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Menschen und AllergienLove is a Burning Ring

Unsere Autorin hat ein Problem: Sie ist allergisch. Gegen ihren Ehering. Da hat die Eiweißpatrouille in der Haut einiges zu tun.

Gegen ihren Ehemann ist unsere Autorin nicht allergisch. Gegen Nickel aber schon. Foto: Imago/BE&W

Die Bergmänner wussten schon vor 350 Jahren, dass er ein elendiger Spielverderber ist. Tagelang hämmerten sie mit aller Kraft die Meißeln ins harte Gestein, Staub in den Augen, Staub auf der Kleidung, die Luft kalt und feucht, die Augen müde vom schummrigen Kerzenlicht. In einer Schicht schlugen sie dreißig Meißel stumpf, und doch kamen sie nur eine Fingerkuppe breit vorwärts.

Alles nur, um später zu erfahren, dass ihre Arbeit wertlos war. Denn aus ihrem Kupfererz ließ und ließ sich einfach kein Kupfer verhütten, genauso wenig wie aus Kobalterz die kostbare blaue Smalte.

Der Grund dafür, das ahnten sie schon, musste ein im Erz eingemischter Stoff sein. Ein nerviges Etwas, ein Plagegeist, der nur so aussah wie Kupfererz, aber keines war. Sie nannten dieses Plagiat Kupfernickel. Denn Nickel war für sie der Name für „neckendes Geistchen“.

Im Jahr 1660 stand im Bergamtsprotokoll der Stadt Schneeberg im Erzgebirge: „In den Hauptgängen wird mit dem Kobolt eine beträchtliche Menge Kupfernickel gebrochen, Gott wolle helfen, dass er sich zu derben Rotgüldigerz verwandelt!“

Ich bin gern verheiratet

Gott half nicht, das Geistlein blieb, und so triezt es auch heute noch die Menschen. Menschen wie mich – und 65 Millionen andere Europäer.

Die Nervensäge Nickel hat lediglich ihre Strategie geändert.

Heute sorgt sie etwa dafür, dass ich meinen Ehering nicht tragen kann.

Ich bin gern verheiratet. Und ich mag den Ring. Er ist silbrig glänzend, fein gedreht, zart, man sieht ihn kaum am Finger. Wir wollten die Ringe für uns allein tragen.

Im Nachhinein war es natürlich blauäugig, auf einem Flohmarkt in Brooklyn vermeintliche Silberringe zu kaufen, für 10 Dollar, wo doch meine Allergie gegen dieses Nickel seit fast 20 Jahren diagnostiziert war. Aber die Ringe waren hübsch und wir wollten bald zum Standesamt.

taz.am wochenende

Willkürliche Wahlen, Bomben in den kurdischen Gebieten, Präsident Erdogan, der um die Macht kämpft. Wohin führt der Weg der Türkei? Rückt sie näher an den Nahen Osten? Was geschieht mit den Kurden? Fragen, die sechs Kulturschaffende aus der Türkei in der taz.am Wochenende vom 26./27. September diskutieren – bei einer Flasche Schnaps. Außerdem: Das Massaker an den Studenten in Mexiko jährt sich am 26. September. Und: Allergien, die Plagegeister der modernen Industrienation. Warum das so ist und was wir über sie wissen. Das alles – am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.

0,5 Mikrogramm Nickel pro cm²

Und ja: Wir kamen auf die Idee uns zu Hause neue Ringe zu besorgen. Schmuckstücke innerhalb der EU dürfen nicht mehr als 0,5 Mikrogramm Nickel pro cm² in der Woche abgeben. Ein Juwelier aus Berlin drehte uns also dieselben Ringe noch einmal, aus annähernd reinem Silber, frei von Nickel, doch auch das war wieder nur vermeintlich.

Jetzt liegt er vor mir auf dem Küchentisch, der neue alte Ring, funkelt harmlos vor sich hin. Ich weiß genau, was dieses Nickel macht, würde ich den Ring jetzt an meinen Finger schieben.

Er würde merken, dass da wieder Haut in seiner Nähe wäre, besonders, wenn ich schwitzte oder den Ring bewegte. Dann würde er seine klitzekleinen Ionen loslassen. Sie schöben sich durch meine Hornhaut hindurch bis in die tiefen Schichten meiner Haut und begännen dann damit, meinen Körper zu verscheißern.

Dort nämlich patrouillieren diese Eiweiße TLR4 umher. Sie sollen eigentlich Krankheitskeime aufspüren und an ihren Rezeptor binden.

