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Kommentar zum FDJ-ProzessGefühlte Bedrohung

Das Verbot der FDJ gehört aufgehoben. Sie stellt keine Gefahr für die Demokratie da. Antiwestliches Denken ist wieder in.

1986: FDJler auf einer Großkundgebung anlässlich des 11. Parteitages der SED in Berlin Ost. Foto: Imago / Stana

Der Prozess gegen den FDJ-Emblem-Träger in München mutet nicht nur lächerlich an, er ist es auch. Die DDR wird nicht wieder auferstehen, die FDJ wird nie wieder Jugendliche drangsalieren können. Die bayerische Staatsanwaltschaft, die gerne gegen links ermittelt, und die obskure K-Gruppe, die Mitglieder seit Jahrzehnten zum Blauhemdtragen anhält, führen ein anachronistisches Stück aus dem letzten Jahrhundert auf.

Die Bundesregierung sollte das aus den 50er Jahren stammende Verbot der FDJ daher schon aus Gründen der Verhältnismäßigkeit endlich aufheben. Eine Gefahr für die Demokratie geht nicht von ihr aus.

Antiwestliches Denken blüht dennoch wieder auf. Es hat aber – weil der Ostblock nicht mehr existiert und daher niemandem mehr als bessere Alternative verkauft werden kann – seine Form verändert. Es steckt heute in all den Verschwörungstheorien, die nachzuweisen versuchen, dass sämtliche Attentate und Massaker der letzten 25 Jahren nicht den Autokraten oder Islamisten dieser Welt zugeschrieben werden können: von Srebrenica über den 11. September bis hin zu Charlie Hebdo. Es steckt in dem Glauben, dass der Westen Beweise fälscht oder unterdrückt, vielleicht sogar die Attentate selbst verübt hat.

Nicht nur in einzelnen Fällen wie vor dem Irakkrieg, sondern (fast) immer. Denn wenn dem so wäre, wären nicht die Putins, Assads und Bin Ladens eine große Bedrohung, sondern der Westen selbst. Und wenn die Verschwörungstheoretiker ebenso recht hätten, dass die Medien die Wahrheit systematisch verschweigen, wäre der Westen nicht demokratischer als, sagen wir, Russland.

Verschwörungstheorie statt FDJ: Antiwestliches Denken blüht in der Linken wieder auf

Deshalb muss man die Öffnung etwa des Onlinemagazins Nachdenkseiten für Verschwörungstheoretiker ernstnehmen: Nach dem Mauerfall war es linker Konsens, dass man den Westen demokratischer und sozialer machen muss, statt ihn grundsätzlich zu bekämpfen. Dieser Konsens scheint in manchen Teilen aufzubrechen.

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3 Kommentare

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  • Also ich könnte mir in Sachsen schon vorstellen, dass manch einer diese Hemden gerne wieder seinen Kindern anziehen würde - mit entsprechendem Einsatz in der "ordentlichen" Jugendorganisation.

     

    Und wenn man Frau Festerling bei ihrer PEGIDA-Rede vom 12.10. (YouTube) zuhört bzw. den Rufen ihrer Zuhörer, dann ist (neben "Aufhängen" und "An die Bäume") auch ein gewünschter "Anschluss an Russland" nicht zu überhören.

     

    Ich höre hier öfter von verschiedensten "Bürgern", dass (der arme) Putin doch ganz falsch eingeschätzt werde, das sei eigentlich ein toller Typ und gar nicht so schrecklich.

     

    Diese Woche auch wieder (unerwartet) zu hören bekommen, dass so "was in der Luft liegt wie 1989, das kann so alles nicht weitergehen", das sei doch keine Demokratie. Es rede niemand mit den Bürgern... die da oben... etc.

     

    Immer öfter denke ich, Sachsen würde eigentlich wirklich besser zu Russland passen als zur Bundesrepublik. Einfach eine weitere Annektion nach der Krim. Putin war hier ja auch stationiert und kennt sich bestens aus. Und die Dresdner hätten endlich mal wieder einen, der ihnen sagt, wo es lang geht, und ihre hierarchische, diktatorische Ordnung, nach der sich viele so sehnen. Nach Feierabend können sie sich dann gemütlich drüber auslassen, was ihnen stinkt, am nächsten Morgen geht's dann wieder zur Arbeit und alles seinen durchorganisierten denkfreien Gang.

     

    Ich kann mir nicht vorstellen, dass die K-Gruppen aus dem Westen eine Vorstellung davon haben, was in der SBZ/DDR so abging.

    • @Hanne:

      Es gab in der DDR auch viele Millionen Menschen, die anständig geblieben sind und auf die das ewige Gerede von der schlimmen Unterdrückung durch das Stasi-Regime bzw. der Vorwurf, dort selber mitgemacht zu haben, nicht zutreffen.

       

      Je mehr die Zeit fortschreitet, desto absurder und übertriebener werden die Pauschalisierungen und kommen obendrein abgesehen von wenigen Menschen, welche auch jetzt noch die DDR für das Scheitern ihres Lebens verantwortlich machen, überwiegend aus dem Westen.

       

      Wer über 25 Jahre lang statt einer intensiven und objektiven Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit nur Verscheigen und Auslöschung aller DDR-Zeugnisse und Hinterlassenschaft betrieben hat, möge jetzt bezüglich der Blauhemddebatte bitte nicht das große Wort führen oder gar alles in den großen Pegida-Topf werfen und umrühren.

  • Sehr geehrter Herr Reeh - die Unbeirrtheit, mit der Sie vom behaupteten Gegenstand Ihres Kommentars schnell wieder auf Ihr derzeitiges Lieblinsgthema umschwenken, ist bemerkenswert. In üblicher Manier der etablierten Medien (zu denen die TAZ früher niemals hätte gezählt werden wollen) werden wieder pauschal "Verschwörungstheoretiker" gegeißelt, ohne den geringsten Unterschied zu machen zwischen monströsen Spinnereien einerseits - und begründeten Zweifeln und kritischen, vor allem staatskritischen Nachforschungen andererseits. Letztere galten einst als Speerspitze des Journalismus und verhalfen zu Pulitzer-Preisen ("Watergate"). Es geht den tatsächlich kritischen Geistern (zu denen ich z.B. die "Putinfreunde" nicht rechne, wohl aber die "-versteher") ja nicht darum, die Mitschuld von "Autokraten und Islamisten" zu leugnen. Wohl aber darum, daß diese möglicherweise mit ihrem Handeln ins Kalkül der Gegenseite passten.

    Mir ist grundsätzlich schleierhaft, was in einer (ehemals?) linken Zeitung derartig undifferenzierte Polemik gegen "antiwestliches Denken" zu suchen hat - wenn "der Westen" doch heute kaum mehr durch die Werte der bürgerlichen Aufklärung, sondern seit Kolonialzeiten vor allem durch die des hemmungslosen Kapitalismus verkörpert wird, der die Welt in Rohstoff- und Billiglohngebiete sowie Märkte aufteilt. Die Sache ist umso seltsamer, als ja die TAZ durchaus - und oft tiefgehender und gründlicher, als andere Medien - über die Verheerungen "des Westens" in der übrigen Welt berichtet. Weshalb ich überhaupt nicht verstehe, warum sich etliche TAZ-Kommentatoren immer wieder auf diesen "Westen" (verkörpert v. a. durch das Imperium der USA, mit den in NATO und SEATO zusammengeschlossenen Vasallen) als etwas Positives, Schützens- und Verteidigenswertes berufen.