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Hausbesuche Prora – Ort mit Vergangenheit. Dort, wo die Nationalsozialisten ein Erholungszentrum errichten wollten und Künstler nach der Wende den Leerstand füllten, entstehen nun Wohnungen und Hotels„Prora ist Größenwahn“

Nazibaukunst, die zeigt, dass ihnen das Kollektive wichtiger war als Individualität

Text Steffi UnsleberFotos Christian Rödel

Zu Besuch bei Petra Jans und Rudolf Bierfreund, 62 und 63, in Prora auf Rügen. Es sind zwei, die neu angekommen sind.

Draußen: Das Meer glitzert durch die Bäume, es wirft sich an den Strand, Welle um Welle, der Wind rauscht und klebt im Gesicht. Brandung, dieser monotone Rhythmus. Geruch nach Fisch, Geruch nach Algen.

Dreht man sich um, ist da Stahlbeton. Eine gewaltige Wand. Sechs Stockwerke hoch, viereinhalb Kilometer breit, mit langen Reihen an Fenstern. Fünf Blöcke, die in den feinen Sand drücken.

Die Nazis haben das Gebäude gebaut. Prora. Hier sollte das Volk sich erholen, Kraft durch Freude, 20.000 Menschen gleichzeitig: Frühsport, gemeinsames Liegen nach dem Mittagessen, abends Kegeln. In den Zimmern sollten Lautsprecher hängen, Befehle zur Entspannung. 1936 fingen die Nazis mit dem Bauen an, 1939 hörten sie auf. Prora wurde nie fertig.

Zwei, die kamen Drei Zimmer, 72 Quadratmeter, 550 Euro Kaltmiete. Petra Jans konnte es nicht glauben, als ihr Mann davon erzählte. Direkt am Meer, das gibt es doch nicht mehr, sagte sie

Nach dem Krieg zog die Nationale Volksarmee der DDR ein, noch später die Bundeswehr. Ab 1992 stand Prora leer. Und unter Denkmalschutz. Was sollte man damit anfangen? Abreißen? Zum Mahnmal machen? Es mit Tourismus versuchen? Es gab Ansätze, aber jeder Investor kapitulierte vor viereinhalb Kilometern Leerstand. Prora verfiel und taugte noch als gruselige Attraktion für die Strandtouristen.

Schließlich wollte das Bundesvermögensamt die Blöcke nur noch loswerden, sie wurden einzeln verkauft, teils an Investoren, die sie mit großen Gewinnen weiterverkauften.

Einzelne Aufgänge wurden schließlich saniert. Ein Abschnitt von Block vier ist schon fertig, alle Wohnungen sind vermietet. Andere Blöcke stehen kilometerweise leer, die Fenster sind eingeschlagen, die Investoren warten wohl darauf, dass der Wert steigt und sie weiterverkaufen können.

Zu Fuß braucht man eine Stunde von Block eins bis Block fünf. Man sieht: weiß getünchte Fassaden, ein Schwimmbad, Verkaufsbüros mit „Showrooms“, Cafés, die Fischbrötchen verkaufen, eine Kunstgalerie, die Disco Miami, zwei Dokumentationszentren, eines wirbt: „Zwanzig Fernsehteams bestätigen: sehr informativ“.

Prora – Naziarchitektur –, ein Gebäude als Wall zwischen Wasser und Land

Petra Jans und Rudolf Bierfreund leben in Block vier, im Erdgeschoss. Sie waren unter den ersten, die hier eingezogen sind.

Drin: Drei Zimmer, 72 Quadratmeter, 550 Euro Kaltmiete. Petra Jans konnte es nicht glauben, als ihr Mann davon erzählte. Direkt am Meer, das gibt es doch nicht mehr, sagte sie. Ein Zufallsfund auf Immobilien­scout24. Sie haben dem Vermieter sofort geschrieben, im Oktober war das. Sind im Januar eingezogen: helle Möbel, viele Familienfotos, ein Bild von einem Segelschiff, das bei Sonnenuntergang auf dem Meer schaukelt. Ein Bad mit dunklen Fliesen, Schiffsparkett im Wohnzimmer. Ein Schlafzimmer für sie beide. Im dritten Zimmer, seinem Fernsehzimmer, wohnt jetzt Petra Jans Enkelin, die von zu Hause weggelaufen ist.

