Doku über eine Mädchenfreundschaft: Die Geschichte von Paula und Clara
Mit „... einen anderen Weg“ hat die Kunsthistorikerin Fenja Pretzsch eine Dokumentation über die Worpsweder Künstlerinnen gemacht.
Tatsächlich beleuchtet all das auch Fenja Pretzsch mit ihrem Film „... einen anderen Weg“, aber aus einer neuen Perspektive heraus: Die Göttinger Kunsthistorikerin hat sich auf die Freundschaft von Paula Modersohn-Becker und Clara Rilke-Westhoff konzentriert.
Überraschend: Clara, die eigentlich tragische Figur in der Geschichte. Sie stand im Schatten nicht nur ihre Mannes, des Dichters Rainer Maria Rilke, sondern auch ihrer Freundin; ihr außergewöhnliches Talent als Bildhauerin war eher Last als Gabe. Paula und die in Bremen geborene Clara trafen sich als junge Mädchen in Worpswede, entdeckten als schwärmerische Rebellinnen gemeinsam die Kunst und spielten den Dorfbewohnern Streiche.
Auch ihre erste Studienreise nach Paris machten sie gemeinsam und saßen dort in den öffentlichen anatomischen Zeichenlektionen neben französischen Dilettantinnen, die „Malweiber“ genannt wurden. Damals waren beide schon weit über 20 Jahre alt, aber Regisseurin Pretzsch nennt ihre Protagonistinnen „Mädchen“, denn von einer „Mädchenfreundschaft“ will sie ja erzählen.
Dieser Ansatz hilft die Schwere und Gelehrsamkeit zu vermeiden, die KünstlerInnen-Porträts oft so schwer erträglich machen. Sie habe „die Fachsimpeleien außen vorlassen“ wollen, erklärte Pretzsch nach der Hamburger Premiere des Films am Sonntag: Ihr sei wichtig, dass die Zuschauer „sich selber ein Bild machen können“. Deshalb wird im Film auch kein einziger Experte befragt.
Stattdessen lässt sie Paula und Clara zu Wort kommen, zitiert ausführlich aus Briefen und Tagebüchern. Ihren Kommentar spricht, ein wenig überraschend, ein Mann: Sonst, so Pretzsch, hätte es zu viele Frauenstimmen gegeben.
Ihre eigenen Bewertungen sind sparsam: Es gibt ein paar erhellende Bildinterpretationen, ansonsten vertraut die Filmemacherin darauf, dass Gemälde und Skulpturen für sich selbst sprechen. Ähnlich geht sie auch beim Bebildern vor: Wenn möglich, verwendet sie Kunstwerke und Archivmaterial, um die Atmosphäre des frühen 20. Jahrhunderts heraufzubeschwören. Pretzsch hat selbst in Worpswede und Paris gefilmt, sich aber weitgehend auf „establishing shots“ beschränkt: Einstellungen, in denen die Kamera einen Handlungsort etabliert.
Dass es zu dem Film kam, ist gar nicht selbstverständlich: Im Rahmen ihrer Forschungen wollte die Kunsthistorikerin eigentlich nur eine kleine Reportage über das Worpswede von heute machen. Als sie sich dann in die Geschichte von Paula und Clara eingelesen hatte, erkannte sie deren Potenzial. Ein wenig filmisches Grundhandwerk hatte Pretzsch in einem Praktikum gelernt, aber davon abgesehen ist bei „... einen anderen Weg“ für Buch, Kamera und Schnitt eine Autodidaktin verantwortlich.
Man merkt dem – angesichts dieser Umstände und ohne Förderung – erstaunlich professionell gemachten 50-Minuten-Film an, mit welcher Sympathie Fenja Pretzsch auf Paula Modersohn-Becker blickt, vor allem aber auf Clara Rilke-Westhoff: Die hatte es in ihrer künstlerischen Entwicklung viel schwerer. Während Paula durch ihre Heirat mit dem erfolgreichen Maler Otto Modersohn – den die Regisseurin im Gespräch eine „alte Eiche“ nennt – wirtschaftlich wie auch künstlerisch unabhängig war, lebte Clara mit ihrem Mann Rainer Maria Rilke ständig in finanziell prekären Umständen.
Weil sich seine ach so unsterblichen Verse zu Rilkes Lebzeiten nur schlecht verkauften, musste Clara als Bildhauerin fast durchweg Auftragsarbeiten ausführen – die Folge: ein gebrochen zu nennendes Verhältnis zu ihrer eigenen Kunst. Der Film zeigt, wie außergewöhnlich, wie schön und wie modern einige von Claras Skulpturen gelungen sind; sie selbst hat sie gering geschätzt. Später sah sie sich eher als Malerin, dabei sind ihre Gemälde vergleichsweise epigonal.
Zu Claras Ehrenrettung wird Pretzsch ein einziges Mal geradezu polemisch: Als Schlusspointe zeigt sie, dass in dem Haus in Fischerhude, das Clara Rilke-Westhoff bis zu ihrem Tod in den 1950er-Jahren bewohnte und in dem Rilke selbst nie zu Gast war, heute ein Café residiert – das „Café im Rilke-Haus“.
„... einen anderen Weg“ läuft am 20. 9. und 18. 10. im Abaton in Hamburg. Im Herbst zeigt ihn das Kommunale Kino, Hannover
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!