Parlamentswahl in Spanien: Teuer macht glücklich
Was der Auberginenpreis mit dem Ausgang der spanischen Wahl zu tun hat. Unterwegs mit einer Podemos-Anhängerin.
In den letzten Tagen vor den Parlamentswahlen ist es in Spanien nicht mehr erlaubt, Wahlumfragen zu veröffentlichen. Eine kleine Zeitung im Nachbarland Andorra, El Periòdic, aber übersetzt die jüngsten Ergebnisse ihrer Meinungsforscher in Lebensmittelpreise – und spiegelt damit auch, wie die junge Protestpartei Podemos (Wir können) in der Gunst der Wähler wieder steigt.
Geht es nach Mar Mas, darf die Aubergine noch teurer werden.
Auf Mallorca ist es derzeit etwas wärmer, trotzdem hat die 49-Jährige sich einen Monat freigenommen um für die „Violetten“ in der Innenstadt von Madrid Wahlkampf zu machen. Die Kapitänin weiß, wie man sich mit Dauenjacke und Mütze gegen Wind und Kälte schützt. „Ich wollte einfach dabei sein“, sagt sie. „So etwas passiert nur einmal im Leben.“
Die alltäglichen Sorgen
Auf der Baleareninsel steuert sie sonst Urlauberschiffe und überführt Yachten. Jetzt steht sie an einem U-Bahn-Ausgang ihrer Heimatstadt, drückt Passanten Flugblätter in die Hand, beantwortet Fragen zum Programm und hört zu, wenn Bürger von alltäglichen Sorgen berichten: Arbeitslosigkeit, den Kindern, die auf Jobsuche im Ausland sind, oder der jüngsten unbezahlten Stromrechnung. „Die ganze Auswirkung der Krise, wird deutlich“, erklärt Mas. Auf den Flyern in ihrer Hand steht „Rettungspaket für die Bürger“.
Mas weiß, was Krise bedeutet. Lange war sie Produzentin bei unterschiedlichen TV-Sendern und machte sich 2002 selbstständig. Sie drehte Dokumentarfilme über Umweltschutz, Reisen, Natur – bis 2007, als die Spekulationsblase in der Bauindustrie platzte, Banken crashten, Spanien unter den Europäischen Rettungsschirm schlüpfte und mit der Sparpolitik begann. Weniger Geld – das bedeute auch für Mas weniger Aufträge. Die Filmemacherin musste ihr Unternehmen schließen und machte ihre Leidenschaft fürs das Meer zum Beruf. Sie legte das Kapitänspatent ab.
Im Mai, als die pensionierte Richterin Manuela Carmena mit der Bürgerliste Ahora Madrid (Jetzt Madrid) rund um Podemos die Kommunalwahlen in Madrid gewann, verfolgte Mas die Entwicklung aus der Ferne. „Dieses Mal hielt mich nichts. Ich habe ein paar Aufträge abgesagt, ich will einfach dabei sein“, sagt sie voller Begeisterung.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Frau ihren Job gegen Politik tauscht. Als 2011 die „Indignados“ in Madrid wie in anderen Städten Protestcamps errichteten, war sie auch dabei. „Was seither in Spanien geschieht, ist einzigartig.“ Podemos ist für sie der „organisierte Ausdruck“ der damaligen Empörung.
Wahlkampf mit Kleinstkrediten
Immer wieder wirft Mas einen schnellen Blick auf ihr Smartphone: „Wir brauchen einen Fahrer, fünf Leute zum Flugblattverteilen, Plakatieren heute Abend um 21.30 Uhr ...“, lautet die letzte Kurznachricht der Gruppe „Mannschaft Kampagne Zentrum“. Vor zwei Wochen hatte sie gerade mal 23 Mitglieder, jetzt sind es über 80. Sie kommen aus den vier Círculos (Kreisen) in der Innenstadt, den Basisversammlungen von Podemos. Alle sind Ehrenamtliche. Die fehlende Infrastruktur der Partei wird mit Engagement wettgemacht.
Anders als die beiden Altparteien, die regierende, konservative Partido Popular (PP) und die sozialistische PSOE, oder die ebenfalls zum ersten Mal antretende rechtsliberale Ciudadanos (Bürger) hat Podemos keine Millionenkredite bei den Banken aufgenommen. Der Wahlkampf wird über Kleinstkredite der Sympathisanten finanziert.
