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Kahlschlagsanierung in BerlinBis die letzten Mieter flüchten

Die Christmann GmbH saniert Häuser in Prenzlauer Berg ohne Rücksicht auf die Bewohner. Es werden Räume verwüstet und lebensgefährliche Umbauten getätigt.

Harren aus, obwohl ihr Vermieter sie mit allen Mitteln loswerden will: Sven Fischer und seine Lebensgefährtin Maike Ahlers, Mieter in der Kopenhagener Straße 46 Foto: dpa

Sven Fischer befürchtet das Schlimmste: „Wir gehen davon aus, dass es ein Mordanschlag auf unsere Familie war“, sagt einer der letzten Mieter des Hauses Kopenhagener Straße 46 in Prenzlauer Berg. Bauarbeiter hatten ohne Ankündigung einen Kamin entfernt, dieser gehörte zur WG, in der Fischers Lebensgefährtin und die gemeinsamen Töchter leben. Hätten die Mieter das vor zehn Tagen nicht entdeckt, sie hätten im schlimmsten Fall eine lebensgefährliche Vergiftung erlitten, da die Abgase der Gastherme nicht entweichen konnten. Die bezirkliche Bauaufsicht und ein Schornsteinfeger haben das bestätigt. Fischer will Strafanzeige erstatten.

Die WG und Fischer, der in einer Einzimmerwohnung lebt, sind die letzte Mietparteien in dem Haus unweit des Mauerparks. Alle anderen sind ausgezogen, seit die Immobilie 2013 von der Christmann GmbH erworben wurde, die kurz darauf die Sanierung und üppige Miet­erhöhungen für die Zeit danach ankündigte. Die heute verbliebenen Mieter lehnten die Modernisierung ab. Christmann verklagte sie auf Duldung, es folgten Gerichtstermine, Kündigungen, einstweilige Verfügungen. Am vergangenen Freitag wurde Sven Fischer bereits zum vierten Mal fristlos gekündigt – wegen seines Vorwurfs des versuchten Mordes.

Aber die Sache mit dem Kamin war nicht der einzige Vorfall in der letzten Zeit: In Fischers Einzimmerwohnung im vierten Stock waren zuvor Bauarbeiter durch die Decke des Badezimmers gebrochen und hatten Rohre sowie den Boiler entfernt. Die Christmann GmbH ließ über ihre Anwälte mitteilen, es habe sich um einen Unfall gehandelt. Fischer kann das nicht glauben. Auch die Bauaufsicht hat Zweifel an dieser Version und verhängte einen Bau­stopp für Teile des Dachs.

Niemandem vertrauen

Ortswechsel: Winsstraße 59. Um acht Uhr morgens klingelt an Yvonnes P.s Tür die nächste Schikane. Möglicherweise, denn so genau kann man hier zwischen gut und böse, harmlos und gefährlich schon lange nicht mehr unterscheiden. „Vertrauen kann man niemandem“, sagt die 44-Jährige, die seit 1998 im Haus wohnt. Es gehört der Christmann GmbH seit 2012.

Zwei Personen betreten P.s Wohnung, Bauleiter und Zimmermann. In anderen Wohnungen, im Keller und im Dach wurde Hausschwamm entdeckt, sagen sie, ein Pilz, der die Balken zerstört. Jetzt soll auch P.s Zuhause überprüft werden. Der Zimmermann beginnt im Wohnzimmer eine Diele zu lockern. Währenddessen zieht der Bauleiter die Wohnungstür zu: „Is mir auch zu laut hier“, sagt er.

Kein Wunder: Vor der Tür stampft ein halbes Dutzend Arbeiter durchs Treppenhaus. Rohre werden abgeflext, es wird gehämmert und gebohrt. Die Winsstraße 59 ist eine einzige Baustelle. Unglaublich, dass hier Menschen leben. Aber die würden von „Leben“ gar nicht mehr sprechen, nur noch von „Verdrängtwerden“. Sie erfahren das Vorgehen von Christmann zunehmend als Gewalt.

