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Baumeister der Diktatoren

ARCHITEKTUR Zwei Neuerscheinungen zeichnen die Karriere des Architekten Rudolf Wolters nach, die ihn 1932 nach Sibirien führte und 1937 in den Kreis um Albert Speer

Der von Wolters verantworteten Neugestaltung der Reichshauptstadt widmete „Die Baukunst“ 1938 ihr Novemberheft. Hier das Haus des Deutschen Fremdenverkehrs von Hugo Röttcher und Theodor Dierksmeier Foto: Landesarchiv Berlin, Nachlass Rudolf Wolters

von Klaus Englert

1947 besuchte Harvard-Professor Walter Gropius mit General Lucius Clay, dem Militärgouverneur für Deutschland, die zerstörten deutschen Städte. Nachdem der Bauhaus-Gründer zahlreiche Städte im amerikanischen Sektor besichtigt hatte, wurde er von Clay mit einem Gutachten über den Wiederaufbau betraut. Im Frühjahr 1948 schrieb er desillusioniert an den Kollegen Richard Paulick: „Meine Eindrücke sind vernichtend gewesen. Es ist unvorstellbar […], wie tief die Zerstörung gegangen ist, geistig und physisch. […] Die einzige Hoffnung setzte ich auf den Geist der älteren Generation, die noch vor Hitler die Schule absolviert hat. Die Jugend, die unter Hitler aufgewachsen ist, ist zynisch, und der Umgang mit ihr fällt sehr schwer.“ Dachte Walter Gropius an die jungen Karrieristen, die der 31-jährige Generalbauin­spektor Albert Speer im Januar 1937 um sich scharte, um Berlin zur machtstrotzenden Welthauptstadt Germania zu gestalten? Sie waren dafür verantwortlich, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Entwürfe der NS-Baupolitik wieder aus den Schubladen hervorgeholt wurden. Ihr Netzwerk war nach wie vor gefestigt und wirkte bis weit in die Nachkriegsjahre hinein.

Zu den einflussreichsten in dem männerbündisch-reak­tio­nären Zirkel gehörte der 1903 im westfälischen Coesfeld geborene Rudolf Wolters. Der Berliner Verlag DOM Publishers publizierte jetzt zwei Bücher, die sich mit zwei entscheidenden Etappen der Karriere des jungen Architekten beschäftigen. Die erste Publikation dokumentiert den beruflichen Werdegang. Sie beginnt mit dem Eintritt in dass renommierte Architekturbüro von Heinrich Tessenow, wo er den jüngeren Albert Speer kennenlernte. Der Beginn einer großen Männerfreundschaft, die Wolters, einige Jahre später, bis in die obersten Ränge des NS-Regimes befördern sollte. Aber zunächst rissen Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit die beiden Jungarchitekten auseinander. Der 28-jährige Rudolf Wolters machte sich im Frühjahr 1932 ins sibirische Nowosibirsk auf, wo es großen Bedarf an ausländischen Fachkräften gab. In seinem Büchlein „Spezialist in Sibirien“, das er im Oktober 1933 veröffentlichte, schrieb er desillusioniert über den Arbeitsalltag: „Viele kostbare Zeit wird für Sitzungen und Versammlungen vertan, wo alle mitbestimmen und doch kein einziger wirklich etwas zu sagen hat. Eine Frage kann noch so gering sein, stets tritt eine Kommission zusammen und immer fällt dann eine Entscheidung, so unklar und verständnislos wie die ganze Kommission.“ In schwedischer wie auch japanischer Übersetzung erschienen, wurde es ein Bestseller.

