Frankreichs Flüchtlingspolitik: Calais als Symptom der Malaise
Präsident François Hollande unterstützt die EU-Quoten-Pläne. Doch die Flüchtlingspolitik seines Landes ist wenig menschenfreundlich.
Der französische Innenminister Bernard Cazeneuve drängte indes, gemeinsam mit seinem deutschen Amtskollegen, die anderen Mitgliedstaaten, den ihnen von der EU zugedachten Anteil an Flüchtlingen aufzunehmen. Hollande möchte aus dieser Quote sogar einen permanenten und „obligatorischen Mechanismus“ machen.
Wie das praktisch organisiert werden soll, ließ der Präsident offen. Auch er weiß, dass die für die Asylsuchenden vorgesehenen Infrastrukturen seit Jahren notorisch überlastet sind. Jedes Jahr beantragen rund 65.000 Personen in Frankreich den Flüchtlingsstatus. Von diesen Asylgesuchen, deren Bearbeitung durch die zuständige Behörde für Flüchtlinge und Heimatlose (OFPRA) in der Regel mehr als ein Jahr dauert, erhalten weniger als ein Viertel eine positive Antwort.
Während dieser langen Wartefrist dürfen die Asylbewerber nicht arbeiten. Sie hätten theoretisch ein Anrecht auf eine Unterkunft und ein Taschengeld. In Wirklichkeit müssen sie meistens selbst schauen, wie sie sich durchschlagen. Das ist einer der Gründe, warum etwa die in Calais am Ärmelkanal gestrandeten Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten um jeden Preis nach Großbritannien wollen, wo sie darauf hoffen können, viel schneller als Flüchtlinge anerkannt zu werden und Arbeit zu finden, ob mit oder ohne Papieren.
Lange Wartezeiten, ungewisser Ausgang
Man könnte fast vermuten, dass Frankreich in zynischer Weise gar kein Interesse daran hat, etwas an seiner abschreckenden Asyl-Prozedur zu ändern. Obwohl die französische Regierung regelmäßig die Menschen in den Zelt- und Hüttenlagern von Calais über ihre Rechte zur Einreichung eines Asylantrags informieren lässt, machen die wenigsten davon Gebrauch, weil ihnen der Ausgang zu ungewiss und die Wartezeit zu lange vorkommt.
Das bestätigen dort vor allem Sudanesen wie Abdallah Ibrahim, der resigniert erklärt: „Ich liebe Frankreich, aber Frankreich liebt mich nicht.“ Etwas leichter als seine Landsleute hätten es die Eritreer bei den französischen Behörden, meint er. Von den 1.616 Personen, die seit Jahresbeginn in Calais ein Gesuch eingereicht haben, wurden angeblich knapp tausend anderswo untergebracht. Die anderen blieben notgedrungen in ihren Zelten oder Hütten im „Dschungel“, wie das offiziell geduldete Camp bei Calais heißt.
Wie schizophren die französische Flüchtlingspolitik manchmal sein kann, bewies am Sonntag in Saint-Ouen bei Paris die polizeiliche Räumung eines illegal errichteten Camps von Obdachlosen, unter denen sich laut der NGO „Droit au logement“ zahlreiche syrische Flüchtlingsfamilien befinden sollen.
Meinungswandel in der Bevölkerung
Mit Beschämung haben viele französische Fernsehzuschauer die Bilder aus München gesehen, als die eintreffenden Flüchtlinge herzlich begrüßt wurden. In den Umfragen ist seither ein deutlicher Meinungswandel erkennbar. Noch vor einer Woche waren 56 Prozent aller Befragten gegen die Aufnahme neuer Flüchtlinge, doch unter dem Eindruck der Reportagen aus Deutschland, Ungarn und der Türkei wäre nun angeblich eine knappe Mehrheit von 53 Prozent dafür. Aber wie sollen in dieser Situation gesättigter Infrastrukturen und überbelegter Notunterkünfte jetzt zusätzliche Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan aufgenommen werden?
Premierminister Manuel Valls appelliert an den guten Willen und die Solidarität der 36.000 französischen Kommunen. 600 Bürgermeister fanden sich zu einer ersten Orientierung ein, bei der ihnen die Regierung 1.000 Euro pro Flüchtling in Aussicht stellte, zusätzlich zu der von der EU versprochenen Summe. Gleichzeitig unterstützt Hollande die wiedereingeführten deutschen Kontrollen an der Grenze zu Österreich. Er betont, die EU müsse bei der Verteidigung ihrer äußeren Grenzen unnachgiebig sein.
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