Angefangen hat es 2012 genau wie in der Kopenhagener: Christmann kauft das vernachlässigte Gründerzeithaus und kündigt eine umfassende energetische Sanierung sowie Miet­erhöhungen an. Die 120 Quadratmeter, auf denen Yvonne P. lebt, sollen anschließend statt wie bisher rund 600 Euro über 2.000 Euro kosten – kalt.

Die Mieterinnen und Mieter sind schockiert. Schnell setzt sich die Überzeugung durch: Christmann will sie einfach nur loswerden und dann teure Eigentumswohnungen verkaufen. Der Investor verklagt die Bewohner auf Duldung der Maßnahmen. Manche der Prozesse laufen noch heute, P.s Fall liegt vor Gericht.

Blickdichte Plane

Dann verhüllt Christmann das Gebäude. Mehr als ein Jahr lang leben die Bewohner hinter einer blickdichten Plane. „Werte erschaffen. Werte erhalten“ steht darauf. Für die Mieter der blanke Hohn. Die Plane flattert laut und verdunkelt die Wohnungen. Am Gebäude selbst jedoch, so berichten die Mieter, sei während dieser Zeit nichts passiert. „Reine Schikane“, glaubt P.

So sieht Sanierung aus: Blick ins ruinierte Bad Foto: dpa

Vor wenigen Monaten schließlich kündigt der Investor Schwammuntersuchungen an. Für die Mieter ist das besonders knifflig: Kooperieren sie nicht, droht ihnen eine fristlose Kündigung. Wird Hausschwamm in den Balken entdeckt, gelten diese als instabil und es besteht Lebensgefahr. Im schlimmsten Fall müssen die Mieter für einige Tage ihr Zuhause verlassen. Dort, fürchten sie, könne Christmann dann alles machen: Wände einreißen, Grundrisse verändern.

Die Angst kommt nicht von ungefähr. Zwei Mieter, die für zehn Tage ausziehen mussten, stehen nun vor verwüsteten Wohnungen. Abgerissene Armaturen, Schutt in den Räumen. Die Schwammsanierung sei dagegen gar nicht erfolgt, sagen sie. „Es wird immer klarer, dass es der Christmann GmbH gar nicht primär um Sanierungen für die Bestandsmieter geht“, sagt die Anwältin Carola Handwerg, die einige Mieter im Haus vertritt.

Im Internet bietet das Immobilien-Unternehmen bereits Wohnungen in der Winsstraße 59 zum Kauf an, 5.400 Euro pro Quadratmeter. Doch der Zeitdruck für den Investor wird größer. „Lange Zeit war Christmann um ein sauberes Image bemüht und agierte am Rande der Legalität“, sagt Carola Handwerg. Die Zeichen verdichten sich, dass mit der Zurückhaltung jetzt Schluss ist. Einer WG im Hinterhaus wurden ohne Ankündigung Gas- und Wasseranschluss gekappt.

„Ich möchte leben“

Nach der Untersuchung in Yvonne P.s Wohnung besteht nun ein Anfangsverdacht auf Schwammbefall. Gut möglich, dass auch ihr Zuhause zur Baustelle wird. Für sie bedeutet das zusätzlichen Stress. „Dieser Kampf übersteigt meine Energie. Ich möchte nicht bloß überleben, sondern leben“, sagt sie.

Einige haben in diesem Kampf kapituliert. Von einst 50 Bewohnern in der Winsstraße 59 ist noch gut die Hälfte da. Auch Claudia H. wird das Haus gegen eine Abfindung bald verlassen. Drei Wochen sollte die Schwammsanierung in ihrer Wohnung dauern. Jetzt sei sie schon seit drei Monaten in einer Umsetzwohnung. „Christmanns Drohgebärden haben bei mir Wirkung gezeigt. Der Mut hat mich schleichend verlassen“, erzählt sie. Nicht nur sie selbst, auch die Gemeinschaft im Haus habe gelitten. „Jeder hat mit seiner eigenen Situation zu kämpfen.“

