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Sexueller MissbrauchGrüne übernehmen Verantwortung

Erstmals entschädigen die Grünen drei Männer, die in einer Grünen-nahen Kommune Opfer von sexuellem Missbrauch wurden.

Wer der Täter war? Strikt vertraulich. Foto: dpa

Berlin taz | Die Grünen werden erstmals Entschädigungen an Opfer sexuellen Missbrauchs zahlen. Wie Parteichefin Simone Peter mitteilte, habe der Bundesvorstand beschlossen, an drei Betroffene „eine Zahlung in Anerkennung des ihnen zugefügten schweren Leides“ zu leisten.

Es handelt sich um Fälle langjährigen sexuellen Missbrauchs Anfang der achtziger Jahre in der Emmaus-Gemeinschaft auf dem Dachsberg im nordrhein-westfälischen Kamp-Lintfort. Nach Aussagen von Opfern soll ein inzwischen verstorbenes Vorstandsmitglied der NRW-Grünen Haupttäter gewesen sein.

Die Vorfälle waren bereits länger bekannt. Schon Anfang des Jahres hatten sich bei der Telefonhotline der Grünen für Missbrauchsopfer zwei heute erwachsene Brüder gemeldet, die als Kinder zwischen 1980 und 1984 in der christlich-alternativen Dachsberg-Kommune sexuell missbraucht wurden – am Rande von Grünen-Treffen und parteinahen Veranstaltungen.

Da der Dachsberg aber keine Parteieinrichtung war, sondern zur evangelischen Emmaus-Gemeinschaft gehörte, waren die Grünen zunächst unschlüssig, ob sie als Institution die volle Verantwortung für Taten eines einzelnen Mitglieds übernehmen sollten. Ein parteiinterner Anhörungsbeirat, der letztes Jahr gegründet worden war, sollte diese Frage klären.

Persönliche Anhörung

Im Fall der Emmaus-Gemeinschaft hat das dreiköpfige Gremium nun eine Entschädigung beschlossen. Eine persönliche Anhörung der Betroffenen in den vergangenen Wochen habe laut Peter „vertiefte Erkenntnisse“ ergeben. Es habe nach den Gesprächen eine einmütige Empfehlung des Beirats und einstimmige Beschlüsse im Bundesvorstand und im nordrhein-westfälischen Landesverband gegeben.

Grünen-Chefin Peter spricht von einer Anerkennung des zugefügten Leides

Zur Höhe der „Anerkennungszahlung“ äußerten sich die Grünen nicht. Ebenso wenig dazu, wer als Täter verantwortlich war. Infrage kommen der damalige NRW-Landesvorstand, Pädosexuellenaktivist und Dachsberg-Kommunen-Chef Hermann Meer – oder Werner Vogel, auch NRW-Landesvorstand. Vogel war 1983 einer der ersten Grünen-Bundestagsabgeordneten. Im selben Jahr organisierte er einen Kongress zum Thema Sex mit Kindern auf dem Dachsberg. Zu den Einzelheiten der Vorfälle habe der Beirat den Betroffenen strikte Vertraulichkeit zugesichert, so die Grünen.

„Mit der heutigen Entscheidung setzen wir die notwendige Aufarbeitung unserer Parteigeschichte fort“, sagte Parteichefin Peter der taz. Die Grünen wollten Betroffene weiter ermuntern, auf sie zuzukommen und ihre Geschichte zu erzählen. Die vor einem Jahr eingerichtete telefonische Anlaufstelle und der Anhörungsbeirat setzten ihre Arbeit fort.

Die Grünen hatten mit der Aufarbeitung ihrer Parteigeschichte begonnen, nachdem im Jahr 2013 Pädophilie-Vorwürfe gegen Parteimitglieder aufgekommen waren. Das Göttingen Institut für Demokratieforschung hatte im Auftrag der Grünen im vergangenen November ein Gutachten zu pädosexuellenfreundlichen Beschlüssen der Partei vorgelegt.

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6 Kommentare

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  • Wer wann was aufarbeitet versinkt nahezu in die Bedeutungslosigkeit, wenn man beim Kostenvergleich erkennt, daß viel mehr Geld für den Teppich ausgegeben wird, unter den man alles kehrt, als für die Reparatur dessen, was man darunterkehren will.

  • Der Beirat erfüllt offenbar eine wichtige Funktion. Soweit ich informiert bin besteht er aus drei JuristInnen (Christina Clemm, Anne Lütkes und Wolfgang Wieland). Das sind sehr integere Persönlichkeiten. Aber wenn die Grünen wirklich erreichen wollen, dass sich so viele Opfer, Mitbetroffene und Whistleblower wie möglich melden, damit die Missbrauchshistorie aufgeklärt und aufgearbeitet werden kann, dann sollten sie überlegen, auch Betroffene in den Beirat zu holen. Denn erst das verhilft Opfern so einem Gremium den notwendigen Vertrauensvorschuss zu gewährleisten und senkt die Schwelle, sich bei dieser Institution vorzustellen. Es gibt sicherlich in einer Partei mit 40 000 Mitgliedern auch welche mit Doppelexpertise. Also Menschen, die über Opfererfahrungen und eine solide Ausbildung im Umgang mit Betroffenen verfügen. Wo doch viele Grüne, erst recht solche der ersten Stunde, die zugleich Zeitzeugen stellen, der Idee der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung der Menschenrechte verhaftet sind.

     

    Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden

  • den Schaden so gering wie möglich halten das Göttinger Gutachen hat 200.0000€ gekostet einpaaar Blätter papier aber man hat eben was getan!

    • @Georg Schmidt:

      Die meisten Institutionen setzen auf Hinhaltetaktiken und das Prinzip "Aussitzen", wenn es um die Aufklärung und Aufarbeitung von Missbrauchskriminalität geht, in die sie involviert sind.

      Ob man damit langfristig den Schaden begrenzt oder nicht sogar potenziert, ist eine interessante Frage.

      Was die Grünen betrifft, so habe ich den Eindruck, dass sich bei deren Mitgliedern der ernste Wille, sich der Verantwortung zu stellen und der Wunsch, Realitäten zu verdrängen die Waage halten. Zu mindestens wurde jetzt ein Anfang gemacht.

      Vermutlich wird es aber im Zuge der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule noch einen zweiten Schub geben.

  • 7G
    774 (Profil gelöscht)

    Was hat die taz eigentlich gegen die Grünen? Sind die zu wenig links oder was?

    • @774 (Profil gelöscht):

      Ja, es wäre besser, wenn man alles unter dem Teppich kehren würde.