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Volkswagen Nicht nur in Amerika, auch in Europa drohen Strafen und diverse Klagen. US-Anwalt rechnet mit Einigung binnen drei JahrenGefangene ihres Auspuffs

Zerflossen: Das VW-Logo an der Fassade des Kraftwerks in Wolfsburg, gespiegelt im Mittellandkanal Foto: Paul Langrock/Zenit

von Ingo Arzt

Es gehört wohl zu den kleineren Absurditäten des VW-Skandals, dass der Konzern nun direkt Geld an einige geschädigte Kunden zahlt. Ausschließlich an US-Bürger, ausschließlich für bestimmte TDI-4-Zylinder-Modelle eines Jettas, Golfs, oder Beetles zwischen 2009 und 2015. Über 120 000 Autobesitzer haben bereits die mit 500 Dollar aufgeladene Prepaid-Kreditkarte als Geschenk angenommen, dazu kommen noch 500 Dollar Reparaturgutschein. Macht 1000 Dollar als „ersten Schritt, um das unbezahlbare Vertrauen“ der Kunden wiederherzustellen, wie VW schreibt.

1000 Dollar für Unbezahlbares, und dann wäre die Sache PR-mäßig auch noch um ein Haar schiefgegangen: Anwälte um Patrick J. Bernal aus Bennington im US-Bundesstaat Vermont fürchteten, VW wolle die 1000 Dollar später von möglichen Schadenersatzzahlungen an seine Kunden abziehen – sie entdeckten verdächtige Klauseln für alle, die das „Volkswagen of America 2.0L TDI Customer Goodwill Package“ akzeptierten. Volkswagen musste vor Gericht eine Vereinbarung unterzeichnet, dass man das Geschenk nicht von eventuell fälligem Schadenersatz abziehen werde. „Ich selbst bin übrigens großer VW-Fan, schon die Mutter fuhr einen Käfer“, sagt Bernal am Telefon.

Damit endete zumindest ein ganz kleines Scharmützel des Konzerns nicht in einer demütigenden Niederlage. Es geht um Ansehen, viel Geld, manche sagen sogar: seine Existenz. Wie ernst es mittlerweile ist, das zeigt eine Aufsichtsratssitzung bei VW diesen Freitag. Eigentlich wollte der Autobauer zwischen 2015 und 2019 17,1 Mil­liarden Euro jährlich investieren, 2016 wird das Budget nun auf 12 Mil­­liar­den gekürzt. Bereits vorher hatte VW 6,7 Milliarden Euro zur Seite gelegt. Die Unsicherheiten sind vor allem Gift für die Finanzierung des Konzerns, der ständig Schulden bedienen und neue aufnehmen muss: Unsicherheit bedeutet in der Finanzwelt höhere Zinsen, weshalb laut Agenturberichten die Wolfsburger mit mehrere Banken verhandeln, um an günstigere Kredite von bis zu 20 Mil­liar­den Euro zu kommen.

Geht man die Risiken für den Konzern Punkt für Punkt durch, bleibt eben vor allem eines: Unsicherheit. In den USA sind es die zentrale Umweltbehörde EPA und das kalifornische Pendant CARP, die dafür sorgen. Im Gegensatz zu EU-Institutionen verfügen beide über mächtige Druckmittel in Form hoher Geldstrafen. Die Chefin der CARP, Mary Nichols, drohte im Handelsblatt damit, dass Volkswagen einen Teil seiner Fahrzeuge von den Besitzern zurückkaufen müsse, weil ein Nachrüsten bei älteren Modellen vielleicht nicht einfach möglich sei. Tags zuvor hatte Nichols bereits mit „drakonischen Strafen gedroht“, sollte VW nicht wie gefordert der Umweltbehörde bis Freitagabend europäischer Zeit einen Plan vorlegen, wie das Problem deutlich erhöhten Stickoxidausstoßes behoben werden kann.

In Europa sind die Behörden dagegen schwach aufgestellt. Zwar gibt es eine EU-Richtlinie von 2007, nach der Staaten „effektive und abschreckende“ Strafen verhängen müssten, allerdings ist der Teil der Richtlinie in vielen Staaten nicht umgesetzt. In den USA dagegen ahndet die EPA regelmäßig Verstöße gegen den „Clean Air Act“, ein effektives Gesetz zur Luftreinhaltung, das übrigens auch Kohlendioxid als Schadstoff definiert, weil das Gas den Klimawandel anheizt.