Sie: Kommt aus Sachsen-Anhalt, aus Merseburg. Ist 1989 mit ihrem damaligen Mann nach Rügen gezogen. Wollte nie wieder weg. Auch nicht, als sie sich zehn Jahre später trennten. Wohnte in Bergen, dann in Sassnitz, fand einen neuen Mann, verlor ihn wieder, weil er plötzlich starb. Dann zehn Jahre alleine. Hat erst als Kindergärtnerin gearbeitet, dann in einem Frauenhaus. Das Meer war ihr Ausgleich.

Neue Liebe, neues Zuhause: Petra Jans und Rudolf Bierfreund in Prora

Er: Kommt aus Heiligendamm in der Mecklenburger Bucht. Hat immer am Meer gewohnt, nie weiter entfernt als 20 Kilometer: Warnemünde, Kühlungsborn, auf der Insel Poel. Er ist Bauingenieur. War erst bei einer Möbelfirma, dann selbstständig. Hat sich, als er auf dem Bau mit angepackt hat, den Rücken kaputt gemacht, drei Bandscheibenvorfälle, ein halbes Jahr saß er im Rollstuhl. Später konnte er wieder laufen, war aber erwerbsunfähig und wurde Taxifahrer. Er war zwei Mal verheiratet, das erste Mal 25 Jahre, das zweite Mal 11 Jahre – aber nach sechs Jahren hatten sie sich schon wieder getrennt. Was er über die Liebe gelernt hat? „Von einer schönen Schüssel wird man nicht satt.“ Wenn man krank wird, sagt er, wird man weggeschmissen. Wenn man kein Geld hat, wird man auch weggeschmissen.

Sie und Er: Kennen sich seit März 2011. Im Mai 2011 sind sie zusammengezogen. Am 12. 12. 2014 dann die Heirat, am Kurhaus in Binz, direkt am Meer. (“Wo denn sonst“, sagt er.) Einen Antrag gab es nicht, „wir sind ja keine zwanzig mehr“, sagt er. „Wäre es nach ihm gegangen, hätten wir sofort geheiratet“, sagt sie.

Das erste Date: Er war seit vier Jahren von seiner Frau getrennt, da schaffte er sich einen Computer an, um eine neue Frau zu finden. Er fand Petra Jans. Ihre Freundinnen hatten sie ohne ihr Wissen bei einer Datingseite angemeldet und antworteten ihm. Nach drei Nachrichten war das kostenlose Kontigent der Datingseite erschöpft – und sie hätten sich entweder anmelden müssen für über hundert Euro im Monat oder auf E-Mail und Telefon ausweichen. Also erfuhr Petra Jans von ihrem Verehrer. Sie telefonierten das erste Mal, als sie im Krankenhaus lag, eine Knie-Operation. Dann trafen sie sich in Sassnitz, an der großen Uhr. „Danach wollte sie mit ihrem kaputten Knie die 150 Stufen zu ihrer Wohnung hoch latschen“, sagt er. Da hat er, der Taxifahrer, sie nach Hause gefahren. „Und so hat alles begonnen“, sagt sie.

Hühnergötter bringen Glück

Alltag: Sie ist den ganzen Tag am Meer, schwimmt, liest und sammelt Hühnergötter, die Steine mit Loch, die Glück bringen. Er bleibt auf der Terrasse, weil er kürzlich sehr krank war und jetzt nur noch 25 Prozent Lungenvolumen hat. „Über Krankheiten spricht man nicht, die hat man“, sagt er. Nachmittags kommt sie vom Strand, dann trinken sie zusammen Kaffee. Wenn er auf seiner Terrasse sitzt, sieht er die ganzen Touristen, die täglich kommen und Fotos vom sanierten Prora machen. Manchmal spricht er mit ihnen. „Die denken alle, wir sind neureich“, sagt sie. „Aber wir sind auch nur zwei Ostrentner.“

Die Vergangenheit Proras: Diese belaste sie nicht, sagt sie. „Hier ist nichts passiert, niemand wurde interniert. Die Anlage wurde nie genutzt.“

Wann sind sie glücklich? Sie sagt: „Ich bin glücklich, wenn ich am Meer bin.“ Er sagt: „Ich bin glücklich, wenn sie zurückkommt.“

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