Zwei Millionen Euro sind so zusammengekommen. Das reicht für Material, für Säle, aber nicht für große Plakatwände, Schilder an den Straßenlaternen oder gar für zusätzliche Fernsehwerbung und Anzeigen.
„Ich nutze mein Erspartes, um hier zu sein. Das ist mein Beitrag“, sagt Mas. Infotisch am Morgen, Flugblätter verteilen am Nachmittag. Sie baut Bühnen für kleine Meetings auf, oder ist bei Großveranstaltungen wie am vergangenen Sonntag. Spitzenkandidat Pablo Iglesias, der charismatische 37-jährige Parteigründer, und Ada Colau, die die einstige Aktivistin gegen Zwangsräumungen und neue Bürgermeisterin Barcelonas, traten vor mehr als 11.000 Menschen auf.
„Die Straße fragt“
Podemos setzt im Wahlkampf aber nicht nur auf Großveranstaltungen, die üblichen Infostände oder Präsenz in den sozialen Netzwerken. „Die Straße fragt“, heißt ein neues Format, mit Wählern in Kontakt zu kommen. So wie am Samstagfrüh, als auf einem Platz Podemos-Vertreter und Mitglieder der neuen Madrider Stadtregierung Rede und Antwort standen.
Es kommen Bürger, die nur ihrem Unmut Luft machen wollen oder von ihren Nöten berichten: „Wählt auf keinen Fall die beiden Altparteien“, ruft einer. „Wenn ihr an die Regierung kommt, macht was für uns Langzeitarbeitslose, alle haben uns vergessen“, sagt eine Frau über 50. Ihr Mann – Maler und Tapezierer – berichtet, er arbeite, um die Familie versorgen zu können, mittlerweile in der Schweiz.
Meist gehen die Fragen an die Vertreter der Stadtverwaltung. „Warum ist der Drei-Königs-Umzug kürzer als im vergangenen Jahr?“, will eine Mutter wissen. „Was für Pläne hat die Stadtverwaltung mit der Casa del Campo?“, fragt ein älterer Anwohner. Der große Stadtwald hat hier einen seiner Eingänge. „Warum führen die Verkehrsbetriebe keine Linien innerhalb des Parks mit Elektrobusen ein?“, regt der Sprecher eines Nachbarschaftsvereins an.
Es hat sich viel geändert, seit die Konservativen nach mehr als 20 Jahren das Bürgermeisteramt verloren haben. „Endlich werden die Menschen eingebunden, können sich beteiligen“, beschreibt Mas, wie sie ihre Stadt unter der neuen Bürgermeisterin Manuela Carmena vorgefunden hat.
Prognosen als Lebensmittelpreise
Podemos hat ein Portal für Bürgerbeteiligung im Netz eingerichtet. Erhalten die Anträge dort genügend Unterstützung, kommen sie auf die Tagesordnung des Stadtrats. Eine neue Stelle im Rathaus vermittelt, wenn Banken Zwangsräumungen durchzusetzen versuchen. Wer dennoch seine Wohnung verliert, bekommt von der Stadt eine Unterkunft gestellt. Die kostenlose Schulspeisung für bedürftige Kinder wurde auch während der Sommerferien beibehalten. Und der Sozialhaushalt für 2016 um 24 Prozent aufgestockt.
Dennoch zahlt die Stadt ihre Schulden ab, gigantische 5 Milliarden Euro. Das meiste davon hat sich dank monströser Bauprojekte zur Zeit des billigen Geldes aufgetürmt. In Barcelona, Saragossa oder Cádiz, wo ebenfalls Podemos-nahe Bürgerlisten regieren, wird eine ähnliche Politik betrieben. Die „Städte des Wandels“ dienen im Wahlkampf als Beispiel, dass Podemos regieren kann und trotz Krise besser und gerechter.
„Immer mehr Menschen kommen an die Infotische und zu den Veranstaltungen“, berichtet Mas. „Wir werden am Wahlabend die große Überraschung sein.“ Sie schaut noch einmal auf die Lebensmittelpreise auf ihrem Smartphone. Die sozialistische PSOE wird wegen der Parteifarbe von der Erdbeere symbolisiert, die Ciudadanos von einer Orange, der Wasserpreis steht für die Werte der regierenden PP.
Die Aubergine kostet mittlerweile knapp 21 Euro. Es fehlen nur 80 Cent, um vor den Erdbeeren zum zweitteursten Produkt zu werden. Wasser kostet am meisten und steht bei knapp 26 Euro, die Orangen liegen bei 16 Euro.
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