Dass Automobilkonzerne gegen das Gesetz verstoßen, ist Alltag. VW hat übrigens 1973 zum ersten Mal Bauteile in Wagen eingebaut, die halfen, Abgaskontrollen zu umgehen. Damals setzte es eine Strafe von 120 000 Dollar. Auch Ford, Honda, GM und andere Autobauer mussten sich bereits der EPA beugen. Selbst Tesla, ein Hersteller von Elektroautos, schaffte es, gegen EPA-Richtlinien zu verstoßen. Die Firma behauptete, Null-Emissions-Fahrzeuge zu verkaufen, was die Umweltbehörde nicht akzeptierte, weil Stromerzeugung bekanntlich auch Schadstoffe produziert.

VW ist nicht allein Selbst Tesla, ein Hersteller von Elektroautos, schaffte es, gegen US-Umwelt­richtlinien zu verstoßen

Wie hoch die Strafen für Volkswagen am Ende sind, ist bisher kaum abzusehen – ein Teil der Manipulationen an 2-­Liter-Motoren hat der Konzern eingeräumt. EPA-Vorwürfe, der Konzern habe auch bei 3-Liter-Motoren geschummelt, dementiert VW bisher.

In die Milliarden gehen könnten zudem zahlreiche Schadenersatzforderungen in den USA. Über 350 Sammelklagen gibt es bisher. Mindestens. „Es sind eine Menge, im ganzen Land“, sagt Anwalt Bernal. Vermutlich werden sämtliche Verfahren am Ende vor einem Gericht gebündelt und wird ein Mil­liardenvergleich zwischen VW und den Geschädigten ausgehandelt, sagt er. Über die Bündelung der Verfahren entscheidet ein Gericht am 3. Dezember. Für Anwälte winkt damit auch ein dickes Geschäft.

Bernal sieht vor allem drei Angriffsfelder: VW-Besitzer könnten Schadenersatz erstreiten, weil der Wiederverkaufswert ihres Fahrzeuges sinkt und weil sie mehr Benzin oder Diesel brauchen, als vom Hersteller angegeben. Hinzu kommt eine Art emotionaler Schadenersatz. „Die Menschen dachten, sie fahren mit sauberen Autos durch die Gegend und würden der Umwelt helfen. Jetzt fühlen sie sich ausgetrickst“, sagt Bernal. Auch daraus könnte eine Art Schadenersatzanspruch entstehen, glaubt er. Allerdings gebe es dafür noch keinen Präzedenzfall.

Auch in der EU deuten sich Sammelklagen an. Das gibt es in Deutschland zwar nicht, allerdings in den Niederlanden. Anwälte wollen dort eine Stiftung einrichten, die stellvertretend für Geschädigte von VW europaweit Kompensation fordert. Bereits 47 000 geschädigte VW-Käufer hätten sich der Stiftung angeschlossen, schreibt das Handelsblatt am Freitag.

Außer durch Schadenersatz und wegen der Schadstoffe droht VW auf einem dritten Feld Ungemach: CO2-Emissionen. Im Jahr 2009 verabschiedete die EU eine Richtlinie, um den CO2-Ausstoß von Autos zu senken. Als Faustformel galt, dass bis 2020 im Schnitt jeder Pkw in der EU nur noch 95 Gramm CO2 auf 100 Kilometern ausstoßen darf. Bereits sei 2012 sinken die Werte jährlich, 2015 liegt er noch bei 130 Gramm.

Die Berechnungen sind kompliziert, weil jeder Hersteller andere Werte hat – je nachdem, wie schwer die Fahrzeuge sind. VW musste nun eingestehen, auch bei den CO2-Messungen manipuliert zu haben. Dafür drohen dem Konzern Strafen, die in EU-Richtlinien genau definiert sind. Die zu berechnen ist schwierig – könnten aber ebenfalls in die Milliarden gehen, vermuten einige Analysten.

