piwik no script img

Katzenfutter zum Terroralarm

Brüssel Die Hauptstadt Europas bleibt den dritten Tag in Folge wegen des Terroralarms lahmgelegt. Doch das hindert die EU nicht daran, fast normal weiterzuarbeiten

Kein Spaß: Leer gefegter Kindergarten in Brüssel Foto: Virginia Mayo/ap

Aus Brüssel Eric Bonse

René Magritte hätte seine helle Freude gehabt an diesem merkwürdigen Tag in Brüssel. Die EU-Kapitale war durch den Terroralarm bereits den dritten Tag in Folge weitgehend lahmgelegt, der Montag fühlte sich wie ein arbeitsfreier Sonntag an – ziemlich surreal.

Auch die Erklärungen von Politik und Polizei eiferten dem belgischen Surrealisten und seinem Werk (“Ceci n’est pas une pipe – dies ist keine Pfeife“) nach. So ließ die Polizei auf dem Kurznachrichtendienst Twitter virtuelles Katzenfutter verteilen.

Es war als Dank dafür gedacht, dass die bei einer Terrorfahndung am Sonntagabend verhängte Nachrichtensperre weitgehend eingehalten worden war. Statt Informationen über den Polizeieinsatz verbreiteten viele Twitter-Nutzer völlig harmlose Katzenbilder.

„Für die Katzen, die uns gestern Abend geholfen haben …bedient euch!“, tweetete die Polizei zum Dank am Montag. Dazu stellte sie ein Foto mit einem gefüllten silbernen Futternapf mit der Aufschrift „Polizei“ auf Flämisch und Französisch.

Ziemlich surreal war auch das Verhalten der Politik. So konnte der belgische Innenminister Jan Jambon beim besten Willen nicht erklären, wieso der fieberhaft gesuchte mutmaßliche islamistische Terrorist Salah Abd­es­lam, der nach den Attentaten von Paris gen Belgien geflüchtet war, immer noch nicht gefasst wurde.

Zwar hatte es auch am Montag mehrere Razzien im Großraum Brüssel gegeben, bei denen bis zum Nachmittag 21 Personen festgenommen wurden. Doch Abdeslam war nicht darunter, er ging der Polizei durch die Lappen. „Ich glaube, dass er viel Unterstützung haben muss“, so Jambons hilflose Erklärung.

Kein Umsatz: Cafés in der Innenstadt Foto: Youssef Boudlal/reuters

Immerhin gelang es den belgischen Behörden, für eine ungewöhnliche Ruhe und Ordnung zu sorgen. Obwohl Schulen, Universitäten, Einkaufszentren und die U-Bahn geschlossen blieben, kam es nicht einmal zum sonst üblichen totalen Verkehrschaos rund um die belgische Hauptstadt. Viele Brüsseler blieben einfach zu Hause und arbeiteten vom eigenen Schreibtisch aus – im virtuellen Home Office.

Dazu konnten sich die EU-Behörden freilich nicht durchringen. Die EU-Kommission, die im Europaviertel an der Rue de la Loi (Straße des Gesetzes) sitzt, stellte es ihren Mitarbeitern zwar frei, zu Hause zu arbeiten, doch der Sprecherdienst der Brüsseler Behörde war fast vollzählig angetreten und machte „Business as usual“. Die Kommission hatte nicht einmal die hausinterne Warnstufe angehoben, wie der EU-Ministerrat.

Auch das war ziemlich surreal, schließlich liegt der Rat in demselben Stadtviertel, nur auf der anderen Straßenseite. Kommissionssprecher Margaritis Schinas hatte denn auch Mühe, den Unterschied zu erklären. „Wir haben keine spezifische Drohung erhalten“, sagte er, was angesichts der „unmittelbaren Gefahr“, die die belgischen Behörden bereits seit Tagen ausgerufen haben, seltsam klang.

Außerdem erwarte die Kommission an diesem Tag nicht so hohen Besuch wie der Ministerrat, so Schinas weiter. Tatsächlich tagten im Ratsgebäude die Finanzminister der Eurozone.

Offenbar sind Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble wichtiger als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker oder der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger. Denn für sie galt „orange“ Alarm, für die Kommissare im Haus gegenüber dagegen nur gelber.

Inhaltlich wollten sich weder die EU-Kommission noch der Rat auf die ausgerufene Terrorgefahr einlassen. Die Kommission ist schon stolz darauf, dass sie schärfere Maßnahmen gegen den Waffenschmuggel auf den Weg gebracht hat.

Kein Verkehr: Brüssel, nahe des Hauptbahnhofs Foto: G. Vanden Wijngaert/ap

In Kraft treten dürften sie allerdings nicht vor Sommer 2016. Also ein wenig spät für die derzeit gesuchten Terroristen, die mit Sprenggürteln und geladenen Kalaschnikows durch Brüssel laufen sollen.

Und die Eurogruppe mochte an diesem surrealen Montag noch nicht entscheiden, ob die verstärkten Sicherheitsmaßnahmen, die neben Frankreich und Belgien auch Italien und Großbritannien verhängt haben, beim Budgetdefizit herausgerechnet, also gutgeschrieben werden. Es wäre „voreilig“, darüber jetzt schon zu entscheiden, so Gruppenchef Dijsselbloem.

Dabei hat Frankreich schon angekündigt, dass es die gültigen Budgetregeln im europäischen Stabilitätspakt wegen der Terrordrohung brechen werde. Europa brauche jetzt einen Sicherheitspakt und keine Pfennigfuchserei, heißt es aus Paris. Doch bis nach Brüssel ist dieser Ruf wohl noch nicht gedrungen – ziemlich surreal.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen