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Ulrich Schulte über den Stand der grünen ParteiIn der Kretschmann-Falle

Der Regierungschef in Stuttgart beweist seit Langem, dass er von Merkel viel gelernt hat

Konsens ist ein Wert an sich.“ So begründet Winfried Kretschmann, warum er dem Asylkompromiss der Kanzlerin zustimmte. Das Argument von Baden-Württembergs Regierungschef akzeptiert, dass Positionen sich in Ausnahmesituationen ändern müssen. Wenn fast täglich in irgendeiner Kleinstadt eine Unterkunft brennt, wenn Bürgermeister überlastet sind und immer mehr Deutsche skeptisch werden, dann ist nicht die Zeit für grüne Blümchenrhetorik.

Aber zu viel Konsens schadet, und das kommt bei dem philosophisch gebildeten Ministerpräsidenten leider nicht vor. Eine lebendige Demokratie lebt von der Differenz. Die Bürger müssen die Wahl haben, sonst macht das Ganze keinen Spaß. Wer den Konsens über alles stellt, läuft Gefahr, die eigene Position zu verwischen.

Kretschmanns Satz ist ja auch herrlich bequem, weil er jeden inhaltlichen Streit beendet. Klar, Wert an sich, wer wollte da noch nörgeln? Die Grünen kritisieren gern Merkels postdemokratisch anmutende Vagheit, zumindest haben sie das früher mal getan. Aber Kretschmann beweist seit Langem, dass er von dieser Kanzlerin viel gelernt hat.

Ja, die Grünen befinden sich bei der Flüchtlingspolitik in der Klemme. Der gesellschaftliche Diskurs in Deutschland rückt nach rechts, da ist es schwer, linke Positionen hochzuhalten. Aber ein bisschen Ehrlichkeit, die könnte man von der Ökopartei schon verlangen. Es ist doch so: Der Asylkompromiss, dem die von Grünen mitregierten Länder zustimmten, war eine Erpressung der Großen Koalition. CDU, CSU und SPD haben die Grünen mit Milliarden gelockt, aber dafür widersinnige Asylrechtsverschärfungen verlangt.

Zwangslagen schaffen eigene Gesetze. Dass Kretschmann und seine Länderkollegen am Ende zugestimmt haben, kann man ihnen schwer vorwerfen. Kreschmanns Gegner überziehen, wenn sie pauschal behaupten, er verrate grüne Ideale.

Die wahren Probleme liegen woanders. Ein erstes lautet: Kretschmann kämpft in der Flüchtlingspolitik nicht hart genug, er tut das übrigens auch nicht bei anderen Themen. Kretschmann meidet vor der Landtagswahl jede noch so kleine Eskalation, weil er der CDU keine Angriffsfläche bieten will. Mehr noch, er besetzt ihre Themen, da, wo es passt. Das ließ sich zum Beispiel bei der Erbschaftsteuer wunderbar beobachten.

Die Kanzlerin hat diese Strategie perfektioniert. Sie besetzte SPD-Themen wie den Mindestlohn und praktiziert ansonsten einen präsidialen Politikstil. Erst in der Flüchtlingspolitik wird ja so etwas wie eine Kontur sichtbar. Merkel nimmt so SPD-Wählern den Grund, gegen sie zu sein. Kretschmann, der Merkel lobt, wo er kann, kopiert diesen Trick.

Für die Flüchtlingspolitik der Grünen ist das fatal, denn ein schwacher Chef schwächt den Rest. Wenn sich der Mittelstürmer während des Spiels unter der Ersatzbank versteckt, schießt die Mannschaft wenig Tore. Aus Sicht eines Ministerpräsidenten, der in einem konservativ grundierten Bundesland an der Macht bleiben will, ist diese Sicht nur folgerichtig. Aber Kretschmanns Wegducken minimiert die Verhandlungsposition der Grünen, ihre Sperrminorität im Bundesrat wird wirkungslos.

Das zweite Problem ist, dass die Grünen ihre Niederlage bis heute schönreden. Ein Verlierer mag eine Erpressung vielleicht nicht Erpressung nennen, aber ein Sieg ist sie auf keinen Fall.

Grüne Parteistrategen erklären aber bis heute mit treuherzigem Augenaufschlag, der kümmerliche Arbeitsmarktzugang für Menschen vom Westbalkan sei ein grandioser Erfolg. Oder sie loben sich für Investitionen, die eigentlich die SPD verhandelte. Entschuldigung, das ist lächerlich. Die grüne Eigen-PR wirkt nur noch peinlich. Von einer Partei, die sehr kluge Wähler hat, muss man mehr erwarten.

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