Sven Fischer hofft derweil darauf, dass die Zerstörungen an Bad und Kamin behoben werden. Der Bezirk hat nach Auskunft von Baustadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) die Christmann GmbH dazu verpflichtet, allerdings hat die Kanzlei des Investors dagegen Widerspruch eingelegt. Auch wenn Kirchner nicht so weit gehen will, in Bezug auf den abgedichteten Kamin von einem „Anschlag“ zu sprechen, findet er, dass der Investor rote Linien überschritten hat: „Mit den Eingriffen in die Privatsphäre hat das Unternehmen den rechtsstaatlichen Rahmen verlassen.“ Er verspricht, solche Vergehen „mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln“ zu bekämpfen – und räumt doch ein, dass der Bezirk auf Baustellen oft nur nachträglich aktiv werden kann. Bescheidene Aussichten für die anderen Mieter in der Kopenhagener Straße 46.

Die taz wollte den Investor mit den Vorwürfen konfrontieren. Doch der ignorierte die Fragen.

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9 Kommentare

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  • die Sache ist doch relativ einfach, solang die Wohnungen saniert werden, werden die Mieter in Hotels untergebracht!

  • Wir leben nun mal in einer Haifischgesellschaft...Da wird der Schwächere eben weggebissen. Wir wollen Kapitalismus - wir haben Kapitalismus. So what?

    • @amigo:

      Sie scheinen ja genug Geld zu haben...

      • @Jan :

        Versuchen Sie mal zwischen den Zeilen zu lesen...

  • Wer nicht schon mal von seinem Vermieter an die Luft gesetzt wurde kann nur schwer nachvollziehen was für ein ungeheures Bedrohungsszenario eine Zwangsumzug ist. Wenn dazu noch Baustellenlärm und "Sanierungen durch die Wand kommen"... ich glaub mein Bus kommt.

  • Der Eiertanz, einerseits das Hohelied der alles zum Wohle der Menschen regulierenden Marktwirtschaft zu singen, anderseits von ebendieser soziales Verhalten zu verlangen, ist zum Scheitern verurteilt, das sehen wir nicht nur beim Immobilienproblem, sondern auch bei der Energieversorgung, oder im Verkehrswesen.

    • @Khaled Chaabouté:

      Das sah man vor 30 Jahren schon deutlich sich entwickeln. Und Karle Marx hat´s uns ja schon lange davor erklärt.

  • Obgleich unmoralisches Verhalten wie hier durch den Vermieter zu verurteilen ist, sehe ich die Verantwortung für solche sich zuspitzende Konflikte zunächst mal bei Politik und Behörden:

    Da der Moralbegriff ja nun mal sehr relativ und in einer Demokratie zum Glück jeder nach seinen eigenen Argumenten definieren kann, muss man in dieser Konsequenz auch dem Wohnungseigentümer dieses Recht zugestehen mit der Folge, dass auch er darunter eher solches Handeln versteht, woraus er erst mal eine Verbesserung für sich erkennen kann. Machen leider alle so, leider auch ich...!!!

     

    Darum sehe ich die primäre Verantwortung für so schlimme Entwicklungen bei den Politikern, bei denen ich kein Verständnis (! ) dafür habe, dass sie die durch durch demokratische Prozesse in Gesetze gegossene möglichst gerechte Moralvorstellungen (durchaus vorhandene) nicht konsequenter Umsetzen lassen - durch die entsprechenden Behörden!

     

    Möglich wäre dies! Vermutlich fehlt aber einfach der nötige Druck, da sie eh irgendwie immer wieder gewählt werden:

    Durch die wählenden Bürger, wie eben auch die im Artikel genannten benachteiligten eben auch!

     

    Mit denen ich abschließend die, meiner Ansicht nach, alle politischen Fehlentwicklungen erste verantwortliche Ursache genannt hätte!

     

    Ein Plädoyer für mehr Mut und Flexibilität bei den Wahlen - als spürbare Konsequenz für politisches Handeln!

    • @Delix:

      Sehen Sie aktuell noch eine Grenzlinie zwischen Politik und Wirtschaft ?