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Protest gegen SchnellzugstreckeIns eigene Fleisch geschnitten

Dem italienischen Autor De Luca drohen acht Monate Haft, weil er zur Sabotage des TAV aufgerufen hatte. Der Protestbewegung bringt das Zuwachs.

Wer protestiert, braucht einen langen Atem: diese Anti-TAV-Aktion ist beinahe zehn Jahre her. Foto: ap

Berlin taz | Die Kräfteverhältnisse waren von Anfang an ungleich: Auf der einen Seite steht die Firma LTF, die im Auftrag der EU eine Hochgeschwindigkeitszugstrecke in den französisch-italienischen Alpen baut. Auf der anderen Seite stehen ein paar kleine Gemeinden aus dem Susatal, die seit Jahren gegen den Bauplan kämpfen.

Unter dem Namen „No TAV“ (“Keine Hochgeschwindigkeitsstrecke“) hat sich dort bereits in den neunziger Jahren eine Bürgerbewegung zusammengefunden, die sich vehement gegen den Bau der Zugstrecke wehrt. Sie befürchtet unter anderem Umweltschäden: Verschmutzung des Grundwassers, aber auch mögliche Uran- oder Asbestvorkommen im Gestein, die bei Aushub von Gebirgsteilen an die Oberfläche kommen könnten.

Außerdem werden die Kosten für den Bau der Zugstrecke jährlich um Millionen nach oben korrigiert. Gerade Italien könne sich die Strecke nicht leisten, kritisiert No TAV, und weist darauf hin, dass im Namen einer eisernen Austeritätspolitik anderswo im Land öffentliche Dienste eingestellt werden.

Argumente, die nur Gehör finden, wenn „No TAV“ genügend mediale Beachtung erhält. So verhilft der italienische Schriftsteller Erri De Luca, dessen Bücher in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden, der Bürgerbewegung allein durch seine Beteiligung bereits zu mehr Prominenz. Für einen Extraschub Aufmerksamkeit sorgte LTF Anfang 2015 dann selbst. Sie verklagte De Luca, weil dieser in einem Interview mit der italienischen Huffington Post öffentlich zur Sabotage des Bauplans aufgerufen hatte. Anstiftung zu Gewalt, Beschädigung und Sabotage, lautete die Anklage, am 21. September forderte die Staatsanwaltschaft acht Monate Haft ohne Bewährung.

Acht Monate Haft? Das war ein Knall. In den vergangenen Jahren besetzten und beschädigten die Anwohner des Susatals oftmals Baustellen der Zugstrecke; mehrere von ihnen wurden über die Jahre inhaftiert. Dass man jedoch für eine bloße Aussage strafrechtlich verfolgt wird, ist neu.

De Luca sieht sich weder als Märtyrer, noch als Opfer

Der Prozess sorgte für einige Aufmerksamkeit in französischen und italienischen Medien. Während der Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke zuletzt in aller Stille verlief und auch der Protest mit allen Mitteln erstickt wurde, werden die Stimmen gegen LTF seitdem wieder lauter und zahlreicher. Für viele Menschen, die Erri De Lucas Bücher gelesen haben, ist die Forderung der Staatsanwaltschaft ein Skandal. Der 65-Jährige erklärte, er sei „weder ein Märtyrer noch ein Opfer, sondern Zeuge einer willentlichen Zensur der Redefreiheit.“

Vor ein paar Tagen wurde die Angelegenheit noch weiter ins Rampenlicht gezogen: 65 Intellektuelle, Künstler und Cineasten, darunter Wim Wenders, haben eine Petition gestartet, in der sie einen Freispruch De Lucas verlangen. „Als Weltbürger fordern wir den italienischen und den französischen Staat auf, dafür zu sorgen, dass die Klage einer Firma zurückgezogen wird, deren einzige Aktionäre sie selbst sind“, heißt es in dem Schreiben.

Ob die Petition tatsächlich den Rückzug der Klage bewirken kann, bleibt fraglich. Letztlich hat sich die LTF damit auch ins eigene Fleisch geschnitten: Nun steht sie als böse Firma da, die es wagt, einem Schriftsteller den Mund zu verbieten. Souverän wirkt das kaum. Und nach Bereitschaft zum Dialog klingt es erst recht nicht. Die Bewegung „No TAV“ hingegen könnte durch die prominente Unterstützung gestärkt aus der Affäre hervorgehen. Das Urteil soll am 19. Oktober gesprochen werden.

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