Doch auf genau diesen Rezeptor passen auch die Nickelionen ganz gut. Sie würden sie also an sich heften, Alarm schlagen, die T-Zellen meines Immunsystems eilten herbei – und dann machten all meine Helferzellen eben das, was sie sonst tun, um die Ausbreitung von Keimen zu verhindern. Für mich hieße das: In ein paar Stunden würde meine Haut unter dem Ring jucken. Ein paar Tage später dann wären am Finger Pusteln, die halbe Hand wäre rot und mein Arm nur noch ein juckendes Elend.

Vielleicht sind die Ohrringe schuld

Dass dieses Nickel es gerade auf mich abgesehen hat, könnte mit meiner klassisch weiblichen Pubertät zusammenhängen, erklärt Torsten Zuberbier, der Leiter der Europäischen Stiftung für Allergieforschung an der Berliner Charité. Damals, ich war vielleicht zehn, mussten natürlich Ohrringe her. Also Löcher stechen lassen und hinein mit den billigen Hängern.

„Nickelallergie beginnt oft dann, wenn Metalle an einer Stelle getragen werden, die entzündet ist“, sagt Zuberbier. Dann nämlich verwechseln die Zellen des Immunsystems die Nickelionen gern einmal mit Bakterien oder Viren. Sie ordnen die Ionen fälschlicherweise als boshaft ein, merken sie sich und bekämpfen sie fortan. „Nickelionen werden vom Immunsystem leicht als fremd erkannt“, sagt er. Das läge an ihrer Grundstruktur – purer Zufall.

Man könnte auch sagen, Nickel täuscht einmal wieder richtig gut.

Vielleicht hatten auch die Bergleute damals zu ihrer Enttäuschung auch noch Pusteln und Schwellungen an den Händen. Möglich wäre es. Kontaktallergien wie diese, sagt Zuberbier, gab es schon immer. Sie werden aber eher seltener, etwa durch ebenjene EU-Grenzwerte.

Es könnte also sein, dass in der Legierung meines Rings noch ein klein wenig Nickel steckt, der mich piesackt. Die Schwellenwerte, ab wann Menschen auf Nickel reagieren, seien bei jedem anders. Manche spüren erst hohe Mengen an Ionen, andere schon geringe.

Mein erster Allergietest war grausam

Es könnten aber auch noch andere Nervlinge im Spiel sein, Palladium etwa, sagt Allergieforscher Zuberbier. Darauf hätten viele Menschen wie ich eine Allergie, oder, wieder seltener, Silber selbst. Da müsse ich schon noch einmal einen Test machen.

Ich erinnere mich an meinen ersten Allergietest vor 20 Jahren.

Es war grausam.

Mein Rücken war voll geklebt mit Pflastern, darunter Häufchen von Cremes und Flüssigkeitströpfchen. Alles juckte und wurde rot, und danach musste ich auf irgendwelche Dinge verzichten, deren Namen ich noch nie zuvor gehört hatte – wie Nickel. Das brauche ich nicht noch mal, mir reichen meine Allergien.

Jedenfalls, sagt Zuberbier, sollten Menschen wie ich nicht als Kassierer im Supermarkt arbeiten. Die 2-Euro-Münze ist zu 25 Prozent aus Nickel.

Das habe ich gerade auch nicht vor. Aber meinen Ring würde ich gern tragen.

Hilfe aus dem 3D-Drucker

„Beim Juwelier gibt es Speziallacke, die nickelundurchlässig sind“, sagt Zuberbier. Die müsse man zwar immer wieder erneuern. Aber das könnte helfen.

In der Pubertät habe ich fläschchenweise Nagellack auf Knöpfe und Gürtelschnallen und Billigringe gestrichen. Der Lack war schneller wieder weg, als ich ihn auftragen konnte. Außerdem schaffen es Nickelionen sogar durch Latexhandschuhe. Die Lackmethode ist mir also suspekt.

Vor ein paar Wochen wollte ich eine Firma finden, die mir eine Schutzhülle für den Ring im 3-D-Drucker druckt. Ich fand die Idee super.

Der Mitarbeiter der Druckerei war weniger überzeugt. Zumindest, wenn die Schutzhülle aus Kunststoff sein sollte. Der würde die Belastung nicht aushalten und brechen. Metall könnte gehen. Aber Metall um Metall herum drucken? Irgendwie absurd. Und außerdem im Zweifel wenig hilfreich.

Was mache ich also mit meinem Ring? „Nicht tragen“, sagt Zuberbier. „Das ist leider die einzige Therapie.“

Ich drehe den Ring zwischen Daumen und Zeigefinger. Er funkelt mich an, fast schon verführerisch. Neckend.

Ach weißt du was, Nickel: Behalt den Ring. Er gehört dir.

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