Heim muss schließen: Seniorenheim ließ Alte hungern
Das Bremer Sozialressort lässt ein Seniorenheim der Mediko-Gruppe schließen. Durch Pflegemängel bestehe Lebensgefahr für die BewohnerInnen.
BREMEN taz | Wegen massiver Mängel hat Bremens Wohn- und Betreuungsaufsicht die Schließung eines Seniorenheims der Mediko-Gruppe verfügt. In der „Seniorenresidenz Kirchhuchting“ sei nach Kontrollen in mehreren Fällen von einer „schwerwiegenden Gefahr für Leib und Leben“ für die BewohnerInnen auszugehen, erklärte das Bremer Sozialressort am Montag.
Mängel bestünden bei der Hygiene, der pflegerischen und medizinischen Versorgung sowie in der Pflegedokumentation. Zur Mediko-Gruppe gehören insgesamt 21 Pflegeheime in Deutschland, zehn davon in Niedersachsen, sowie eines in Hamburg-Fischbek. Erst im März hatte ein Heim der Gruppe im hessischen Hattersheim für Aufmerksam gesorgt: Nach ähnlichen Vorwürfen musste dort massiv nachgebessert werden. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück.
Über die Mängel in der Bremer Einrichtung hatte ein Pfleger im Oktober in der taz berichtet: Teilweise sollen falsche Medikamente verabreicht worden sein, es habe Fälle von Austrocknung und Unterernährung bei den BewohnerInnen gegeben. „Die Trink- und Essprotokolle beispielsweise wurden einfach gefälscht“, erklärte der Pfleger, „am Ende des Tages wurde da irgendetwas hineingeschrieben.“ Und: Es habe massiv Personal gefehlt.
Die Leiterin der Bremer Wohn- und Betreuungsaufsicht, Martina Timmer, erklärte nun, es seien „einfache und grundlegende Maßnahmen der Qualitätssicherung in der Pflege“ unterblieben. Der Träger habe, insgesamt gesehen, „die Anforderungen an die Pflege und Betreuung pflegebedürftiger Menschen nicht ernst genug genommen“, sagte Timmer. Ein Bewusstsein für einen würdevollen Umgang mit den BewohnerInnen sei „völlig unzureichend entwickelt“. Die Behörde sei seit Monaten mit der Einrichtung beschäftigt gewesen. Bereits im Januar waren Anordnungen erlassen worden, im September wurde die Schließung angedroht.
M. Timmer, Bremer Sozialressort
Diese wurde nun am Freitag verfügt. Ursprünglich sollten alle 63 BewohnerInnen bis Donnerstag verlegt werden. Vor dem Verwaltungsgericht Bremen hat die Mediko-Gruppe allerdings einen Eilantrag gestellt, um den „sofortigen Vollzug“ aufzuschieben, bis über einen Widerspruch entschieden wurde. Laut Gericht hat die Bremer Aufsichtsbehörde daraufhin eingewilligt, die Entscheidung über den Eilantrag abwarten zu wollen.
Gegenüber der taz erklärte die Mediko-Gruppe, für eine Untersagung des Betriebes bestehe „kein Grund“, die Entscheidung der Behörde sei „unangebracht“. Vielmehr verwies das Unternehmen auf die Aussage eines Arztes, der 16 BewohnerInnen betreue, wonach eine Gefährdung für Leib und Leben erst durch die Schließung der Einrichtung entstehe.
Laut Mediko hätten „zahlreiche Bewohner und Angehörige“ bereits mitgeteilt, „dass sie keinen Auszug aus der Einrichtung wünschen“. Dies stehe „in Zusammenhang mit der bis heute erreichten Versorgungsqualität in der Residenz Kirchhuchting“. Vor dem Verwaltungsgericht habe man auch eine eidesstattliche Versicherung eines Sachverständigen vorgelegt. Dieser hatte die Einrichtung seit September beraten und erklärte, es könne in der Seniorenresidenz „nicht von einer ‚gefährlichen Pflege‘ gesprochen werden“. Die bisherigen Anordnungen seien mit sofortiger Wirkung umgesetzt worden.
Die Mediko-Gruppe ist nach eigenen Angaben Teil der familiengeführten Lindhorst-Gruppe mit Sitz im niedersächsischen Winsen an der Aller, deren ursprüngliches Geschäftsfeld in der konventionellen Landwirtschaft liegt.
Laut Tagesspiegel setzt Lindhorst „auf maximale Rationalisierung durch ‚schlanke Betriebsorganisation‘ und den Einsatz von externen Lohnunternehmen“. Nach dem Einstieg ins Immobiliengeschäft kam 2007 das Geschäftsfeld „Pflege- und Gesundheitszentren“ hinzu. Aus dem niedersächsischen Sozialministerium hieß es, bislang gebe es keine Kenntnisse über Missstände der Unternehmens-Gruppe.
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