Chronologie des Fiaskos

Der Beginn:Am 3. September 2015 räumt Volkswagen hinter den Kulissen gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Diesel-Abgastests ein. Am 18. September teilt die EPA mit, VW habe eine Software eingesetzt, um Ergebnisse von Schadstoffausstoßtests künstlich zu senken. Schon Jahre vorher gab es allerdings Hinweise, dass die offiziellen und die realen Abgaswerte der Autohersteller bei Schadstoffen (Stickoxide) wie auch beim Treibstoffverbrauch weit auseinanderklaffen. Der Unterschied bei Volkswagen: Es wurde aktiv betrogen; man nutzte nicht nur Schlupflöcher in den vorgeschriebenen Testverfahren.

Das Ausmaß:Anfangs nur der Dieselmotor EA 189, später weitere. Das Kraftfahrtbundesamt ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Deutschland 2,4 Millionen Wagen in die Werkstatt – wahrscheinlich ab Januar. VW stoppt in der EU den Verkauf von Neuwagen im Lagerbestand, die noch ältere Motoren mit der Betrugssoftware haben.

Die Folgen:Unabsehbar, da die Kosten von Rückrufaktionen samt Reparaturen, Strafen und Sammelklagen in den USA noch unklar sind. Geschätzt wird eine zweistellige Milliardensumme. Der Konzern weist durch Rückstellungen im dritten Quartal 2015 in der Bilanz einen Verlust vor Steuern von 3,5 Milliarden Euro aus. VW will möglicherweise anfallende Nachzahlungen von Kfz-Steuern für Fahrzeuge mit frisierten CO2-Angaben selber tragen. Laut der Deutschen Umwelthilfe entgehen dem deutschen Fiskus dadurch, über alle Hersteller gerechnet, jährlich knapp 2 Milliarden Euro.

Personalwechsel:VW-Chef Martin Winterkorn wird am 23. September zurückgetreten. Der Aufsichtsrat beruft den Chef der VW-Tochter Porsche, Matthias Müller, zum Konzernchef und trifft weitere Personalentscheidungen, darunter eine neue „Leiterin für Recht und Integrität“. Neuer Aufsichtsratschef wird der bisherige VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch.

Ermittlungen: Nach mehreren Strafanzeigen startet die Braunschweiger Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen. Am 8. Oktober gibt es Razzien an verschiedenen VW-Standorten. US-Volkswagenchef Michael Horn muss dem US-Kongress Rede und Antwort stehen. (taz, dpa)

Andere glauben, dass dem Konzern hier relativ wenig Ungemach droht. Bereits 2014 lag VW im Schnitt bei 125 Gramm CO2. „Selbst wenn die Abweichungen bei CO2 offiziell bestätigt werden, glaube ich nicht, dass der Flottenzielwert überschritten wird und es zu Strafzahlungen kommt“, sagt Michael Müller-Görnert, Referent für Verkehrspolitik beim als ökologisch orientiert geltenden Verkehrsclub Deutschland. Und: Die Tricks, mit denen die Emissionen nach unten geschummelt werden, seinen in der ganzen Branche verbreitet, sagt er: „Vielleicht ist VW nur in die Offensive gegangen, um zu zeigen, dass andere auch Probleme mit CO2-Emissionen haben.“

Für die Schadstoffe könnte das allerdings ebenfalls zutreffen. Die EPA ermittelt auch bei anderen Fahrzeugproduzenten, ob sie ebenfalls Schummelsoftware in ihren Motoren verwenden. In Deutschland könnte sich der Skandal auch auf andere Kernmarken des Indus­triestandorts ausweiten: Mittlerweile ermitteln US-Staatsanwälte gegen den Zulieferer Bosch. Auf der Hardware des Stuttgarter Konzerns lief die Betrugssoftware von Volkswagen. Wusste Bosch etwas davon?

Anwalt Bernal glaubt, dass es in den USA bereits binnen zwei bis drei Jahren zu einem Vergleich zwischen VW und den Geschädigten kommt: Der Konzern müsse schließlich aus den Schlagzeilen. „Amerikaner haben VW lange vertraut. Das Vertrauen ist jetzt erst mal dahin“, sagt er.

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