoch ohne ausreichendes Konzept zur Förderung alternativer Energien.

Jahrelang hat sich Belgiens Politik vor allem um die Befindlichkeiten seiner diversen Sprachgruppen gekümmert, kümmern müssen, um die regionalistischen Fliehkräfte besonders in Flandern zu bändigen. Der atompolitische Offenbarungseid, der sich nun zeigt, ist nur ein Beispiel für die langfristigen Versäumnisse aus der Zeit, in der die föderale Politik so platt lag wie ein abgekoppelter Meiler.

Als direkte Folge solcher Versäumnisse löst nun so gut wie jede Stilllegung eines Atomreaktors eine neue Blackout-Diskussion aus. Kaum verwunderlich, dass dieses Jahr der Ausstieg um zehn Jahre verschoben wurde. 2025 soll er dann wirklich kommen. Wie auch immer. Die Frage ist, ob die Politik damit einer etwaigen Katastrophe zuvorkommt oder ob diese als letzter Beweggrund nötig ist.

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9 Kommentare

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  • Gott sei Dank, es gibt sie noch, die Anti-AKW-Bewegung; endlich ist mal wieder etwas von ihr zu hören! Vor einigen Monaten, als die G5+1 dem Iran erlaubten, seine zivile Kernkraftnutzung in vollem Umfang hochzufahren (um die Finger von den noch gefährlicheren Atomwaffen zu lassen), war das anders. Als damals das „hervorragende Ergebnis der G5+1-Verhandlungen“ (Steinmeier) gelobt wurde, war von den AKW-Gegnern nur brüllendes Schweigen zu hören.

     

    Nun kann man ja sagen, der Iran ist, im Gegensatz zu Belgien, tausende km von uns entfernt, was interessiert es uns, wenn DORT ein AKW hochgeht und viele Menschen zu Schaden kommen. Aber das ist ein Trugschluss: Der atomare Fall-Out kann vom Wind überall hin getragen werden, wie die Havarie von Tschernobyl gezeigt hat. Auch D. bekam damals seine Dosis ab!

     

    In einigen Jahren, wenn für uns die Atomkraft –Nutzung (hoffentlich) Vergangenheit ist, werden wir uns immer noch vor den ausländischen Meilern fürchten müssen, einschließlich der im erdbebengefährdeten Iran. Fukushima lässt grüßen!

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Pfanni:

      Ja, es gibt sie noch, die Anti-AKW-Bewegung:

       

      .ausgestrahlt.de

       

      Aber die kann sich nicht auch noch um Irans Busher kümmern...

      • @571 (Profil gelöscht):

        @KLAUSK

        Betrifft: ausgestrahlt.de

        Eine probeweise Suche auf dieser Seite nach „Iran“ ergab genau 1 (in Worten: EINEN) Treffer, und der betraf die längst vergangene Zeit der großen Koalition.

        Gegenbeispiel: Die Suche nach „Tschernobyl“ erbrachte 201 Treffer, nach dem noch viel weiter entfernten „Fukushima“ sogar 387 Treffer!

         

        Um die kann man sich also bei ausgestrahlt.de kümmern: Klar dass da keine „Bearbeitungskapazität“ für den Iran übrig bleibt. Zumal es dort nicht nur um den bereits in Betrieb befindlichen Meiler Busher geht. Eine Anzahl weiterer Meiler war bereits geplant und wird jetzt, nach dem Vertrag G5+1 / Iran mit Hochdruck gebaut!

         

        Und noch was. Ich hätte mir wenigstens gewünscht, dass Herr Steinmeier als Mitunterzeichner des erwähnten G5+1-Vertrags von den AKW-Gegnern zur Rede gestellt worden wäre. Taten sie aber nicht. Für gewöhnlich wird Schweigen als Zustimmung gewertet!

        • 5G
          571 (Profil gelöscht)
          @Pfanni:

          "Man" kann ja nicht alles auf einmal fordern.

          Urananreicherung stoppen, Kernkraft nur noch friedlich nutzen, Einblick in die Anlagen gewähren - und jetzt auch noch die Meiler abschalten?

          Im Falle Iran sind Geduld und Realitätssinn gefordert.

  • Das Spiel mit dem Feuer ist wohl das Lieblingsspiel der Menschen. Terrorgefahren hochzuspielen und Angst einzujagen, um die Staatsmacht zu demonstrieren ist die eine Seite. Auf der anderen Seite steht das Verdrängen und Herunterspielen der wirklichen Gefahren, die eine Gesellschaft bedroht. Kopf in den Sand stecken und weiter so, das ist die verderbliche Parole. Wetten, daß sie eines nicht fernen Tages bitter rächen wird?

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Peter A. Weber:

      Gibt es eine Lösung?

      Wenn jede® die Frage nach dem WARUM beantworten könnte, würden Wahlen anders als bisher ausgehen.

      Aufklärung tut not, denn die wäre die Lösung. Aber leider steckt auch bzw. gerade "der Souverän" den Kopf in den Sand.

    • @Peter A. Weber:

      Auch von meiner Seite Zustimmung. Zumal man doch ausgerechnet heute wegen dieser außerordentlichen Terrorgefahr die Meiler abstellen müsste...

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @Sapasapa:

        ... oder zumindest sichern.

         

        "Abgestellte" Meiler strahlen weiter. Zudem sind die Anlagen zur Zwischen- wenn nicht gar Endlagerung von Atommüll vorgesehen.

    • @Peter A. Weber:

      Dem kann ich nur zustimmen.

      Hans-Ulrich Grefe