Auch Peter Behrens‘ Bauten für die AEG in Berlin sah „Die Baukunst“ein mustergültiges Beispiel deutschen Bauens Foto: a. d. bespr. Band

Unvoreingenommen

Zwangsläufig hat man bei der Lektüre von „Spezialist in Sibirien“ Wolters’ spätere NS-Karriere vor Augen. Die sollte man aber so gut wie möglich ausblenden, da der junge Architekt politisch völlig unvoreingenommen in die Sowjetunion reiste. Er berichtet sogar, in Moskau habe er mit seinem Exkommilitonen Kurt Liebknecht zusammengewohnt. „Ein Neffe des berühmten Kommunisten“, merkt Wolters an. Ebenfalls erwähnt er die zahlreichen Juden, die in der Partei tätig waren – ohne diskriminierenden Unterton. Ganz im Gegenteil, seine Kritik könnte auch von einem radikalen Marxisten stammen. „Es ist schon jetzt ganz deutlich, dass sich aus der bevorzugten Schicht eine neue und ziemlich unangenehme ,Bourgeoisie‘ entwickeln wird. Die Proletarier selbst werden das Paradies auf Erden auch hier in Russland nicht erleben. Der Prolet ist und bleibt der Dumme.“ Rudolf Wolters zog es in den Fernen Osten, als der Frankfurter Stadtbaurat Ernst May mit seiner Baubrigade und großem Mediengetöse das sibirische Magnitogorsk aufbaute. Der Westfale stand dem modernen Arbeitersiedlungsbau von May distanziert, aber wohlwollend gegenüberstand. Das macht die von ihm entworfene Eisenbahnersiedlung deutlich, die vom modernen Städtebau beeinflusst ist. Bereits Anfang 1933 erkennt Wolters hellsichtig, der „klassizistische Stil“, der von oben „als alleinseligmachend befohlen wurde“, werde alles andere verdrängen. Die deutschen Architekten seien schon jetzt auf dem Rückzug: „Heute ist der Frankfurter Architekt May bereits ein gefallener Star in Russland. Seine Jünger sind zusammengeschmolzen auf wenige Getreue, und traurig warnend ragen an allen Enden Russlands die Anfänge des ,Zeilenbaues‘ aus dem Häusermeer der Holzhütten.“ Jörn Düwel, Herausgeber der Publikation „Ein deutscher Architekt in der Sowjetunion“, betont ausdrücklich, Wolters habe sich, ganz anders als der Visionär May, „als Vertreter einer technokratischen Funktions­elite“ verstanden. Junge Technokraten wie Rudolf Wolters sahen mit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 ihre Stunde gekommen. Tatsächlich brauchte der Jungarchitekt nicht lange zu warten. Bereits 1937 wurde er von Freund Albert Speer, dem „Generalbauinspektor für die Neugestaltung des Reichshauptstadt“, zum Stadtplaner für Berlin berufen. 1940 kam eine weitere ehrenvolle Tätigkeit hinzu: Wolters’ Beförderung zum „Ausstellungskommissar“ der Propagandaschau „Neue Deutsche Baukunst“. Die Ausstellung, die durch viele europäische Großstädte tourte, sollte – wie der Ergänzungsband „Demonstration von Macht in Europa“ zeigt – die Größe nationalsozialistischen Bauens in die Welt hinaustragen. Station machte sie im Herbst 1942 auch in Barcelona, wo im Gebäude des heutigen Katalanischen Parlaments monumentale Projekte wie Hitlers Neue Reichskanzlei präsentiert wurden. Der hiesigen Presse war zu entnehmen, dass die Architekturausstellung ein voller Erfolg war. Der Kar­rierist Wolters gehörte dann auch in den Wiederaufbaujahren zu den gefragtesten deutschen Architekten.

Jörn Düwel: „Neue Städte für Stalin. Ein deutscher Architekt in der Sowjetunion (Mit einer Neuausgabe von Rudolf Wolters, ‚Spezialist in Sibirien‘)“. 212 S. Und:Jörn Düwel, Niels Gutschow: „Baukunst und Nationalsozialismus. Demonstration von Macht in Europa. Die Ausstellung Neue Deutsche Baukunst von Rudolf Wolters“. 480 Seiten. Beide DOM Publishers, Berlin 2015, 28 Euro

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