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HilfsaufrufStau vor Schweden

Die Stadt Kiel ruft ihre Bürger auf, Flüchtlinge privat unterzubringen. Lage am Fährterminal etwas entspannter.

Traumziel Schweden: Flüchtlinge auf einer Fähre nach Kiel. Foto: Christian Charisius/ dpa

Kiel taz | Am Kieler Bahnhof herrscht die Ruhe zwischen zwei Anstürmen: Nur ein junger Syrer steht am Informationstisch, den das Netzwerk Antirassistische Arbeit Kiel (Nara) am Rande der Gleise aufgebaut hat, und hält seine angeschwollene Wange: Zahnschmerzen. Nach einem Gespräch auf Arabisch mit dem ehrenamtlichen Dolmetscher dankt er und geht davon.

Die Nara-Aktivisten können durchatmen – nach einem Wochenende, in dem in Kiel die Betten für Flüchtlinge auf dem Weg nach Skandinavien knapp wurden und einem Vormittag, an dem weitere 150 Menschen per Zug eintrafen. Am Wochenende war die Lage so angespannt, dass Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) per Facebook die Bevölkerung dazu aufrief, Flüchtlinge privat unterzubringen.

Vor dem Bahnhof fällt Nieselregen und lässt die Stadt noch grauer erscheinen als sonst. Der Weg zu den Fährterminals am Schwedenkai beträgt nur einige Hundert Meter, aber dort endet für viele Flüchtlinge erst einmal ihre Reise: Es fehlt an Tickets für die Weiterfahrt nach Göteborg. Am Sonnabend kam es zu starken Engpässen, weil die Fähren durch Wochenend-Ausflügler belegt waren. Da Familien, Schwangere, Alte und Kranke vorgezogen werden, sitzen besonders allein reisende Männer sitzen oft tagelang fest – die Stimmung ist gereizt.

Untergebracht werden die Transitflüchtlinge in Notbetten im Hafen. Als das Terminal am Wochenende für die Abfertigung von Reisenden gebraucht wurde, mietete die Stadt von der Fährlinie Stena Holland für einen Euro die „Markthalle“, ein leerstehendes Lokal in der Nähe des Hafens, und eröffnete eine Notunterkunft für rund 300 Menschen. Am Sonnabend hieß es, die Unterkunft sei voll, Männer würden nicht mehr aufgenommen: „Nur ein Gerücht“, sagt der Einsatzleiter der Polizei am Fährterminal.

Hilfe in Kiel

Das Netzwerk Nara kümmert sich besonders um Transitflüchtlinge. Gebraucht werden Essen, Decken und Freiwillige. Zentrale ist die Alte Muthesiusschule, Lorenzendamm 6-8.

Das Ehrenamtsbüro Nettekieler vermittelt Ehrenamtliche.

Wer Sprachunterricht geben will, kann sich an die Zentrale Bildungs- und Beratungsstelle für Migrantinnen und Migranten (ZBBS) wenden.

Die Stadt Kiel richtet ein Bürgertelefon ein, wo es Informationen gibt sowie Zimmer, Spenden, Hilfe angeboten werden können.

„Am Sonntag war die Lage schon deutlich entspannter“, sagt Annette Wiese-Krukowska, Sprecherin der Landeshauptstadt. Sie betont, dass der Aufruf des Bürgermeisters kein „Hilferuf“ gewesen sein. „Wir wollten nur signalisieren, dass es in Kiel eng wird, damit nicht mehr so viele Leute von Hamburg weitergeschickt werden.“

Das habe auch gut funktioniert: Der Andrang habe merklich nachgelassen, die Markthalle sei in der Nacht zu Montag nur gut zur Hälfte belegt gewesen. Über die Bereitschaft vieler Privatleute, Flüchtlinge zu beherbergen, freue sich die Stadt dennoch. „Wir bauen unsere Hilfe nicht auf Privatinitiative auf – aber gerade für Schwangere oder Familien ist ein Gästezimmer sicher schöner als eine Sammelunterkunft“, sagt Wiese-Krukowska.

Die Ehrenamtlichen von Nara sehen die Lage kritischer. „Es läuft nicht rund, die Stadt redet nicht mit uns“, sagt einer der Aktivisten am Bahnhof, der wie alle Nara-Mitglieder seinen Namen nicht nennen möchte. Rund 80 Personen seien bei Nara aktiv, die im Schichtbetrieb die Anlaufstelle am Bahnhof betreiben und ständig in den Unterkünften präsent sind.

Auch für Essen und Übersetzungen sorgen die Ehrenamtlichen. Den Aufruf des Bürgermeisters, Gästezimmer zu öffnen, sehen die Aktivisten kritisch: Die Stadt könne nicht kontrollieren, wer sich melde und wohin die Flüchtlinge gehen. Da es bereits Hetzparolen und Drohungen gegeben habe, könne das sogar gefährlich werden.

Stadt-Sprecherin Wiese-Krukowska sagt dazu: „Die Stadt tritt nicht als Vermittlerin auf, sondern überlässt es den Kielern, solche Angebote zu machen, und den Flüchtlingen, sie anzunehmen.“ Sicher ließen sich Schreckensszenarien konstruieren – aber in der Regel würden sich normale, hilfsbereite Menschen melden. Auch Bürgermeister Kämpfer und seine Frau, die Grünen-Landtagsabgeordnete Anke Erdmann, nahmen eine Familie auf.

Von Kommunikationsproblemen sprechen alle Seiten. Der Einsatzleiter der Polizei wählt seine Worte sorgsam: Viele Freiwillige „scheinen nicht darauf zu vertrauen, was wir planen“. Daher würden „nach eigenem Ermessen Empfehlungen an die Flüchtlinge ausgesprochen“. Ein Nara-Sprecher meint: „Man muss einfach miteinander reden.“ Das soll nun geschehen, verspricht Wiese-Krukowska: „Wir richten einen runden Tisch ein, an dem alle Helfergruppen, auch Nara, eingeladen sind.“

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