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Doppelt gestrafte Senioren

PFLEGE Wegen massiver Pflegemängel hat die Heimaufsicht die Schließung der Seniorenresidenz Kirchhuchting verfügt. Dagegen protestieren nun die BewohnerInnen

Kann trotz Verständnis wenig versprechen: Anja Stahmann (Grüne) diskutiert mit einer Heimbewohnerin Foto: JPK

von Jan-Paul Koopmann

Gegen die Schließung der Seniorenresidenz Kirchhuchting protestierten BewohnerInnen und Angehörige am Dienstag vor dem Rathaus. In ihrer „Petition“ forderten sie Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) auf, das Heim nicht wie angekündigt am Donnerstag zu schließen. Die rund 50 BewohnerInnen wären dann zum Umzug in andere Einrichtungen gezwungen. Gruppensprecher Matthias Träger sagte, so würden sie noch einmal „dafür bestraft, dass sie in den vergangenen Jahren schlecht gepflegt wurden“.

Beschlossen wurde die Schließung vor zwei Wochen von Bremens Wohn- und Betreuungsaufsicht – wegen massiver Mängel in Hygiene, Versorgung und Dokumentation. Die das Heim betreibende Mediko-Gruppe wurde bereits im Januar aufgefordert, diese Mängel zu beheben, ist dem aber nicht nachgekommen.

Leicht habe man es sich mit der Schließung nicht gemacht, beteuerte Stahmann gegenüber den aufgebrachten Protestierenden. Nach zweijährigen Kontrollen und Mahnungen habe es aber keine andere Möglichkeit mehr gegeben.

Doch für die Demonstrierenden sind diese Mängel Schnee von gestern. 2013 sei die Situation im Heim unerträglich gewesen, sagte Notburga Kuke, eine BewohnerInnen-Sprecherin der Residenz. Doch inzwischen sei die Lage besser. „Die Senatorin will ein Exempel statuieren“, so Kuke. Gruppensprecher Träger betonte, dass es hier nicht um Klinikbetten gehe, die man mal eben irgendwo hin schieben könne. „Das sind ihre Wohnungen“, sagte er. Gerade hätten die BewohnerInnen ihren Weihnachtsschmuck aufgehängt und jetzt sollten sie raus.

Träger forderte Stahmann auf, die Betreuungsstandards vorübergehend auszusetzen, bis die Verhandlungen mit dem möglichen neuen Betreiber, der Düsseldorfer „Curata Gruppe“, unter Dach und Fach seien. „Scheißen Sie doch auf die Gesetze!“, rief ein aufgebrachter Heimbewohner dazwischen.

Stahmann kann kein Auge zudrücken, da die Behörde für die Sicherheit verantwortlich ist. Für die Not der Alten zeigte sie durchaus Verständnis. Darum arbeite man mit Hochdruck daran, das Übernahmeangebot der Curata zu prüfen, sagte sie. Die Entscheidung könnte laut Sozialbehörde bereits am heutigen Mittwoch fallen.

„Scheißen Sie doch auf die Gesetze!“

Ein Bewohner der Seniorenresidenz Kirchhuchting

Dass es überhaupt soweit kam, ist laut Stahmann dem bisherigen Betreiber anzulasten. Die Mediko hatte gegen den Beschluss der Heimaufsicht einen Eilantrag gestellt und sich bis zu dessen Scheitern vor Gericht mit Lösungen zurückgehalten. „Hier ist auf Kosten der Bewohnerinnen und Bewohner taktiert worden“, so Stahmann.

Die gesetzliche Grundlage der Heimunterbringung wird am heutigen Mittwoch auch in der Bürgerschaft Thema sein. Die Abgeordneten werden über das Bremische Wohn- und Betreuungsgesetz (BremWoBeG) entscheiden. Ein Bündnis von Pflege-ExpertInnen um die Bremer „Heim-Mitwirkung“ hat die Fraktionen in einem offenen Brief zum Nein aufgerufen. Das Gesetz, so die Kritik des Bündnisses, schreibe der ohnehin überlasteten Heimaufsicht vor, mangelhafte Einrichtungen zeitaufwendig und zudem kostenlos zu beraten, statt sie zu schließen, sagte Initiator Reinhard Leopold von der Heim-Mitwirkung. Unterzeichnet wurde der Brief unter anderem von Ver.di, dem Gesundheitsladen Bremen und Netzwerk Selbsthilfe.

Die Linke wird gegen das Gesetz stimmen. Allerdings nicht in erster Linie wegen der strittigen Beratungspflicht, sondern weil das derzeit testweise gültige Gesetz gar nicht evaluiert wurde. Dabei zeige der Fall Kirchhuchting gerade, dass es bei der Heimaufsicht dringenden Klärungsbedarf gebe, sagte Peter Erlanson, der gesundheitspolitischer Sprecher der Linksfraktion zur taz. Ohne Evaluation ließe sich über Sinn und Unsinn der Regelungen gar nicht urteilen. Auch die CDU-Fraktion diskutiert darüber, dem Gesetz am Mittwoch die Zustimmung zu verweigern.

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